U-Ausschuss zur Zweiten Stammstrecke: Horst Seehofer holt zum Rundumschlag aus

München - Ein Milliardengrab für 7,2 Milliarden Euro und noch dazu eins, das immer später kommt, nämlich 2037 statt 2026: Die Zweite Stammstrecke erhitzt nicht nur die Gemüter vieler Münchner. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag soll klären, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte.
Zweite Stammstrecke: Kerstin Schreyer machte einst vergeblich Druck
Am Montag waren der amtierende bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und der frühere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) als Zeugen geladen.
Bernreiter hatte das Verkehrsministerium im Februar 2022 übernommen, nachdem seine Vorgängerin Kerstin Schreyer (CSU) geschasst worden war – möglicherweise sogar wegen der Zweiten Stammstrecke.
Christian Bernreiter: Zweite Stammstrecke eher "belanglos" abgehandelt
Denn Schreyer hatte mehrfach Druck gemacht, war aber immer wieder bei der Staatskanzlei und auch bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit dem Thema abgeblitzt. Für ihre Lästigkeit bekam Schreyer nach ihrer Aussage in der vergangenen Woche das Lob der Opposition. Aber bei Bernreiters Übergabe, einem Abendessen mit Schreyer sei es nicht um die Zweite Stammstrecke gegangen.
Als "belanglos" beschreibt Bernreiter die Themen. "Mit keiner Silbe" habe ihm Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Infrastrukturprojekt ans Herz gelegt, auch im Kabinett sei es nur dann thematisiert worden, wenn Bernreiter darüber berichtet habe. "Vielleicht drei-, viermal in eineinviertel Jahren."
Bernreiter hat keine Handynummer von Bundesverkehrsminister Wissing
Da muss es laut eines internen Schreibens der Staatskanzlei mal ordentlich "geraucht" haben wegen der Zweiten Stammstrecke. Das räumt auch Bernreiter ein: "Aiwanger, Glauber, Blume und Piazolo." Die hätten sich aufgeregt.

Zwar habe sich Bernreiter schon früh um einen Termin bei Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla bemüht. An dieser Stelle wundert sich auch Ausschussvorsitzender Bernhard Pohl (FW), der ihn als Deggendorfer Landrat offenbar als energisch und durchsetzungsstark in Erinnerung hat.
Ganz anders das heutige Bild: Sowohl Pofalla als auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hätten ihn immer wieder abgespeist, berichtet Bernreiter. Von letzterem "habe ich keine Handynummer, keine SMS. Mir haben sie zwar hochrangige FDP-Politiker versprochen, ich hab sie aber noch nicht" sagt der bayerische Verkehrsminister.
Bernreiter: 14 Milliarden Euro Kosten für die Zweite Stammstrecke sind "spekulativ"
Immerhin, befindet er, sei man mit der Deutschen Bahn nun auf einem guten Weg. Auf AZ-Anfrage will Bernreiter sich aber nicht festlegen, wann das Projekt fertig wird und wieviel es dann kosten wird. Dass der Bund auch tatsächlich zu seiner Zusage steht, 60 Prozent der Kosten zu tragen, davon geht Bernreiter fest aus.
14 Milliarden Euro Kosten, von denen sein Parteikollege und der stellvertretende Ausschussvorsitzende Jürgen Baumgärtner ausgeht, hält Bernreiter für spekulativ. Für den Freistaat könnte es dennoch teuer werden: Denn sinkt die Wirtschaftlichkeit des Projekts, übernimmt der Bund diesen Anteil nicht, und der Freistaat muss dafür aufkommen.
Zweite Stammstrecke: Horst Seehofer kritisiert viele Beteiligte, nennt aber keine Namen
Nach Bernreiters knapp vierstündiger Befragung ist schließlich Seehofer dran – und das völlig freiwillig. Seehofer hatte sich nämlich zu Verfügung gestellt und wäre sonst wohl nicht als Zeuge geladen worden.
Seehofer betonte mehrfach, dass er sich aus dem aktuellen Geschehen heraushalten will: "Jede Zeit und jeder Politiker hat seine eigenen Themen. Deshalb schweige ich seit fünf Jahren zur bayerischen Politik." Im Untersuchungsausschuss zum Nürnberger Zukunftsmuseum sprang Seehofer Söder kürzlich noch bei und verteidigte ihn.
Den Auftritt am Montag kann man hingegen so lesen, dass er seinem Intimfeind Söder ("Schmutzeleien") massiv eins reindrückt. Kann man. Wobei Seehofer vieles revidiert, relativiert und damit etwas rätselhaft bleibt. So erratisch kennt man ihn. Er stand schon immer für ein Spiel des Taktierens, auch wenn das für ihn – siehe das Drama um seine Rücktrittsdrohung als Bundesinnenminister – nicht immer gut ausging.
Horst Seehofer: Projekt hat großen Rückhalt in der Bevölkerung
Fakt ist laut Seehofer: Er habe den Verkehrsminister jeden Monat im Kabinett zur Zweiten Stammstrecke berichten lassen, als er noch im Amt war. Er spricht von einem "pädagogischen" Effekt, um "den Druck aufrechtzuerhalten".
Auch habe er immer gefordert, ein Risikobudget zu berücksichtigen, belastbare Zahlen habe er als Ministerpräsident immer bekommen. Im Wortgefecht mit Martin Runge (Grüne) sagt Seehofer aber explizit, dass er nur seine Amtszeit kommentiere und nicht die seines Nachfolgers.
Seehofer kritisiert viele Beteiligte am Projekt, ohne deren Namen zu nennen: "Ein jeder sagt, dass er es nicht wusste, dass er nicht zuständig gewesen ist, dass er keine Information bekommen hat – das ist nicht meine Vorstellung von Politik!" Was solle da der Pendler denken, der so was lese?
Seiner Erfahrung nach habe das Projekt großen Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Information über Änderungen am Projekt sei daher absolut sinnvoll. Seehofer betont jedoch, dass nachträgliche Änderungen am Projekt sowohl Kosten als auch die Dauer des Baus erhöht haben. Das fünfjährige Schweigen – am Montag wurde es dann doch ein bisschen gebrochen.