Tunick – gut! Ein AZ-Reporter war mittendrin

1700 Münchner waren beim spektakulären Foto-Shooting dabei – Teilnehmer und ein AZ-Reporter schildern ihr Nackt-Erlebnis.
von  AZ/Robert Braunmüller

1700 Münchner beim spektakulären Foto-Termin mit dem US-Fotografen – Teilnehmer schildern ihr Nackt-Erlebnis.

München - Die Münchner in Richard Wagners Element: Rund 1700 Menschen haben sich am Samstag ausgezogen und mit Körperfarbe bemalt. Dann posierten sie in Rot und Gold an verschiedenen Orten in der Altstadt und formierten sich zu Elementen aus Wagners „Ring der Nibelungen“. Die spektakuläre Aktion des US-Fotografen Spencer Tunick (45) ist der Auftakt zu den Opernfestspielen.

Auf dem Max-Joseph-Platz bilden die Teilnehmer rund um das sitzende Standbild des Königs das Hauptmotiv – den Ring. Auf dem Odeonsplatz tummeln sich rote Leiber vor und in der Feldherrnhalle und symbolisieren den Drachenschlund. Ein Berg goldener Körper im Nationaltheater steht für den sagenhaften Reichtum. Eine imposante, eine sehr gute Inszenierung von Spencer Tunick.

Lesen Sie in der Bilderstrecke die Erlebnisse der Teilnehmer.

Hier lesen Sie auch, was München im Vorfeld von der Tunick-Aktion hielt.

 


 

Nackte Unschuld – ein AZ-Reporter mittendrin

Robert Braunmüller über seinen Part als Foto-Model und was das mit Wagner zu tun hat.

Es war Anfang Mai, kurz nach der Bekanntgabe des Projekts. Ich besuchte die Sauna im Westbad und dachte angesichts der dort versammelten Nacktheit: Hier macht es dir nichts aus – warum meldest du dich nicht an? Besser mittendrin, statt nur dabei. Außerdem fand ich, dass Spencer Tunicks Foto-Aktion hervorragend zu den Körperskulpturen von Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ passt. Mit Pornografie hat das nichts zu tun, sondern nur mit der natürlichen Schönheit des Körpers. Und der Künstler suchte auch keine Models, sondern ganz normal aussehende Menschen.

Damit konnte ich dienen. So stand ich am Samstag um drei Uhr früh mit rund 1700 Menschen am Marstallplatz – gut 500 Angemeldete hatte wohl der Mut verlassen. Gegen eine Teilnahmeerklärung und den Verzicht auf allfällige Klagen sogar im Namen der Erben erhielten wir eine Dose mit Farbe nebst Plastikbeutel zur Aufbewahrung der Kleidung. Die angehenden Roten wurden auf die Nordseite des Platzes gebeten, die Goldenen nach Süden. Einzelne tauschten noch die Farben, um mit ihren Freunden zusammenzubleiben. Ein paar Nudisten zogen jetzt schon blank. Zur Abwehr der Kälte schenkte die Staatsoper heißen Früchtetee aus.

Bei Dämmerung um vier erschien der Künstler, stieg auf eine Leiter und erklärte mit dem Megafon die Regeln. Die Roten ließen als erste die Hüllen fallen und schmierten sich mit Farbe ein. Unter Applaus und Gejohle zogen sie Richtung Hofgarten los. Angeblich soll sich ein vorbeifahrender Radler spontan der Aktion angeschlossen haben. Mittlerweile war es hell. Nun kam das Signal für die 700 Goldenen. Man zog sich aus, färbte sich ein und half wildfremden Nachbarn, letzte Blößen am Rücken zu bedecken. Das Gold verstärkte auf eigenartige Weise die Schönheit eines jeden Einzelnen.

Dann folgte der für mich schwierigste Teil: Barfuß von der Rückseite der Oper zum abgesperrten Max-Joseph-Platz. Bei eher kühlen 13 Grad arrangierte Tunick von einem Hubpodest die Körperskulptur, ehe er sie mit drei Kameras festhielt. Seine Befehle per Megafon blieben auf amerikanische Weise erstaunlich höflich: Wir mussten uns hinlegen und durften den Morgenhimmel betrachten. Später kamen die Roten hinzu, zuletzt arrangierte der Künstler alle Beteiligten auf den Treppen der Oper. Ein älterer Mann hatte Mühe mit dem Kieselsteinpflaster in der Mitte des Platzes. Zwei kräftige Rote trugen ihn helfend herunter – ein bewegender Moment spontaner Solidarität innerhalb der Masse und symbolisch für das von dieser Aktion ausgelöste Gemeinschaftsgefühl.

Zum allerletzten Shooting im Königssaal des Nationaltheaters waren nur goldene Frauen zugelassen. Dann ging es zurück zur Kleidung, die inzwischen von einem Sicherheitsdienst bewacht wurde. Fast alle gingen euphorisch, mit heiterer Gelöstheit davon. In diesem Gemeinschaftserlebnis ist die Aktion nicht weit von dem entfernt, was Wagner mit seinem Bühnenfestspiel bewirken wollte – in nackter Unschuld, ohne die nationalistische Einkleidung. Und nun weiß jeder, dass in München eine coole Location mit korinthischen Säulen steht – wer will der Staatsoper diesen Marketingcoup verdenken?

Im heimischen Bad verwandelte sich das Gold rasch in schmutziges Braun. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um halbwegs wieder weiß zu werden. Aber das war es wert. Die Aktion wird mich noch einige Tage begleiten: Die Reste der Körperfarbe weisen verborgene Kalkschlieren in meiner Wanne nach. Aber putzen wollte ich ohnehin.

 

 

 

 

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