Interview

Ukrainischer Pfarrer in München: "Schön, dass wir nicht allein sind"

Die Ukrainische Kirche in der Schönstraße und Pfarrer Wolodymyr sind zu einem Hilfszentrum geworden. Wie ist die Lage? Ein AZ-Gespräch.
von  Irene Kleber
Wolodymyr Viitovitch trägt in diesen Tagen eine orange Warnweste, damit man ihn unter den vielen Leuten auf dem Gelände findet.
Wolodymyr Viitovitch trägt in diesen Tagen eine orange Warnweste, damit man ihn unter den vielen Leuten auf dem Gelände findet. © iko

München - AZ-Interview mit Pfarrer Wolodymyr Viitovitch: Der Ukrainer (54) kam 1992 als Theologiestudent nach München und ist heute Pfarrer in der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche Maria Schutz in Giesing (die griechisch-katholische Kirche ist eine Teilkirche der römisch-katholischen Kirche, die dem byzantinischen Ritus folgt). Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

AZ: Herr Pfarrer Wolodymyr, Hunderte Menschen sortieren seit Tagen Hilfsgüter im Hof hinter der Kirche . . .
PFARRER WOLODYMYR: Wir waren bis jetzt sehr ruhige Nachbarn. Aber seit dem Donnerstag, an dem der Krieg begonnen hat, ist alles aus den Fugen geraten. Es waren jetzt über 300 Freiwillige jeden Tag von morgens bis abends hier, die Hilfsgüter sortieren helfen, die Lkw beladen, die versuchen, Ordnung zu halten.

Menschen aller Nationalitäten sind gekommen, um zu helfen

Bislang kannte man Ihre Kirche kaum, wie haben alle hierhergefunden?
Sie sind vom ersten Tag an einfach vor der Tür gestanden, um zu fragen, wie sie helfen können. Viele Münchner, die spontan Urlaub genommen haben, Ukrainer, Amerikaner, Franzosen, Türken, Bosnier, Kroaten, wir sprechen jetzt alle Sprachen hier, auch russisch, und es ist schön, dass wir nicht allein mit dieser Situation sind. Manche haben sofort Kisten mit Decken und Windeln und Medikamenten mitgebracht, andere haben gesagt: Ich habe einen Sprinter oder einen Lkw, ich kann Hilfsgüter aufladen, wohin soll ich damit fahren? Wo kann ich Flüchtlinge einsammeln? Jetzt versuchen wir, das alles irgendwie zu lenken, dass die Hilfe die Menschen in der Ukraine auch schnell erreicht.

Wie viele Lkw sind bis jetzt wohl schon von dieser Kirche Richtung Ukraine gefahren?
Allein am Donnerstag habe ich zehn 30- und 40-Tonner gezählt, dazu kleine Busse und Transporter. Insgesamt können es schon 100 Lastwagen gewesen sein. Anfangs waren es ukrainische Lkw, die etwas in Deutschland abgeliefert hatten, die kamen hier vorbei, um etwas mitzunehmen. Jetzt sind es auch große Firmen, die Fahrer anbieten und Kosten für Treibstoff übernehmen.

"Zusammen sind wir stark"

Wie sieht Ihr Tag im Moment aus?
Ich bin für viele hier die zentrale Ansprechstelle, weil man mich als Pfarrer kennt. Die Leute glauben, ich weiß alles und wir haben ein großes Tohuwabohu im Pfarrhaus. Gestern habe ich mein Handy sechs Mal aufgeladen. Dann drückt mir jemand Kisten in die Hand, damit ich nicht leer von hier nach da laufe. Mit meiner Frau kann ich höchstens zehn, 15 Minuten am Tag reden. Aber das ist in Ordnung. In diesen Tagen leben wir voneinander. Wir fühlen viel Wut und Trauer, aber zusammen sind wir stark. Das gibt uns ein Quäntchen Hoffnung und Zuversicht.

Am Donnerstag sind auch die ersten Flüchtlinge in der Kirche angekommen.
Ja, spät am Abend, als die letzten Freiwilligen den Gemeindesaal schon verlassen hatten, kamen die ersten 25 Menschen hier an. Wir haben sie versorgt und sofort an Münchner Familien vermittelt, die sie aufnehmen, auch da ist die Hilfsbereitschaft riesig. Jetzt erwarten wir jeden Tag neue Ankömmlinge.

Darum nehmen Sie seit dem Wochenende hier an der Kirche keine Hilfsgüter mehr an?
Richtig, wir ziehen damit gerade um an die neue Adresse Heinrich-Kley-Straße 2. Das sind tolle Räume von der Stadt München. Ich möchte jetzt im Pfarrzentrum Platz und Räume für die Flüchtlinge haben.

"Die Menschen werden mit seelischem Schmerz kommen"

Wie organisieren Sie sich, um das alles zu stemmen?
In den letzten Tagen habe ich versucht, aus einer Kerngruppe von 100 Freiwilligen Teams zu bilden, die für verschiedene Bereiche Verantwortung tragen, damit es für jedes Thema einen Ansprechpartner gibt. Und wir versuchen, jeden Tag die Liste der Sachen, die gebraucht werden, auf unserer Webseite (www.ukr-kirche.de) zu aktualisieren. Ich möchte die Menschen, die etwas zu uns bringen wollen, bitten, immer vorher auf die Webseite zu schauen.

Freiwillige sortieren vor der Kirche die Hilfsgüter.
Freiwillige sortieren vor der Kirche die Hilfsgüter. © iko

Wie groß ist eigentlich die ukrainische Gemeinde in München?
Wir haben etwa 8..000 ukrainische Staatsangehörige im Großraum München. Hier in der Pfarrei haben wir ungefähr 3000 Menschen. Sonntags feiern wir vier gut besuchte Gottesdienste. Jetzt werden wir wahrscheinlich wachsen, aber die Menschen werden mit viel seelischem Schmerz zu uns kommen. Da gibt es viele Momente, in denen man auch als Seelsorger den Tränen nahe ist.

Wie viele Ukrainer erwarten Sie in den nächsten Wochen?
Schwer zu sagen, sie kommen ja über viele Länder. Viele haben in München Freunde und Verwandte. Ich schätze, ein paar Tausend werden wir die nächsten Wochen hier haben.

Haben Sie schon einen Plan, wie die vielen Kinder versorgt werden können? Viele sind im Kindergarten- und Schulalter.
Wir versuchen, Teams zu bilden, die sich darum kümmern, dass die Kinder gesammelt werden können, damit wir sie betreuen und auch unterrichten können.

"Alle, die unterstützen möchten, sind willkommen"

Wo denn?
Auch dafür suchen wir Räume. Das könnte zum Beispiel in einem Hotel sein - oder auch in unserem Pfarrsaal. Vielleicht können wir uns damit in ein paar Tagen tiefer beschäftigen.

Heißt, Sie brauchen auch Erzieherinnen, Lehrer, Sozialarbeiter, Psychologen . . .
. . . genau, die idealerweise auch ein bisschen ukrainisch sprechen. Wenn es hier Frauen und Männer gibt, die uns unterstützen können: Es sind alle willkommen.

Was brauchen Sie sonst noch dringend?
Verpflegung und Getränke für unsere vielen freiwilligen Helfer, die den ganzen Tag von 9 bis 21 Uhr für uns arbeiten. Ich weiß nicht, wie wir sie versorgen sollen, sie bekommen ja in diesen vielen Stunden auch Hunger und Durst. Vielleicht liest das ja der eine oder andere Gastronom in der Stadt und kann uns für die Leute etwas liefern. Das wäre sehr schön und eine große Hilfe.

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