Thomas Lechner: Beim Gärtnerplatz hat der Oberbürgermeister versagt

Alkoholverkaufsverbot am Abend? Trinkverbot? Die Linken im Rathaus sagen – als einzige – Nein dazu. Warum, das erklärt ihr Stadtrat Thomas Lechner.
von  Irene Kleber
Der Gärtnerplatz - tagsüber recht leer, abends vielen zu voll. (Archivbild)
Der Gärtnerplatz - tagsüber recht leer, abends vielen zu voll. (Archivbild) © Philipp Hartmann

München - Es könnte eine Frage von Tagen sein, bis OB Dieter Reiter (SPD) das stadtweite Alkohol-To-go-Verkaufsverbot am Abend anordnet – und das Trinkverbot auf öffentlichen Plätzen ab 23 Uhr. Wie am Dienstag beschlossen, tritt es in Kraft, wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen 35 Personen je 100.000 Einwohner pro Woche überschreitet.

Die Linke im Rathaus drängt auf eine andere Lösung. Thomas Lechner (58) ist Demo-Veranstalter, Kulturschaffender und DJ. Der parteilose Stadtrat der Fraktion Die Linke/Die Partei im Interview.

Thomas Lechner.
Thomas Lechner. © imago images/ZUMA Press

Thomas Lechner: "Immer erst konstruktive Angebote" machen

AZ: Herr Lechner, Ihre Linke-Fraktion hat sich gegen Alkohol- und Platzverbote gestellt. Warum?
THOMAS LECHNER: Weil das unsinnig ist – und viel zu früh kommt. Wenn wir die jungen Leute draußen vertreiben, werden sie sich in geschlossenen Privaträumen treffen, wo wir keine Möglichkeit mehr haben, sie an Abstandsregeln zu erinnern. Da sind dann die Fenster zu, da gibt es keine Frischluft. So steigt das Ansteckungsrisiko noch mehr. Dazu kommt der Frust, der sich entladen wird.

Sie fürchten Eskalationen?
Wenn die Polizei die Anordnung durchsetzt, laufen wir sehenden Auges darauf zu, dass irgendwo fünf oder zehn Leute eine Hauerei anfangen. Dann könnte man sich die Hände reiben und sagen: Ha, wir haben Recht gehabt. Aber wir denken, dass vor Restriktionen immer erst konstruktive Angebote kommen sollten.

Zu Fuß einen Kilometer weg vom Gärtnerplatz: der Mariahilfplatz. Hierhin könnte man Feiernde umleiten, schlägt Thomas Lechner vor.
Zu Fuß einen Kilometer weg vom Gärtnerplatz: der Mariahilfplatz. Hierhin könnte man Feiernde umleiten, schlägt Thomas Lechner vor. © Daniel von Loeper

Thomas Lechner: OB Reiter hat die Lage "ausgesessen"

Was ist die Alternative zu solchen Verboten?
Na ganz einfach: die Leute von den Orten wegzulenken, sobald es zu voll wird. Alternativplätze in der Nähe zu gestalten – mit Sitzgelegenheiten, Paletten, Blumenkübeln, Mülleimern, Klohäusln. Den jungen Leuten mehr Raum geben. Das hätte der Oberbürgermeister am Gärtnerplatz vor Wochen in die Wege leiten können!

Stattdessen hat er das Problem ausgesessen?
Er hat es ausgesessen, anstatt konstruktiv zu sein. Die Lage, wie sie heute ist, hat er durch Nichtstun selbst verschuldet, da hat er eindeutig versagt.

Option zwei: Hinters Sendlinger Tor an die Herzog-Wilhelm-Straße.
Option zwei: Hinters Sendlinger Tor an die Herzog-Wilhelm-Straße. © Daniel von Loeper

Wohin hätten Sie die Gärtnerplatz-Feiernden denn längst umgelenkt?
Ich sehe mindestens vier einfache Möglichkeiten: Nach Nordwesten über die Corneliusstraße zum Unteren Anger am hinteren Teil vom Jakobsplatz, das sind sieben Minuten zu Fuß. Oder auf die Fläche hinterm Kiosk am Sendlinger Tor in der Herzog-Wilhelm-Straße, das ist ein Kilometer.

Wo noch?
Über die Klenzestraße nach Südwesten rüber zum Stephansplatz, wo der Pink-Christmas-Weihnachtsmarkt sonst stattfindet. Auch nur ein Kilometer. Und als Viertes nach Süden über die Corneliusstraße oder die Reichenbachbrücke zum Mariahilfplatz.

Ebenfalls nicht weit entfernt ist der lauschige Stephansplatz, an dem man gut sitzen und ratschen könnte.
Ebenfalls nicht weit entfernt ist der lauschige Stephansplatz, an dem man gut sitzen und ratschen könnte. © Daniel von Loeper

Warum, glauben Sie, könnte so ein Umlenken klappen?
Weil am Gärtnerplatz dann freundliche Ordner von der Stadt stehen, die den Leuten sagen: So, jetzt sind wir schon 400 Leute hier, das wird zu voll. Ihr geht jetzt mal bitte da lang zu dem und dem Platz, da sind auch coole Sitzgelegenheiten, da dürft’' ihr gern weiterfeiern.

Sie haben schon im Juni versucht, im Stadtrat den Dringlichkeitsantrag durchzusetzen, dass die Stadt nach Züricher Vorbild Freiflächen für junge Leute ohne Konsumzwang schafft, um die Lage am Gärtnerplatz zu entzerren.
Ja, und da bin ich massiv ausgebremst worden. Keine der Parteien hat mich unterstützt, obwohl ich Jugendvertreter, Wohlfahrtsverbände, Eventveranstalter hinter mir hatte. Sie haben später sogar Leute von Party-Kollektiven ins Rathaus geholt, damit die den Stadträten erklären, wie sich trotz Abstandsregeln Partys im Freien feiern ließen, als Ersatz für die geschlossenen Clubs. Man war recht angetan.

Auch hier, im hinteren Teil des Jakobsplatzes, könnte die Stadt Sitzplätze für die Jugend bereitstellen.
Auch hier, im hinteren Teil des Jakobsplatzes, könnte die Stadt Sitzplätze für die Jugend bereitstellen. © Daniel von Loeper

 

Thomas Lechner: "Wir haben eben auch die Jugend in München"

Was ist seither passiert?
Nicht viel. SPD und Grüne haben zwar den Antrag aufgegriffen, dass die Verwaltung Plätze suchen soll, auf denen man Partys veranstalten kann. Es gab ein paar Gespräche. Aber da kommt frühestens für nächsten Sommer was heraus. Man hat sich auf die Pläne für den "Sommer in der Stadt" konzentriert.

Sind Sie mit dem "Sommer in der Stadt" denn zufrieden?
Ja, für die Schausteller, die sonst nichts verdienen können, ist das eine tolle und schnelle Lösung geworden. Da sieht man mal, was die Verwaltung auf die Schnelle erreichen kann, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Aber wir haben eben auch die Jugend in München, bei der es nicht ums Geldverdienen gehen kann, sondern um konsumzwangfreien Raum. Um die geht es jetzt. Und zwar, bevor der Sommer vorbei ist.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.