"Top-Event der Welt": Das ist von der Sicherheitskonferenz in München zu erwarten

München - Rainer Rudolph ist seit 2023 Stellvertretender Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Bis dahin war er als Gesandter an der Deutschen Botschaft Wien tätig. Vorher war er an der Ständigen Vertretung bei der EU in Brüssel und bei den Deutschen Botschaften in Warschau und in Washington eingesetzt. Die AZ sprach mit ihm über "Munich Moments", Donald Trump und den Krieg in der Ukraine.
AZ: Herr Rudolph, ist die Münchner Sicherheitskonferenz ihrem Gründungsanspruch gerecht geworden, die Welt sicherer zu machen?
RAINER RUDOLPH: Unser Motto ist "Peace through dialogue" und in jedem Jahr versuchen wir, einen Beitrag dazu zu leisten. Natürlich findet auch die diesjährige Konferenz im Zeichen von Kriegen und Konflikten statt – Russlands Krieg in der Ukraine, in Gaza nach dem Angriff der Hamas auf Israel, aber auch im Sudan – und alle diese Krisen werden zur Sprache kommen. Allerdings verstehen wir Sicherheit nicht allein als die Abwesenheit von Krieg. Wir haben einen weiten Begriff von Sicherheit. Deshalb werden auch Themen wie Nahrungsmittelsicherheit, Wasserversorgung oder Cybersicherheit auf der MSC wieder eine Rolle spielen.

Sie haben gerade den Krieg in der Ukraine erwähnt, der 2022 wenige Tage nach der Sicherheitskonferenz begann. Präsident Wolodymyr Selenskyj und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko haben damals in München eindringlich vor einer Invasion Russlands gewarnt. Trotzdem schien es, als seien alle überrascht, als der russische Einmarsch begann. Wie war das möglich?
Damals war ich noch nicht bei der MSC, sondern Gesandter an der Deutschen Botschaft Wien. Aber überrascht konnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich niemand mehr sein, weil der Angriff auf die Ukraine monatelang vorbereitet worden war. Der russische Truppenaufmarsch begann ja bereits im Herbst 2021. Und ich würde sogar noch weiter zurückgehen: Diese aggressive Politik hat der russische Präsident Wladimir Putin bereits 2007 bei seinem einzigen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz in seiner Rede angekündigt. Natürlich nicht den Angriff selbst, aber er hat schon damals seinen Anspruch skizziert, eine expansive Politik zulasten der Nachbarn zu führen. Man könnte diese Rede als einen der negativen "Munich moments" in der Geschichte der Konferenz bezeichnen.
Sicherheitskonferenz in München: Worin sie sich heute von ihren Anfängen unterscheidet
Putin selbst kann nicht nach München kommen, weil er dann wohl verhaftet würde. Andere Mitglieder der russischen Regierung könnten "ungefährdet" einreisen, sind aber nicht eingeladen. Die MSC versteht sich als eine Art Brückenbauer – wie sinnvoll ist es da, die "Brücke" nach Moskau abzubrechen?
Mit Blick auf die russische Führung kann ich nur sagen: Nicht wir haben Brücken abgebrochen. Ein Land, das seinen Nachbarn mit mehreren Hunderttausenden Soldaten über einen Zeitraum von zwei Jahren angreift, setzt nicht auf Dialog, sondern auf Konfrontation und Angriff. Daher ist die Regierung in der Tat nicht eingeladen, aber es werden andere Stimmen aus Russland vertreten sein.

Sie haben bereits einen "Munich moment" genannt. Welche gehören noch zu den drei wichtigsten in der Konferenz-Historie?
Sicherlich, als der damalige Außenminister Joschka Fischer 2003 der amerikanischen Regierung sagte, "I am not convinced", als die USA sich auf den Irak-Krieg vorbereiteten. Außerdem würde ich noch den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck nennen, der 2014 in seiner Rede angemahnt hat, dass die Deutschen wieder mehr Verantwortung in der Welt übernehmen.
Inwieweit hat sich die Konferenz im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Im Amerikahaus läuft aktuell eine Ausstellung zu 60 Jahre MSC. Da gibt es ein Foto aus den 1960er Jahren von einer der ersten Konferenzen. Darauf sieht man einen E-förmigen Tisch, an dem sitzen etwa sechzig Männer, alle in Anzügen, und einige rauchen. Was wir am MSC-Wochenende sehen werden, wird sich davon sehr deutlich unterscheiden.

