Tobias' Weg aus der Magersucht

Immer mehr Jugendliche leiden an Essstörungen - nicht nur Mädchen. Tobias (17) wäre fast gestorben – Zwangsernährung und Therapien brachten ihn zurück ins Leben.
von  Nina Job
Mit 14 erkrankte Tobias an Magersucht. Heute ist er wieder gesund.
Mit 14 erkrankte Tobias an Magersucht. Heute ist er wieder gesund. © job

Immer mehr Jugendliche leiden an Essstörungen - nicht nur Mädchen. Tobias (17) wäre fast gestorben – Zwangsernährung und Therapien brachten ihn zurück ins Leben.

München -
Dass Tobias einmal magersüchtig war, sieht ihm heute niemand mehr an. Der 17-Jährige ist 1,79 Meter groß und wiegt 67 Kilo. Vor zwei Jahren war es die Hälfte – damals wäre er fast gestorben. „Wenn er einen Tag später in die Klinik gekommen wäre, hätte es zu spät sein können, haben uns die Ärzte gesagt“, sagt seine Mutter (45).

Tobias war zuletzt in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee in Behandlung. Dort findet am kommenden Wochenende ein Symposion mit 250 Teilnehmern statt. Die Themen heißen: Depression, Essstörungen und Smartphone-Sucht. Die Zahlen sind alarmierend: „Jeder fünfte bis sechste Jugendliche zeigt psychische Auffälligkeiten“, sagte Ulrich Voderholzer, ärztlicher Direktor der Schön Klinik, gestern im Presseclub München. „Aber höchstens jeder zweite kommt in Behandlung. Die therapeutische Versorgung ist in vielen Regionen noch sehr unbefriedigend.“ Dabei seien bei früher Therapie chronische Erkrankungen vermeidbar.

Nach einer Hochrechnung der Kaufmännischen Krankenkasse mussten 2013 in Bayern rund 8000 Patienten wegen Magersucht und Bulimie (Ess-Brechsucht) in eine Klinik eingewiesen werden, das ist im Vergleich zu 2012 ein Plus von 20 Prozent.

Jungen flüchten sich häufiger in die virtuelle Welt von Internet und Smartphone, aber auch sie können an einer Essstörung erkranken. „Da gibt es eine hohe Dunkelziffer“, sagt Chefärztin Silke Naab von der Schön Klinik. Mangelndes Selbstwertgefühl, Konflikte in der Schule oder zu Hause, eine genetische Vorbelastung und Schönheitsideale können die Krankheit auslösen.
Der Leidensweg von Tobias begann mit der blöden Bemerkung eines Schulkameraden. Vor zweieinhalb Jahren wog Tobias noch rund 20 Kilo mehr: „Ich beschloss abzunehmen“, sagt er und begann zu hungern. Er joggte täglich acht Kilometer und aß immer weniger. „Irgendwann hab’ ich nur noch eine halbe Semmel ohne Belag gefrühstückt und zum Mittag eine Mini-Portion gegessen.“ Er nahm dramatisch ab, nach neun Monaten wog er nur noch 45 Kilo.

„Er ließ niemanden mehr an sich heran. Wir mussten hilflos zusehen“, berichtet seine Mutter. Tobias wurde immer schwächer. Als er keine Kraft mehr zum Joggen hatte, walkte er weiter. Dann ließ die Konzentration so nach, dass er die Schule nicht mehr schaffte. Schließlich war er zu schwach, eine Treppe hoch zu gehen, am Ende konnte er sich kaum noch alleine auf den Beinen halten. Tobias kam als Notfall in eine Klinik und wurde vier Monate zwangsernährt. Es folgten zwei stationäre Therapien.

Heute sagt er: „Es geht mir wieder gut. Ich bin viel fröhlicher.“ Auf die Waage steigt er nur noch, wenn ein Arzt es will. Und ab und zu kauft sich der angehende Schreiner mit Freunden auch mal eine Pizza. Das wäre vor zwei Jahren undenkbar gewesen.

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