Übernachtung im Tiny house: Nachts in der Tollwood-Schachtel

München - Gegen halb drei nachts rüttelt jemand an der Tür. Vielleicht ein Betrunkener, der sich den Heimweg sparen will und schaut, ob das kleine Haus auf dem Tollwood-Gelände offen ist. Doch das Tiny Haus ist besetzt, ich schlafe darin – eigentlich, wenn nicht fünfeinhalb Meter von mir entfernt jemand lärmt.
Das 15 Quadratmeter kleine Tiny House von Architekt Van Bo Le-Mentzel steht bis 21. Juli auf dem Tollwood und soll Anregungen liefern, wie man auch leben kann. Gebaut haben es Studenten der Uni Hildesheim auf einem Transportanhänger und bisher gibt es nur ein Duplikat in China. Es ist eine Dessauer Bauhaus-Miniatur und als Zwei-Raum-Wohnung für zwei Personen mit Bad und Küche gedacht.
Sitzecke, Schlafsofa und Kochnische
Darin laden eine Sitzecke und ein Schlafsofa zum Verweilen ein, zum Schmökern liegen Bücher wie "Stadt, Land, Überfluss – Warum wir weniger brauchen als wir haben" oder "Städte für Menschen" aus. Untertags ist es vor allem warm in dem kleinen Bauhaus, die Sonne knallt durch die Fensterfront. Trotzdem schieben sich die Tollwoodbesucher zwischen 14 und 23 Uhr unter der Woche und ab 11 Uhr am Wochenende durch das 2,40 Meter breite Häuschen. "Designerschuhschachtel" sagen die einen, "Cool" finden die anderen.

Als ich gegen 23.30 Uhr einziehe, zeigt sich, wie öffentlich so ein privater Raum wie ein Tiny House ist – nicht nur auf dem Tollwood. Wenn die Tür nicht abgeschlossen ist, stehen ständig Menschen im Wohnzimmer. Ein höfliches "Entschuldigung, aber ich wohne hier", hilft da wenig. Stattdessen regt es zu Gesprächen an. Aber was wäre der Mensch ohne ein gutes Gespräch?
Neugier sollte man aushalten können
Und so werden Geschichten ausgetauscht über Wagenplatzbewohner, den Geologen, der mit seiner Frau jahrelang mitten in München in einem Wohnwagen auf einer Brachfläche lebte und die Tiny-House-Bewohnerin, die als soziale Skulptur auf einem Ikea-Parkplatz an den Menschen und ihrer Neugier fast verzweifelt ist. Ständig klebte eine platte Nase an der Scheibe.
"Du siehst gar nicht sooo schlimm aus", sagt eine blondierte, junge Frau zu mir. "Ehm, wie meinen?", frage ich. "Dafür, dass du auf 15 Quadratmetern lebst, siehst du gar nicht so schlimm aus."
Morgens erwacht das Tollwood
Das Interesse hält auch an, als ich nach einer weitestgehend ruhigen Nacht dem erwachenden Tollwood zusehe: Radler grüßen, zwei steigen ab und "Wollen nur mal kurz schauen." Einigkeit herrscht darüber, dass ein etwa 40 Zentimeter hohes Waschbecken nur was für very tiny people ist und dass man, um in so ein Tiny House zu ziehen, etwa 95 Prozent des Hausstands entsorgen müsste.

Im Tiny House denkt man darüber nach, was man wirklich braucht
Es entspinnen sich kurze Gespräche darüber, was man wirklich braucht – nicht viel. Was man allerdings braucht: Jemanden, der das Tiny House auf seinem Grundstück erlaubt, ob das nun die Stadt oder ein befreundeter Großgrundbesitzer ist. Wer auf Wasser und Strom verzichtet, kann das Tiny House aber auch auf jedem Parkplatz abstellen.
Ich habe mittlerweile Besuch von einer Kollegin bekommen und wir backen uns in der winzigen Küche Pfannkuchen heraus. Zu viele dürfen wir nicht essen, sonst kommen wir in der Küche nicht mehr aneinander vorbei. Weil’s schon wieder warm wird und drin nicht allzuviel Platz ist, setzen wir uns vor das kleine Haus.
Um uns herum wird gewerkelt, während wir unsere tiny Pfannkuchen essen. Einige der Mitarbeiter haben auf dem Tollwood geschlafen, im Wohnwagen oder im umgebauten Bus. Für sie ist das ihr alltägliches Leben für mehrere Monate Auf- und Abbau des Festivals.
Lesen Sie hier: Sommer-Tollwood 2019: Öffnungszeiten und Konzerte