Tonhalle Maag: Schweizer Vorbild für den Gasteig
München - Den Schweizern sagt man nach, dass sie etwas langsam seien. Zu Unrecht. Nur ein Jahr dauerte es, eine Ersatzspielstätte für die sanierungsbedürftige Tonhalle in Zürich zu errichten. Und kosten durfte es auch nur 10 Millionen Franken, weil das Geld für ein Provisorium im Etat des Umbaus vergessen wurde.
Unsere Stadträte sollten in die Schweiz reisen und von den dortigen Erfahrungen lernen: In München rechnet der Stadtrat mit satten 37 Millionen Euro für eine Ersatz-Philharmonie im Gelände der Stadtwerke gegenüber dem Heizkraftwerk Süd. Die Tonhalle liegt im Maag-Areal im Westen der Stadt, etwa 10 Minuten mit der Tram vom Zentrum entfernt. Auch die S-Bahn hält dort. In dem ehemaligen Industriegelände wurde zuletzt gefeiert. Im Umfeld gibt es nicht nur Zürichs größte Autowaschanlage der Stadt, sondern auch (teure) neue Wohnungen, Start-ups, Fitness-Center, Hotels für Geschäftsreisende und Dienstleistungsunternehmen wie die Zentrale eines großen Mobilfunkers.
Lunch-Mobile verkaufen mittags Essen und verbreiten einen Hauch von New York, der Zürich ansonsten fehlt. Das Maag-Areal ähnelt in vielem dem Werksviertel hinter dem Ostbahnhof, wo der Freistaat, wenn alles klappt, in Kürze den vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gewünschten bauen wird. Deshalb ist das Projekt für München in doppelter Hinsicht interessant.
Die vergangene Club-Ära ist noch spürbar
Zwischen den neuen Hochhäusern steht eine alte Fabrik, in der früher Getriebe, Pumpen und Zahnräder hergestellt wurden. Ein Teil nutzte schon bisher die Maag Music Hall, in der Paul Kalkbrenner Techno auflegt oder Musicals gespielt werden. Der Rest ist nun die neue Heimat des Tonhalle-Orchesters. Ein Foyer verbindet beide Spielstätten und bringt zwanglos beide Zielgruppen näher. In einem zweiten Foyer hängt noch ein riesiger Spiegel aus der Club-Ära. Das hat einen ganz eigenen Charme des Provisorischen, der einem Lust macht, nach der Klassik ein Bier zu trinken.
So schmucklos sieht das Gebäude von außen aus. Foto: rbr
Ein paar Meter weiter riecht es nach Wald. Der neue Konzertsaal für 1.200 Besucher wurde als Holzkiste in eine alte Industriehalle hineingestellt. Damit sich die konservativen Züricher Abonnenten nicht groß umgewöhnen brauchen, hat ihn das Architekturbüro Spillmann Echsle in den Formen der Tonhalle errichtet - als Schuhschachtel mit umlaufendem Balkon, nur ohne Belle-Époque-Stuck und Putten.
Als Münchner kommt man sich vor in einem Upgrade des Herkulessaals mit niedrigerer Decke. Lokale Beobachter fühlten sich wegen des hellen unbehandelten Holzes wie in einer finnischen Sauna. Für Hitze sorgt allerdings allein die Kunst, weil der Raum durch Tausende kleiner Löcher im Fußboden belüftet wird.
Für die Akustik sorgte der Münchner Karlheinz Müller - einer der wenigen Konkurrenten des allgegenwärtigen Yasuhisa Toyota. Zur Eröffnung gab es - wie 1895 beim ersten Abend der alten Tonhalle - die unvermeidliche Neunte Ludwig van Beethovens und ein modernes Stück. Das war damals das "Triumphlied" von Johannes Brahms. Am Mittwoch spielte der australische Komponist Brett Dean vor Beethoven selbst die Urauführung seines Bratschenkonzerts.
Mit dieser Kombination lässt sich die Akustik gut austesten. Leise, kammermusikalische Passagen klingen in der Tonhalle Maag gut und deutlich. Lautes wirkt nie übersteuert. Ein dezenter Hall legt einen leichten Weichzeichner auf die Musik. Das ist Geschmackssache. Kenner der örtlichen Gegebenheiten sprechen von einem guten Kompromiss aus der eher warmen, runde Akustik der alten Tonhalle und zeitgemäßen Wünschen nach mehr Durchhörbarkeit.
Der früher an der Bayerischen Staatsoper engagierte Tariq Nazmi sang das heikle "O Freunde, nicht diese Töne" machtvoll, die von Florian Helgath einstudierte Sing-Akademie klang frisch und ohne Schärfen. Über die gebremste Emphase des bald scheidenden Chefdirigenten Lionel Bringuier zu sprechen, ist hier nicht der richtige Ort.
20 Prozent der Abonnenten haben gekündigt
Das beste Orchester der Schweiz hat jedenfalls für die kommenden drei Umbaujahre und den Neuanfang unter Bringuiers Nachfolger Paavo Järvi eine angemessene Spielstätte erhalten. Gastorchester treten zwar lieber im nahen Luzern auf, aber auch sie werden die neue Tonhalle Maag zum Zweifel nicht verschmähen. Nur das Publikum muss noch mitziehen. 20 Prozent der Abonnenten haben gekündigt, aber immerhin 80 Prozent sind geblieben. In Zürich versteht man das als Chance auf einen Generationswechsel.
Auch das ist eine Lehre, die man für München ziehen sollte: Der Wechsel in eine andere Spielstätte muss lustvoll kommuniziert werden. Das scheint die Tonhalle bisher nicht übertrieben zu haben. Die Erst-Besucher wirkten allerdings begeistert - und so etwas steckt mehr an als teure Werbung. Und mancher sagt schon jetzt: Dieser Saal ist viel zu schön, um ihn nach drei Jahren wieder abzureißen.