Telefonieren im Untergrund - Nicht jeden freut's

In der Innenstadt kann man jetzt auch in der U-Bahn telefonieren. Bis 2011 soll das überall im MVG-Netz möglich sein. 60 Prozent der Fahrgäste sind jedoch gegen das Blabla in der U-Bahn
von  Abendzeitung
Wegen eines Notarzteinsatzes in der U-Bahn an der Richard-Strauss-Straße kam es zu Behinderungen auf der Linie U4.
Wegen eines Notarzteinsatzes in der U-Bahn an der Richard-Strauss-Straße kam es zu Behinderungen auf der Linie U4. © abendzeitung

In der Innenstadt kann man jetzt auch in der U-Bahn telefonieren. Bis 2011 soll das überall im MVG-Netz möglich sein. 60 Prozent der Fahrgäste sind jedoch gegen das Blabla in der U-Bahn

U-Bahnhof Theresienwiese, gestern Vormittag. Das Handy hat Empfang, die Signalstärke ist ausgezeichnet. Die U-Bahn rollt ein, es geht Richtung Innenstadt. Das Telefonat mit der Redaktion geht weiter – störungsfrei. Rechtzeitig vor dem Wiesn-Start haben die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und Vodafone ein Kernnetz fürs mobile Telefonieren im Untergrund fertig: 4,5 Kilometer lang, zwischen Theresienwiese und Sendlinger Tor, Odeonsplatz, Hauptbahnhof, Marienplatz und Stachus. Und wie so oft im Leben sind die Reaktionen gemischt.

„Endlich ein Stück mehr Sicherheit, ein Stück mehr Lebensqualität für Münchens Bürger“, jubelt etwa Michael Haberland von „Mobil in Deutschland“, der seit dem Jahr 2000 vehement pro Handy kämpft. „Heute wird eine langjährige Forderung der Aktion Münchner Fahrgäste nach mehr Sicherheit im Untergrund erfüllt“, so deren Sprecher Andreas Nagel.

Doch MVG-Chef Herbert König macht zum Auftakt des neuen Handy-Zeitalters einen zurückhaltenden Eindruck. Denn die Verkehrsgesellschaft hatte sich lange gegen die Funkverbindung unter der Erde gesträubt. Immer gestützt auf Umfragen unter Fahrgästen, bei denen sich regelmäßig 60 Prozent und mehr gegen das Handy ausgesprochen hatten.

Nach mehreren brutalen Überfällen in Zügen und U-Bahnhöfen machte sich aber Anfang 2008 auch die Polizei für eine Funk-Erschließung der Röhren stark. König: „Von da an war klar: Dann machen wir das.“

Den Vorwurf, bei der Erschließung des U-Bahnnetzes sei getrödelt worden, weist der MVG-Chef zurück: „Das ist mit Volldampf passiert, es war ein echter Kraftakt.“ Umfangreiche Messungen, die Montage von Antennen und Verstärkern in den wenigen Stunden ohne U-Bahn-Betrieb – für Vodafone, das die Installation für alle vier Netzbetreiber organisiert, war das eine logistische Herausforderung. Denn zentrales Ziel war: Unten sollte dieselbe Empfangsqualität wie über der Erde angeboten werden, so der Vodafone-Regionalleiter Technik, Dieter Vogelhuber.

Weil München recht spät dran ist mit der Erschließung des Untergrunds, genauer gesagt bis gestern sogar die letzte deutsche Großstadt ohne Handy-Empfang in der U-Bahn war, bekommen die Fahrgäste auch die modernste Technik geboten: Neben dem GSM-Netz fürs Telefonieren wurde auch das UMTS-Netz für schnelle Datenübertragung installiert. Auch der kurze E-Mail-Check oder der Blick ins Aktien-Depot sind also kein Problem.

Wobei König keinen Hehl daraus macht, dass ihm die E-Mail-Checker lieber sind als die – womöglich lautstarken – Telefonierer. Denn schon jetzt fürchten Skeptiker, dass sie künftig unfreiwillige Zeugen weitgehend sinnfreier Telefonate werden (siehe unten). Andreas Nagel setzt bei diesem Thema „auf die gegenseitige Rücksichtnahme, die in der Mehrzahl der Fälle auch vorhanden sein wird“.

Rund sieben Millionen Euro geben die Mobilfunk-Betreiber aus. Mehr als 250 Antennen und 100 Verstärkereinheiten werden installiert, um die 75 Kilometer Tunnelstrecke und die 89 unterirdischen Bahnhöfe mit der Außenwelt zu verknüpfen. Mehrere tausend Gespräche gleichzeitig werden möglich sein.

Noch bis Ende 2011 wird munter weiter geschraubt. Heuer werden noch der Ost-Abschnitt der U2 zum Messegelände und der Nord-Ast der U6 bis zum Stadion in Fröttmaning abgeschlossen. 2010 sind unter anderem Teile von U1, U2, U3 U4 und U5 dran, ehe bis Ende 2011 auf fünf Linien die letzten Außenabschnitte dran sind (siehe Grafik).

„Richtig ist, dass die Möglichkeit des Handy-Gebrauchs auch das subjektive Sicherheitsgefühl stärkt, gerade nachts“, sagt MVG-Chef König. Man hat beinahe den Eindruck, er wolle sich selbst von den Vorzügen der digitalisierten U-Bahn-Welt überzeugen.

Rudolf Huber

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