Trauma nach Heldentat: Germeringer Lebensretter in Not

Manfred Gmeinwieser rettet zwei Menschen  das Leben, zwei andere sieht er sterben. Seither leidet er an einem schweren Trauma. Seit drei Jahren kämpft er – bekommt aber keine Hilfe
von  Christian Pfaffinger
Lebensretter Manfred Gmeinwiesr: Seit drei Jahren auf der Suche nach Hilfe.
Lebensretter Manfred Gmeinwiesr: Seit drei Jahren auf der Suche nach Hilfe. © Christian Pfaffinger

Manfred Gmeinwieser rettet zwei Menschen das Leben, zwei andere sieht er sterben. Seither leidet er an einem schweren Trauma. Seit drei Jahren kämpft er – bekommt aber keine Hilfe

GERMERING Vielleicht wird Alessandra Gmeinwieser heute noch mit ihrem Mann rausgehen. Alleine schafft er es meistens nicht. Er hat Angst.
Manfred Gmeinwieser, 51, ist ein großer, kräftiger Mann. Früher war er Leibwächter, beschützte Promis, Politiker, Geldige. Er war Chef einer Sicherheitsfirma. Er hat sehr viel erlebt. In heiklen Situationen blieb er ruhig.
Jetzt sitzt er in seinem Wohnzimmer in Germering und sagt: „Ich bin daheim und verstecke mich.” Alessandra schaut ihn an und sagt: „Immer muss ich dich zum Arzt oder zum Einkaufen begleiten. Wenn wir es überhaupt vom Haus weg schaffen.”
Seine Augen röten sich, werden nass. „Das belastet mich brutal”, sagt er und verdrückt sich mit aller Härte eine Träne: „Ich leb’ ja gar nicht mehr.”
Er wischt sich mit einer Hand über die Augen. Sein Vater hat ihm gesagt, er dürfe niemals Schwäche zeigen. Aber Manfred Gmeinwieser kann nicht mehr. Er ist krank. Man sieht es bloß nicht. Manfred Gmeinwieser hat PTBS: eine „Posttraumatische Belastungsstörung”. Ein unsichtbares Leiden.

Wenn internationale Organisationen und die Kirche heute den „Welttag der Kranken” ausrufen und Hilfe für kranke Menschen fordern, dann denken wenige sofort an psychische Verletzungen. Dabei sind die oft schlimmer als das physische Leid.
Manfred Gmeinwieser geht es auch körperlich nicht gut: zwei Herzinfarkte, Bluthochdruck, Diabetes, die Schulter, das Kreuz - 70 Prozent Behinderung ergebe das, sagt er. Damit kommt Gmeinwieser klar. Doch das Trauma kann er nicht überwinden.
Er rettete zwei Menschen, zwei andere starben vor seinen Augen, er sah grässliche Bilder und kämpft heute mit den Folgen. Er fühlt sich im Stich gelassen, niemand kümmere sich. Obwohl er immer geholfen hat:

Am 25. Juli 2007 geht er am späten Abend mit seiner Frau nahe der Bahnunterführung „Am Langwieder Bach” spazieren. Das Paar wohnt damals direkt gegenüber in Lochhausen. Gmeinwieser sieht beim Spaziergang Gestalten auf den Gleisen, er ruft die Polizei. Die kommt und macht sich mit Taschenlampen auf die Suche. Gmeinwieser sieht von seinem Haus aus zu. Ein ICE rauscht vorbei, dann eine S-Bahn. Der zweite Zug erfasst die Polizisten. „Es hat einen grausamen Schnalzerer getan, die Taschenlampe flog ewig weit ins Weizenfeld.” Er läuft zu den Gleisen, sucht die Polizisten. Zwischen meterhohen Brennnesseln findet er einen der beiden. Er ist tot. „Ich habe noch nicht mal meiner Frau erzählt, wie der aussah”, sagt Gmeinwieser. Einige Meter weiter findet er den Kollegen des Getöteten. Der lebt. Gmeinwieser leistet Erste Hilfe, bis ein Notarzt eintrifft. Der zweite Polizist kommt durch.
Nur ein halbes Jahr später: Manfred Gmeinwieser steht an einer Ampel nahe der Unterführung, als er einen Mann sieht, der seinen Hund an einen Baum bindet und dann aufs Gleis steigt. Gmeinwieser rennt nach oben, greift nach dem Mann, packt ihn an seiner Jacke – dann kommt ein Zug und reißt den Mann mit. „Sein Kopf rollte vor meine Füße”, erzählt Gmeinwieser mit Schrecken in den Augen. Er selbst riss sich eine Sehne an der Schulter, weil er den Mann nicht losließ. Sie tut immer noch weh. Doch der seelische Schmerz sitzt noch viel tiefer.

