Ukrainer in München: "Wir wissen, was das bedeutet"

In München leben mehr Ukrainer außerhalb ihres Landes als irgendwo sonst in Europa. Die AZ hat mit einigen gesprochen.
von  Paul Nöllke
Demonstranten mit einem Plakat "Stoppt Kreml, Stoppt Terror Putin, Putin geht über Leichen" am Odeonsplatz.
Demonstranten mit einem Plakat "Stoppt Kreml, Stoppt Terror Putin, Putin geht über Leichen" am Odeonsplatz. © picture alliance/dpa

München - Erst vor ein paar Stunden hat Roman Tiutenko noch mit seiner Mutter telefoniert. In Lviv, im Westen der Ukraine, wo sie lebt, heulten da schon die Bombensirenen.

"Sie hat sich ganz genau angeschaut, wo die Schutzräume in der Stadt sind und in welchen Keller sie fliehen kann", erzählt der 28-Jährige, der an der Ukrainischen Freien Universität in München angestellt ist, am Donnerstag der AZ.

Tausende Ukrainer leben in München

So wie Tiutenko dürfte es dieser Tage vielen Münchnern gehen. Denn: In der Stadt leben viele Tausende Ukrainer, mehr als irgendwo sonst in Europa außerhalb der Ukraine. München hat eine recht aktive Partnerschaft mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Wie geht es den Ukrainern in München nun, da russische Bomben auf ihre Städte fallen und an den Grenzen Soldaten einmarschieren? Und was will die Stadt unternehmen, um ihnen zu helfen?

"Das sind natürlich fürchterliche Nachrichten"

"Ich bin sehr nervös", sagt Tiutenko, "das sind für uns natürlich fürchterliche Nachrichten." So wie ihm gehe es auch seinen Kollegen an der ukrainischen Uni in München. Dennoch: Trotz der Sorge und der Nervosität beobachte er keine Panik bei den Menschen in der Ukraine. "Die Menschen bewahren Ruhe. Es gibt bis jetzt auch keine große Migrationswelle", so Tiutenko. Wieso das so ist? "Weil dieser Krieg schon acht Jahre lang geht", meint Tiutenko. "Wir wissen, was das für uns bedeutet."

Ähnlich geht es auch Wolodymyr Viitovitch. Er ist Dekan der ukrainischen griechisch-katholischen Pfarrei in München. Bei ihm riefen verzweifelte weinende Menschen an - in großer Angst um ihre Angehörigen kämen andere zum gemeinsamen Gebet zusammen.

"Wir haben mit so einem Ereignis gerechnet - aber nicht in diesem Ausmaß"

Doch er könne wenig mehr an Trost spenden als eine Umarmung, sagt Viitovitch. "Wir bangen um die Ukraine, wir beten um die Ukraine und hoffen, dass möglichst wenige Menschen sterben in diesem schrecklichen Krieg." Überrascht sei er von dem Krieg nicht: "Wir hatten damit gerechnet, dass das passiert, aber man hat nicht erwartet, dass es zu so einem großen Krieg kommt - dass die Russen uns von allen Seiten angreifen würden", erzählt Viitovitch.

Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte Russland gestern scharf: "Mit großer Bestürzung mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass Russland nun einen offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt", so Reiter. Er persönlich sei fassungslos über diesen "barbarischen Akt" von Präsident Wladimir Putin.

Reiters Sorge gelte ganz besonders Münchens Partnerstadt Kiew. Zudem kündigte er an, dass die Stadt München auch humanitär helfen werde, das Leid der Menschen vor Ort bestmöglich zu lindern.

Stadtrats-Fraktionen wollen Partnerstadt unterstützen

Im Stadtrat stellten alle Parteien, außer der AfD und der Fraktion der Linken und Der Partei, einen gemeinsamen Antrag mit dem Titel "München unterstützt Kiew". Unter anderem solle die Stadt umgehend Kontakt nach Kiew aufnehmen, um zu prüfen, wie man die Partnerstadt am besten unterstützen könne.

Gebäude sollen in den ukrainischen Landesfarben angestrahlt werden. Zudem soll die Stadt Menschen helfen, die aus dem Land fliehen wollen.

Vor der Staatskanzlei versammelten sich am Donnerstag schon am Vormittag viele Münchnerinnen und Münchner, um ihre Solidarität mit der Ukraine zu bekunden. Die Münchnerin Ina zur AZ: "Ich bin in der Früh aufgewacht und war sprachlos und schockiert." Wie auch Tiutenko habe sie ihre Mutter in der Ukraine angerufen. "Sie hat gesagt, dass sie die Bomben gehört hat."

Mehrere Demos und Proteste sind geplant

Filmemacherin Doris Dörrie stellte sich mit einem Schild "Stop the war!" auf den Europaplatz - nur wenige Schritte vom russischen Generalkonsulat entfernt. Zuerst sei sie ganz alleine gewesen. "Wo bleiben die anderen, habe ich mich gefragt", sagte sie zur AZ. Im Laufe des Tages wuchs die Ansammlung.

Wie es nun für die Ukrainer in München weitergeht? "Wir warten auf weitere Unterstützung", sagt Tiutenko. Für die kommenden Tage seien mehrere Demonstrationen und Kundgebungen organisiert worden. In einem ist er sich ganz sicher: "Die Ukraine wird das überleben - da bin ich fest von überzeugt."


Mitarbeit: mb, er, dvl, job 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.