"Um all das geht es nicht": Politik-Professorin Ursula Münch zerlegt Forderung von Markus Söder nach Neuwahlen

München/Tutzing - Prof. Dr. Ursula Münch leitet die Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Die AZ hat mit ihr über den Vorstoß von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder gesprochen, der Neuwahlen fordert.
Frau Münch, Markus Söder spricht von einer "Staatskrise", Friedrich Merz attestiert dem Kanzler: "Sie können es nicht." Wie ernst ist die Lage in Deutschland?
URSULA MÜNCHEN: Die Lage ist schon mit Blick auf den Haushalt und die verschiedenen enormen Herausforderungen brisant. Aber das ist sie völlig unabhängig von diesen Wortäußerungen von Oppositions- oder Landespolitikern. Es ist einerseits deren Aufgabe als Opposition und föderaler Gegenspieler, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Aber ihre Kritik wird die Bundesregierung andererseits nicht aus dem Amt befördern.

Sind die Forderungen nach Neuwahlen grundsätzlich berechtigt?
Nein. Wir haben eine Bundesregierung, die offensichtlich eine parlamentarische Mehrheit hat. Es ist legitim, dass die Opposition so etwas fordert – nur die Basis dazu ist nicht allzu belastbar. Wir haben Dissonanzen in der Regierung, aber das erleben wir seit Ausbruch der ersten Krise. Man hat versucht, viele Konflikte mit Geld, das man nicht hat, und Krediten zuzukleistern. Das wissen wir alles – auch, dass es jetzt immer schwieriger wird, sich zu einigen. Tatsächlich gibt es gewisse Seitwärtsbewegungen, etwa von der Grünen Jugend und einem kleinen Teil der FDP. Es ist auch ganz offensichtlich, dass die Ampel in Meinungsumfragen auf keine Mehrheit kommt – nur: Um all das geht es nicht. Sondern es geht um die Mehrheit im Parlament! Und die hat die Regierung im Augenblick.
Warum Söders Neuwahl-Manöver verwunderlich ist
Was bezweckt Markus Söder mit der Forderung?
Er greift die für die Ampelpartner negativen Umfragen auf, und er wäre auch kein guter Oppositionspolitiker, wenn er das nicht täte. Natürlich darf die Opposition versuchen, einen Spaltpilz hineinzutreiben und sich selbst als Alternative zu präsentieren. Nur hat Söder damit zugleich ein Problem. Denn Neuwahlen sind ja für keinen der derzeitigen Koalitionspartner attraktiv, ganz abgesehen davon, dass es verfassungsrechtlich extrem schwierig ist, sie zu erreichen: Da eine Neuwahl eher zu Gunsten der Union ausgehen dürfte, wäre die SPD nur noch Juniorpartner der Union. Das kann für sie derzeit kein Ziel sein. Auch für die Grünen und die FDP wären Neuwahlen recht kritisch. Die FDP müsste sogar fürchten, ob sie überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Insofern ist es schon etwas verwunderlich, dass Söder dieses Manöver einschlägt.
Es ist noch nicht lange her, da warb Söder für Große Koalition bei Scholz – mit der Union in einer Juniorpartnerschaft.
Für die Union ist das unattraktiv. Höchstens für Friedrich Merz könnte es interessant sein, weil er sich dann weniger Sorgen um die Kanzlerkandidaten-Debatte machen müsste. Er wäre dann ja schon Teil der Regierung und Stellvertreter des Kanzlers.
Was treibt Söder dann an?
Aus meiner Sicht geht es ihm um die öffentliche Meinung. Er will offenbar die Stimmung gegen die Ampel-Regierung weiter schüren. Das ist nicht verwerflich. Die Ampel und der Kanzler machen es ihm auch leicht. Vielleicht möchte er auch der CDU etwas mit auf den Weg geben. Etwa, dass man die Kanzlerkandidatenfrage bald klären sollte. Dennoch: Ich erkenne nichts, was sich von Söders Forderung seriös umsetzen ließe. Und sie wird der verfassungsrechtlichen Lage überhaupt nicht gerecht.
"Viele Menschen nehmen sie nicht so wichtig": Die CSU muss bei der Europawahl vorsichtig sein
Vor dem Hintergrund der Spaltung der Gesellschaft und des zunehmenden Misstrauens in die Politik – sind da solche Strategien wirklich maßvoll?
Ich halte das schon für legitim. Söders Diagnose ist ja, dass der Vertrauensverlust mit der aktuellen Bundesregierung zu tun hat. Und dass es Wege gäbe, um aus der aktuellen Vertrauenskrise herauszukommen. Insofern wäre das Argument von Söder, dass er versucht, eine Alternative zu präsentieren. Man muss die Diagnose nicht teilen. Es gibt auch Stimmen aus der Union, die zurzeit angesichts der finanzpolitischen Rahmenbedingungen auch nicht unbedingt regieren wollen – das ist nicht nur für die Ampel schwierig.
Söder schlägt Neuwahlen in Kombination mit den Europawahlen im Juni 2024 vor. Wenn die Lage so dringlich ist, warum will er so spät erst wählen?
Noch einmal: Es gibt keine verfassungsrechtliche Grundlage. Wenn man aber tatsächlich auf Neuwahlen hinarbeiten will, muss man natürlich Zeit für den Wahlkampf einplanen. Ein Argument könnte sein, dass die Kombination mit den Europawahlen den Aufwand geringer hält. Zugleich muss die Union sehr vorsichtig sein. Denn die Europawahl wird eine Wahl werden, bei der die Wähler Denkzettel verteilen. Viele Menschen nehmen diese Wahlen nicht so wichtig und probieren gerne mal was anderes aus. Da muss man sich schon überlegen: In welche Richtung geht der Wähler? Kann er unterscheiden zwischen den beiden Wahlen? Orientiert er sich bei der Bundestagswahl etwa an dem, was er in der Europawahl wählt? Daran hätte die Union garantiert kein Interesse.