Trauerrede von Dieter Reiter: "Und was macht ihr jetzt daraus?"

Oberbürgermeister Dieter Reiter mahnt bei der Trauerfeier, von Kronawitters Sinn für Gerechtigkeit und für das "menschliche Maß" zu lernen. Die AZ druckt Auszüge aus seiner Abschiedsrede.
von  Dieter Reiter
OB Dieter Reiter bei seiner Rede bei der Trauerfeier für Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter.
OB Dieter Reiter bei seiner Rede bei der Trauerfeier für Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter. © Daniel von Loeper

Verehrte Anwesende, als ich Schorsch Kronawitter vor einigen Wochen das letzte Mal persönlich getroffen habe, redeten wir wie immer über aktuelle Politik – über die unglaublich hohen Bodenpreise und die hohen Mieten in München.
Aber etwas war anders als sonst. Er bat mich - ganz leise – kurz bevor er ging, bei seiner Trauerfeier zu reden. Und diese Rede solle bitte kurz sein. Ich hatte Tränen in den Augen. Dieser letzten Bitte werde ich selbstverständlich nachkommen, zumal er mir immer ein verlässlicher Freund und wertvoller Ratgeber gewesen ist.

(...) Ich war, wie so viele andere die ihn erleben durften, dankbar für jeden seiner Hinweise. Sie waren nie abstrakt, immer konkret. Sie waren nie abgehoben, hatten immer die Menschen im Blick. Sie waren begründet in den Erfahrungen eines langen politischen Lebens. Eines Lebens, in dem die Stadt München und ihre Bürger immer der Dreh- und Angelpunkt waren.

Aber er hat unser München auch immer von außen betrachtet. Er war eben kein Kirchturmpolitiker, kein bornierter Provinz-Fürst. 1971 hatte er sich, wie schon zuvor auf die Aufgaben des Landwirtschaftsexperten, systematisch auf das Amt des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt vorbereitet.
München war 1972 am Ende einer ersten, langen und stürmischen Wachstums- und Modernisierungsphase nach dem zweiten Weltkrieg. Sein Amt als Oberbürgermeister hat Georg Kronawitter deshalb mit der Botschaft „Menschlichkeit vor Rendite“ angetreten.

Lesen Sie hier: Alt-OB Kronawitter: Reiter und Gabriel bei Trauergottesdienst

In der Rückschau und mit zeitlichem Abstand muten heute die damaligen Generationen- und Richtungsauseinandersetzungen in seiner Münchner Partei – übrigens auch vielen der damals aktiv Beteiligten – ziemlich absurd und grotesk an. Das hat ihn in seiner ersten Amtszeit viel Zeit und Kraft gekostet.
Man kann diese Auseinandersetzungen aber auch als einen vielleicht notwendigen kollektiven Lernprozess ansehen. Einen Prozess, der die Demokratie anderen Herrschaftsformen so überlegen macht und den wir auch heute, angesichts der vielen Angst machenden Entwicklungen, wieder brauchen. Aus diesem Streit heraus ist in den folgenden Jahren das Leitbild der „solidarischen Stadtgesellschaft“ erwachsen.

In der Epoche, in der Georg Kronawitter Oberbürgermeister war, ist München zu der von vielen in aller Welt bewunderten und wirtschaftlich wie sozial so erfolgreichen Metropole mit menschlichem Maß geworden.
Unsere Aufgabe ist es heute, in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung, dieses menschliche Maß unserer Stadt zu bewahren.
Dazu brauchen wir die Phantasie, Ausdauer und das Engagement, das Georg Kronawitter vorgelebt hat. Denn gute Kommunalpolitik, auch das können wir von Georg Kronawitter lernen, macht man nicht mit großen Sprüchen.
Die Menschen schauen genau hin und haben einen Blick dafür, was sich vor ihrer Haustür abspielt. Deshalb ist Kommunalpolitik, auch in einer so großen Stadt wie München, in erster Linie das tagtägliche Bohren vieler dicker Bretter. Dazu gehört natürlich manchmal auch das Beseitigen dicker Bretter vor den Köpfen.