Im Februar 2009 sieht Gmeinwieser von seinem Haus aus eine alte Frau, die auf dem Gleis steht und sich bekreuzigt. Er rennt hinauf und zerrt sie herunter, bevor kurz darauf ein Zug durchsaust. Auch wenn die Rettung dieses Mal gelingt: Die Situation bringt all die schlimmen Erinnerungen wieder zurück.

Heute hat Manfred Gmeinwieser schwere Schuldgefühle. „Die Polizisten waren doch wegen mir auf den Gleisen.” Dass diese selbst den schweren Fehler gemacht haben und unachtsam waren, beruhigt ihn nicht. Die Bilder der Toten lassen ihn nicht mehr los. Er braucht Hilfe, eine Therapie. „Aber niemand kümmert sich, alle schieben mich von links nach rechts”, sagt er. Er fühlt sich im Stich gelassen.
Bereits 2010 beantragt seine Krankenkasse für ihn eine Erwerbsminderungsrente, weil Gmeinwieser durch seine Krankheit arbeitsunfähig ist. Die Rentenversicherung gewährt diese zuerst, prüft nochmal und lehnt den Antrag dann ab. Weil Gmeinwieser doch noch mehr als drei Stunden täglich bei seiner Sicherheitsfirma arbeitet.
Doch die Firma geht im April 2011 insolvent, 40 Mitarbeiter verlieren ihren Job, Gmeinwieser kann nicht anders. Er wartet auf den Bescheid der Rentenversicherung, will eine Therapie machen und gesund werden.
„Ich habe von dem abgelehnten Bescheid nicht erfahren. Irgendwann wurde mir gesagt, es liege noch gar kein Antrag vor.” Also stellt er im Herbst 2012 einen neuen. Aber auch Monate später: Ungewissheit. Ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung sagt zur AZ: „Ich bedaure, dass die Bearbeitung des Antrags so lange dauert. Wir müssen genau prüfen. Zwei von drei internen Gutachten sind bereits fertig.”

Auch von der Landesunfallkasse bekam er noch keine Hilfe. Rund 600 Seiten füllt seine Akte dort schon, trotzdem dauert es noch: „Trotz wiederholter schriftlicher und telefonischer Erinnerungen bei den Gutachtern liegen uns die Ergebnisse der Untersuchungen noch nicht vor”, schreibt die Kasse auf AZ-Anfrage. Man wisse erst seit knapp einem Jahr von den Vorfällen und müsse jetzt nun auf die Befunde warten.

Für Manfred Gmeinwieser ist das Warten eine Folter. „Ich habe schon acht oder neun Gutachten hinter mir und noch immer keinen Bescheid von niemandem. Ich komme mir vor wie ein Simulant.”
Er ist verbittert: „Wenn ein Mensch andere Menschen rettet und dann selbst Hilfe braucht, dann soll ihm schnell und ohne Bürokratie geholfen werden. Alles andere ist schäbig, eine Schande.”
Manfred Gmeinwieser ist mit seiner Frau aus Lochhausen weggezogen, er wohnt jetzt in Germering, wieder direkt an den S-Bahngleisen. Es sind Büsche davor, deshalb geht es. Aber wenn eine S-Bahn ein Signal abgibt, dann fährt ihm das ins Mark. „Danach ist er drei Stunden fertig”, sagt seine Frau. „Manchmal lacht er und weint im nächsten Moment. Und dann kann er es nicht erklären.”
Alessandra Gmeinwieser ist schwanger, das Kind kommt im April. Vom Arbeitsamt bekommt ihr Mann noch bis Ende März Geld. Wie es weitergeht? Sie wissen es nicht.
„Ich komme mir vor wie ein Bettler. Ständig muss ich beweisen, dass ich krank bin”, sagt Manfred Gmeinwieser. „Es ist, als würde ich jetzt selbst im Gleisbett liegen – und keiner kommt.”

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