Tief in Münchens Arterien

Drei Millionen Liter Wasser fließen täglich in den Kanal: Ein Ausflug in den Untergrund
Es dampft aus dem Schacht. Ein warmer, gärig riechender Klärdunst steigt einem entgegen, wenn man über eine Treppe an der Türkenstraße, Ecke Akademiestraße, hinabsteigt in das rund 2400 Kilometer lange Kanalnetz der Stadt München. An den Wänden des Backsteintunnels aus dem Jahr 1884 wuchert ein geleeartiger Belag.
„Das Wasser, das hier vorbeirauscht, kommt direkt vom Stiglmaierplatz", erklärt Ben Tax(56) von der Münchner Stadtentwässerung, der seit vielen Jahren durch die Kanalisation führt. „Die beiden Brauereien dort, Löwenbräu und Spaten, führen das viele warme Wasser und die Hefebakterien zu, die hier überall wachsen.“
Die Wasserströme können genau – von Abzweigung zu Abzweigung – nachvollzogen werden. Detektivisch tasten sich Ben Tax und seine Kollegen vor, wenn es darum geht, Wasserverschmutzer ausfindig zu machen. Denn was heute streng überwacht wird, war früher gang und gäbe: Abfälle und Müll wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts einfach in die Abortgruben geschüttet. Da bedurfte es schon des Arztes Max Josef von Pettenkofer (1818-1901), um die Choleraepidemien auf die Trinkwasserverschmutzung zurückzuführen.
„Die Münchner ärgerten sich anfangs über diesen ,Scheißhäuslapostel’“, erzählt Tax. „Er ließ als erster teure Kanalanlagen bauen und holte das Trinkwasser aus dem Mangfalltal, also mussten die Bürger jetzt auch dafür zahlen.“ Heute verdanken wir ihm unser sauberes Trinkwasser.
Wieder an der Oberfläche geht es mit dem Auto weiter, zur nächsten Station, dem Regenrückhaltebecken in der Schenkendorfstraße. Gegenüber glitzern die Highlight Towers in der Sonne, steigt man die 59 Stufen hinab, steht man in einer riesigen Säulenhalle: Heute ist das Becken leer, aber an den bröckligen Ablagerungen am Beton kann man gut die Wasserstände regenreicherer Tage erkennen.
Hinter einer Mauer, einer so genannten Tauchwand, die feste Rückstände aus dem Klärwasser filtert, hört man den Strom rauschen. Gut vorstellbar, wie hier die braune Brühe aus den Schotten schießt. „Bei einem Gewitterregen ist das Becken binnen 15 Minuten voll“, erklärt Tax, „und das fasst als kleinstes von sechs Münchner Regenüberlaufbecken immerhin 20000m³ Abwasser.“ Ist die Halle gefüllt, läuft das Wasser über in ein weiteres Speicherbecken und erst dann, schwappt das Wasser in die Isar. Allerdings in derart kleinen Mengen, dass seit einigen Jahren das Baden in der Isar – aus hygienischer Sicht – unbedenklich ist.
Unser letzter Einstiegspunkt liegt am Nordfriedhof. Hier ist gerade ein neues Bauprojekt abgeschlossen worden. Jetzt kann man in einem stillgelegten Abwasserkanal den gesamten Friedhof unterqueren. Am Fuß der Treppe in den Schacht steht eine Kiste mit Fundsachen, die aus dem Abwasser gefischt wurden: Spülbürsten, Scharniere, Gebiss-Teile. Über einen schmalen Tunnel, gelangt man in die Regenüberlauf-Anlage. Hier im Norden der Stadt, kurz vor den Klärwerken Gut Marienhof und Gut Großlappen, sind die Rohre bereits meterdick und dadurch passierbar. „Die Idee, den Münchnern ihre modernen Abwasserkanäle zu zeigen, hatte schon Pettenkofer“, meint Tax. „Er warb damit für sein neues System.“ Seit den 80er Jahren ist das Interesse an Umweltfragen erheblich gestiegen. „Jetzt wollen die Bürger freiwillig in den Kanal.“ Und auch der Beruf des Kanalarbeiters hat sich inzwischen rehabilitiert. „Heute kann man stolz darauf sein, ein Kanaler zu sein.
Johanna Jauernig
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