Wenn wir uns einige dieser wegweisenden dicken Bretter und Projekte für eine solidarische Stadtgesellschaft in Erinnerung rufen, die von Georg Kronawitter angeschoben, durchgekämpft und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht worden sind, dann wäre das natürlich nie und nimmer ohne die Beteiligung von vielen anderen Menschen möglich gewesen.
Aber in all diesen Vorhaben scheint eben doch immer auch sein eigener Weg auf. Nur auf einige wenige will ich hinweisen: Die Errichtung des West- und des Nordparks als Teile der grünen Lunge unserer Stadt. Den Bau des Gasteigs, der bis heute, trotz aller Unkenrufe, das erfolgreichste europäische Kulturzentrum ist. Die Einrichtung dezentraler Bürgerhäuser und Kultureinrichtungen.
Die Münchner Biennale für moderne Musik, das Literaturhaus, die Muffathalle oder die erfolgreiche Verlagerung der Messe auf das neue Gelände sowie die Errichtung des Europäischen Patentamts.
Und natürlich hat er auch für die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum das mit seinem ersten großen Thema, dem Kampf für eine gerechte Bodenordnung eng zusammenhängt, viel getan. Das zeigt hinreichend, wie Georg Kronawitter seinen eigenen Weg verstanden wissen will: Als Weg zu einer Stadtgesellschaft, in der sich alle wohlfühlen, aufgehoben und respektiert fühlen können. Als Dienst für ein freies und demokratisches Gemeinwesen, in dem die gleichen Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger gelten, woher immer sie kommen und welchen Lebensstil auch immer sie bevorzugen mögen.
Als einen Kampf gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit und gegen Selbstzufriedenheit.

Schorsch Kronawitter war ein großer Münchner Oberbürgermeister. Er hat unsere Stadt geprägt. Er hat München mit Klugheit und mit Weitsicht mutig vorangebracht. Er hat München als liebenswerte und lebenswerte Heimat für alle bewahrt und ihr den richtigen Weg in die Zukunft gewiesen.
Ja, Schorsch Kronawitter hat sich um unsere Stadt München verdient gemacht. Wenn er uns jetzt zuschaut und zuhört, dann müssen wir auf seine Frage vorbereitet sein: Und was macht Ihr jetzt daraus? Und wir alle müssen uns jetzt, beim Abschied, fragen: Was können wir von ihm und seinem Leben für die Zukunft unserer Stadt lernen? (...)

Erlauben Sie mir deshalb als einem seiner Nachfolger im Amt abschließend drei sehr persönliche Antworten auf die Frage.
Erstens: Georg Kronawitter ist von auswärts, aus einem kleinen Dorf, in unsere große Stadt gekommen. Er war also, wie so viele Münchnerinnen und Münchner, ein Immigrant, ein Zuwanderer. Er ist ein Musterbeispiel für gelungene Integration und ein Wegweiser, wie unserer Stadt besser und reicher werden kann.
Zweitens: Die Augenhöhe, die Schorsch Kronawitter mit de kloane Leit stets hielt, weil sie für ihn immer die Großen waren, das war kein Trick und keine angelernte Attitude. Das war seine Art, seine Grundwerte unserer Demokratie Tag für Tag praktisch und erfahrbar zu machen – ja, sie vorzuleben. Die Grundwerte, die sein Leben bestimmten: Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!

Und Drittens: Wir alle wissen, Schorsch Kronawitter war ein selbstbewusster, ein stolzer und kämpferischer Mann. Seine Jugendgedichte, die er im vergangenen Jahr der Familie und seinen Freunden als sein letztes Buch zukommen ließ, diese Gedichte zeigen einen sensiblen, einen liebevollen und zugewandten Menschen.
Ja, sie zeigen eine zutiefst menschliche Seele, die stärker ist – stärker als der Tod.
Danke lieber Schorsch für Alles!

 

 

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