Wie haben sich die Teilnehmerzahlen seither entwickelt?
Am Anfang waren es einige Dutzend – Männer. Heute haben wir einen hohen dreistelligen Teilnehmerkreis, darunter Dutzende Staats- und Regierungschefs, Senatoren und Abgeordnete, Außenministerinnen und Verteidigungsminister. Die MSC ist heute das außen- und sicherheitspolitische Top-Event der Welt.
Haben Sie Verständnis für die Proteste, von denen die Konferenz jedes Jahr begleitet wird? Einer der Vorwürfe lautet etwa, es werde Wettrüsten als Sicherheit verkauft.
Ich war im Oktober in München und habe mich einen ganzen Vormittag mit den Kritikern der MSC ausgetauscht. Denn natürlich nehmen wir Kritik ernst und setzen uns damit auseinander. Das ist Teil unserer Arbeit. Ich weiß nicht, ob wir uns gegenseitig vollends überzeugt haben – aber dass wir darüber sprechen, ist wichtig. Und friedlicher Protest ist sowieso immer erlaubt.
Siko-Vorsitzender Rainer Rudolph: "Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ein Forum für Zusammenarbeit"
Blicken wir in die Zukunft: Die transatlantischen Beziehungen sind ein tragender Pfeiler der Konferenz. Was geschieht, wenn Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht?
Die transatlantische Dimension der Konferenz gehört seit Jahrzehnten zu ihrer DNA. Das wird in jedem Fall so bleiben. Wir haben auch diesmal eine enorme Präsenz aus allen Lagern der amerikanischen Politik. Alle wollen zu uns kommen und den Dialog führen. Ich bin sicher, dass das so bleiben wird – und wir werden alles dafür tun, dass dieser Teil der Konferenz so stark bleibt, wie er ist.
Was passiert, wenn sich Amerika unter Trump aus der Nato zurückzieht?
Für Europa stellt sich in jedem Fall die Frage, wie wir in Zukunft unsere Sicherheit organisieren. Mit den Amerikanern. Wie das stattfinden wird, dafür wird die Münchner Sicherheitskonferenz auch nächstes Jahr ein Forum sein.
Wie sollten die Europäer ihre Sicherheitspolitik in Zukunft ausrichten?
Wie gesagt: einerseits mit den Amerikanern. Andererseits müssen wir Europäer einschließlich uns Deutschen wieder mehr in unsere Sicherheit und Verteidigung investieren. Das drückt sich in Geld aus, das wir im Verteidigungshaushalt ausgeben, aber zum Beispiel auch in der Brigade, die die Bundesregierung künftig in Litauen stationieren will. Das ist ein riesiger Schritt. Trotzdem scheint es mir, dass er im Ausland mehr registriert wird als von uns selbst. Es ist das erste Mal, dass wir Deutschen so etwas an der Ostflanke der Nato tun – aktiv, mit dauerhaft stationierten Soldatinnen und Soldaten –, um die Sicherheit unserer Verbündeten zu gewährleisten. Davon haben wir in Westdeutschland jahrzehntelang profitiert: dass die anderen bei uns waren – und das machen wir jetzt erstmals für die Alliierten.
Wenn Sie in die politische Glaskugel blicken: Was werden weitere Schwerpunkte der nächsten Jahre sein?
Was wir überall feststellen, ist, dass einerseits immer mehr politische Fragen – wie etwa die Finanzierung des Klimaschutzes oder der Schutz vor Pandemien – nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Andererseits erleben wir in vielen Ländern eine Art nationalen Backlash und es sind Bewegungen auf dem Vormarsch, die glauben vermitteln zu können, dass kleine nationale Lösungen die Antwort sind. Dafür zu werben, dass viele Fragen, die uns alle betreffen, in internationaler Zusammenarbeit zu lösen sind, ist eine große Aufgabe. Und man wird in diesem Jahr deutlich sehen, dass die Münchner Sicherheitskonferenz ein Forum dafür ist.