Ü30: Hier rockt die Alters-Elite

MÜNCHEN - Jeden dritten Samstag im Monat trifft sich das „Mittelalter“ auf dem Muffat-Gelände in München – zum Abtanzen und Anbandeln. Die AZ war dabei - und wagte sich in eine Disco mal ganz ohne Teenies.
Thomas ist sich seiner Sache sicher. „Ich bin zwar zwei Jahre älter als Brad Pitt, aber ich seh’ besser aus.“ Der 47-Jährige hat blaue Augen, insofern passt der Vergleich mit dem US-Schauspieler. Der Rest ist Geschmackssache. Vor der Muffathalle lehnt Thomas lässig an einem Tisch, Bierflasche in der einen, Zigarette in der anderen Hand.
Neben ihm: sein Kumpel Werner (44). „Hier hat man genau im Blick, wer kommt, wer geht und vor allem wer noch frei ist“, sagt Werner. Die Männer aus Egling sind beide frisch geschieden und auf der Suche nach Abwechslung. Installateur Werner hält Ausschau nach Blondinen, Gastronom Thomas nach „g’scheit Holz vor der Hüttn“. Noch sind sie in der „Sondierungsphase“.
Thomas ist Stammgast auf der Ü30-Party, die Radio Gong und Partyueber30.de jeden dritten Samstag im Monat auf dem Muffat-Areal organisieren. Er hat Werner mitgeschleppt. Um die 2000 Menschen schauen hier in einer Nacht vorbei – das macht die Veranstaltung zur bayernweit größten für die „Alters-Elite“. Und zur idealen Kontaktbörse.
Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist ausgeglichen. Einen Dresscode gibt es nicht. Man trägt, was gefällt: Jeans, Leggins oder Bundfaltenhose, Hippie-Kleid oder Kostüm, Biker-Boots oder Highheels, Pailletten-, Spitzen- oder Kapuzenshirt. Die meisten Gäste sind zwischen 35 und Ende 40.
Da kommen keine Teenager rein
„In den Clubs sind die Leute normalerweise 18 bis 28 Jahre alt. Wenn jemand da drüber ist und keinen Bock hat, sich alt zu fühlen, dann ist das hier eine adäquate Alternative“, sagt Mit-Veranstalter Edgar Gröber (36). Den einen oder anderen Nicht-30er lassen seine Türsteher durchschlüpfen. Unter-20-Jährige haben’s schwer. „Wenn ich die Teenager reinlass’, fühlen sich die Ü30-Gäste nicht mehr unter sich. Aber gerade hier soll sich keine Enddreißigerin darüber ärgern, dass ihr ein junger Has’ die Schau stiehlt.“
Axel und seine Clique gehören an diesem Abend zu den Jüngsten. Der Hotelfachmann ist gerade 30 geworden. Zum Feiern haben ihn seine Kolleginnen auf die Ü30-Party entführt. „Das passt doch“, findet Alexandra. Sie ist erst 25 – was Axel wiederum für den Event passend findet. „Wenn man davon ausgeht, dass Frauen im Schnitt zwei Jahre reifer sind als Männer, dann müssten wir hier doch jemanden für dich finden“, flaxt er. Aber Alexandra ist nicht auf der Suche. Sie will tanzen. „Die Musik ist super“, sagt sie noch – und verschwindet in der Muffathalle.
Der Flirt-Faktor ist enorm
Dort läuft „Don't leave me this way“ und anschließend Foreigners „Urgent“. Hinter dem DJ-Pult steht Karsten Kiessling, Musikchef von Radio Gong. „Sicher ist der Flirt-Faktor hier hoch. Da machen wir uns mal nichts vor“, sagt er. „Viele haben eine oder zwei Ehen hinter sich, sind lange nicht mehr weggegangen und wissen, was sie wollen.“ Beim DJ haben die Damen allerdings schlechte Karten: Er ist verheiratet.
Nebenan im Ampere hat DJ Frank Stängle „Turn up the Radio“ von Autograph aufgelegt. Auf der Tanzfläche lassen zwei schlanke Mitdreißigerinnen in Röhrenjeans und Stiefeln ihre langen Haare fliegen – die eine blond, die andere rothaarig. Ein Jäger im Holzfällerhemd pirscht sich heran, tanzt erst die Blondine an, dann ihre Freundin. Beide lächeln, suchen Blickkontakt. Abwechselnd legt der Holzfäller ihnen den Arm auf die Schulter. Beim nächsten Lied tanzt die Blondine allein mit dem Jäger. Ihre Begleiterin bekommt dafür ein Bier von einem Herrn mit grauen Stoppelhaaren spendiert. Die doppelte Anbandelei hat keine Viertelstunde gedauert.
Auf der Terasse wird die Beute eingekreist
Auf der Terrasse sind mittlerweile auch Thomas und Werner fündig geworden. Zwei Frauen haben sich an ihren Tisch gesetzt. Das Quartett lacht, Stühle werden näher aneinander gerückt. „Die Beute einkreisen“ hat Werner das vorher noch genannt.
Bei Andrea und Caroline (beide 41) hätte ein Werner keine Chance. „Die Männer baggern unwahrscheinlich“, sagt Andrea leicht genervt. Von einer Halle in die nächste ziehen, zwischen Rock, 80ties und House wechseln, ohne extra Eintritt zu bezahlen – das gefällt der Floristin und der Verwaltungsangestellten. Ungebetene Begleiter brauchen sie dafür nicht.
Auch Manuela (27), Moni (36) und Gabriel (36) sind wegen der Musik gekommen. „Diese alten Songs vermitteln dieses wunderbare Ach-weißt-du-noch-damals-Gefühl“, schwärmt der Versuchstechniker aus Wolfratshausen. Die drei fühlen sich pudelwohl. Gegen einen netten Flirt hätten sie nichts einzuwenden. Doch bei Ü30-Feiern sei Vorsicht geboten, sagt Bilanzbuchhalterin Manuela. „Die gelten als ,Hin und mit’-Partys.“ Und als One-Night-Stand wolle man schließlich nicht enden.
Vielleicht würde Manuela beruhigen, was Karsten Kiessling beobachtet hat. „Ich kenne schon ein paar Stammgäste, die auf jeder Party in den Armen einer anderen liegen“, erzählt er. „Aber ich weiß auch von drei Paaren, die sich hier kennen gelernt haben und mittlerweile verheiratet sind.“
Natalie Kettinger