Todkranke Mutter: Noch einmal mit der Familie Weihnachten feiern

Sonja (40) hat Krebs, sie wird bald sterben, das wissen auch ihre Buben Henrik (4) und Benjamin (9). Wie sich eine Familie auf den Tod vorbereitet.
Weihnachten ist ihr großes Ziel. Seit Februar weiß Sonja P. (40), dass sie todkrank ist. Es sind nur Tage, Wochen, vielleicht Monate, die der krebskranken Mutter von zwei kleinen Buben (vier und neun Jahre alt) noch bleiben.
Mit Hautkrebs hat es begonnen, doch inzwischen haben sich die Metastasen und Tumore in der Lunge und im Oberschenkel ausgebreitet. Vor drei Monaten wurden die Schmerzen zu groß. Seitdem ist sie auf den Rollstuhl angewiesen.
Und doch lächelt sie tapfer, als sie den Besucher in der lichtdurchfluteten Riemer Wohnung empfängt. „Es fällt mir vielleicht leichter als einem Laien, damit umzugehen“, sagt die Diplom-Pflegewirtin. Sie hat lange Jahre als Universitätskrankenschwester gearbeitet.
Ganz bewusst hat sie – aufgrund ihres Hintergrundwissens – die Behandlung mit der Chemotherapie abgelehnt. Aussicht auf Heilung hätte sie nicht gebracht, weil sich die Metastasen bereits ausgebreitet hatten. Die Therapie hätte ihrer Meinung nach ihre Lebensqualität zu sehr eingeschränkt, denn sie weiß: „Chemotherapie ist so belastend.“
Sie geht einen anderen Weg. „Ich habe mich entschieden, möglichst lange in gutem Zustand weiterzuleben.“ Vor allem für ihre Kinder Benjamin (9) und Henrik ( 4) und ihren Mann Karl. Auch Karl ist vom Fach. Er arbeitet als Krankenpfleger. Dennoch: „Eine Chemo hätte uns als ganze Familie zusätzlich angestrengt.“
So ist jeder Tag „ein Geschenk“. „Ich weiß jetzt, dass vieles nicht wichtig ist.“ Wichtig, das ist die Zeit mit der Familie. Gemeinsam waren sie im Sommer zwei Mal in Jesolo campen. Ein ganz einfacher Urlaub, keine exotische Weltreise. Möglich war das nur noch, weil Karl als Krankenpfleger weiß, wie er helfen kann.
"Zunächst war es nur ein Husten"
Wenn die Kinder nicht da sind, hätte sie viel Zeit zum Lesen – früher war das ihr großes Hobby. Doch sie hat das Interesse verloren. „Statt dessen denke ich viel über mein Leben und Sterben nach.“ Geblieben ist ihre alte Begeisterung für Tai Chi. Die Übungen kann man auch im Sitzen machen. Sie sind gut für die Atmung und zum Entspannen.
Wie hat sich die tödliche Krankheit bei ihr bemerkbar gemacht? „Zunächst war es nur ein Husten. Den habe ich lange auf eine Allergie geschoben.“ Doch bei einer Untersuchung kam heraus, dass in der Lunge bereits zwei Tumore wuchsen. Ein Schock.
„Aber Angst oder Panik hatte ich nie.“ Sie fängt sich schnell. Auch wegen und für die Kinder. Früh entschließt sie sich, es den Buben zu sagen. „Wir waren sehr offen. Die Kinder wachsen da mit rein.“ Auch wenn es nicht immer leicht ist. Was soll sie antworten, wenn der Kleine fragt: „Wann stirbst du, Mama?“
Anfangs geht es ihr körperlich noch gut. Doch schon bald schafft sie ihren Alltag nicht mehr allein. „Man braucht ein Netz, das hilft.“ Sie bekommt Unterstützung vom Hospizdienst „Da-Sein“, der sich um die Bürokratie, den „Dschungel an Institutionen“, die Pflege- und Haushaltshilfen, aber auch die Schmerzmedikation kümmert. Sie schätzt die familiäre Atmosphäre des Hospizdienstes. „Man braucht jemanden, der sich auskennt.“
Und jemanden, der zuhört. Doch selbst Freunde meiden das Thema, berichtet sie. Wohl in der irrigen Meinung, es würde sie zu sehr belasten, über den Krebs zu sprechen. Hier kommt Helga Hockel von „Da-Sein“ ins Spiel. Die ehrenamtliche Hospizbegleiterin ist für Sonja P. da, wenn sie gebraucht wird. Mit ihr kann sie reden. Über ihre Ängste, ihre Wut über die Ungerechtigkeit, über ihre Hoffnungen. Auch über Dinge, mit denen sie ihre Familie vielleicht nicht belasten will. „Jetzt ist es der Abschiedsschmerz.“
Es sind lange, intensive Gespräche, berichtet Helga Hockel. Sonja P. ist für sie eine besondere Frau. „Sehr klug, sehr differenziert.“ Die hauptberufliche Kinder- und Jugendtherapeutin findet auch die Entscheidung, den Kindern vom nahenden Tod der Mutter zu erzählen, absolut richtig: „Das müssen Kinder wissen, sonst fühlen sie sich betrogen.“
"Ich will zu Hause sterben"
Fremde ins Haus zu lassen, war nicht leicht für die kleine Familie. „Wir haben die Türen aufmachen müssen. Das ist auch anstrengend“, findet Sonja P. Aber es war wohl unausweichlich. „Ich kann mich nicht mehr selber waschen oder anziehen.“ Der Pflegedienst hält auch Kontakt zur Ärztin. Denn eins steht für die Frau fest: „Ich will nicht in eine Klinik. Ich will zu Hause sterben.“
Trost kommt auch von den Kindern: „Mein Ältester hat gesagt, dass ich nicht traurig sein müsse: ’In der Welt geht alles vorbei’.“ Benjamin ist ihr sehr nah, sagt sie. Und das spürt man, wenn sie über ihn spricht. Auch Henrik versucht mit seinen vier Jahren, zu trösten: „Mama, du braucht keine Angst zu haben. Du kommst als anderer Mensch wieder.“
Sie lächelt. Es ist ein schöner Herbsttag in Riem. Sonja P. überlegt, ob sie noch einmal rausfahren soll, in die Sonne. Bis die Kinder aus Schule und Kindergarten zurückkommen, ist noch ein wenig Zeit.
John Schneider