Teile der Münchner Synagoge aus der Isar geborgen: 150 Tonnen Steine

40 LKW mit Fragmenten der früheren Münchner Synagoge wurden unter der Großhesseloher Brücke aus dem Wasser geborgen. Nun lagern die historischen Trümmer vorübergehend an zwei Orten.
Eva von Steinburg |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
1  Kommentar
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Zunächst wird die alte Wehranlage zurückgebaut. Das historische Schleusenwärterhäuschen bleibt.
Zunächst wird die alte Wehranlage zurückgebaut. Das historische Schleusenwärterhäuschen bleibt. © Daniel von Loeper

München - Was für ein Fund. Unterhalb der Großhesseloher Brücke haben Bagger 40 LKW-Ladungen mit Steinen der neuen Synagoge München aus dem Isarkanal geborgen.

In den letzten drei Wochen sind insgesamt 150 Tonnen Steine aus dem Innenraum der früheren Münchner Hauptsynagoge aus dem Fluss gezogen worden.

150 Tonnen Steine der Hauptsynagoge geborgen: Leiter des Jüdischen Museums wird emotional

Viele davon sind mit Rosetten verzierte Schmucksteine und Fragmente von Säulen und Balkonen. Auch eine Gesetzestafel aus Marmor ist dabei, die bis zum 9. Juni 1938 über dem Thora-Schrein gestanden hatte. Die Platten mit den zehn Geboten sind kaum zerstört, nur unten rechts ist ein Stück weggebrochen.

"Das Thema ist für mich emotional. Bisher hatten wir als Museum ein halbes Kilo Thorasteine der Synagoge, die ein Gemeindemitglied als kleines Denkmal nach New York mitgenommen hatte. Und jetzt haben wir 150 Tonnen Steine der Hauptsynagoge", sagt Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums München.

Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums München, spricht beim Fund von einem großen Glücksfall.
Bernhard Purin, Leiter des Jüdischen Museums München, spricht beim Fund von einem großen Glücksfall. © Jüdischesd Museum

Steine der Münchner Hauptsynagoge in "erstaunlich gutem Zustand"

Seit 1955 hatten die Trümmer des jüdischen Gotteshauses in der Isar gelegen. "Außer einem Kalkschleier sind die Steine in einem erstaunlich guten Zustand. Jetzt lagern sie unter freiem Himmel. Ein bisschen Regen, das halten sie aus", erklärt Bernhard Purin. Ein Steinelager hat er persönlich besucht. Auf zwei Flächen der Stadtwerke München lässt das Landesamt für Denkmalpflege die Synagogen-Steine nebeneinander auslegen, die Verzierungen nach oben.

Im Moment werden alle Fragmente sortiert. Rund zehn Prozent stammen von anderen Bauten. Bis Teile des Puzzles einmal Formen annehmen können, vergeht Zeit: "Wir werden bis zu zwei Jahre brauchen, um zu schauen, wie die Steine zusammenhängen. Zum Glück haben wir viele Fotos vom Innenraum der Münchner Hauptsynagoge."

Ein großer Teil der geborgenen Steine aus der "Neuen Synagoge" München, die Ende 1938 abgerissen wurde. Die Steine lagern auf einem Gelände der Stadtwerke München, ganz in der Nähe des Isarwerks.
Ein großer Teil der geborgenen Steine aus der "Neuen Synagoge" München, die Ende 1938 abgerissen wurde. Die Steine lagern auf einem Gelände der Stadtwerke München, ganz in der Nähe des Isarwerks. © Jüdisches Museum

1938: Synagoge in München wurde auf Geheiß von Hitler abgerissen

Doch wie landeten die Trümmer der abgerissenen Synagoge in der Isar? Weil in den 50ern die Gefahr bestand, dass das Isarwehr zum Hochwasserschutz an der Großhesseloher Brücke zu schwach sein könnte, hat man 1955 die Wehrmauer flussabwärts mit Steinen der 1938 abgerissenen "Neuen Synagoge" München stabilisiert.

Die Baufirma Moll hatte die Synagoge auf Geheiß Adolf Hitlers im Juni 1938 abgebrochen. Trümmerteile waren auf dem Firmengelände gelagert. Laut Purin habe die Firma Moll aber ihre nicht ganz unproblematische Firmengeschichte während der Nazizeit gut aufgearbeitet.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

"Unzählige zerstörte Synagogen sind spurlos verschwunden": Fund in der Isar ein "Glücksfall"

In den 80ern sollen noch übrige Fragmente des jüdischen Gotteshauses für die Hügel beim Bau des Westparks verwendet worden sein, sagt Purin. Über die Hügel sind jedoch Gras und Sträucher gewachsen "Ob das stimmt, werden wir nie wissen", meint der Museumsdirektor.

Umso mehr bewegt den Österreicher Purin, dass er bei der Bergung und Begutachtung der alten Gotteshaus-Steine dabei sein kann: "Dieser Fund ist ein Glücksfall. Unzählige zerstörte Synagogen sind spurlos verschwunden. Und in München finden wir die Gesetzestafeln. Sie sind für die jüdische Religion so zentral, wie in der Kirche das Kreuz", erklärt er.

Steine-Fund der Münchner Synagoge schlägt hohe Wellen

Der gewaltige Steine-Fund hat Wellen geschlagen – bis in die USA. Für CNN und die Washington Post hat Bernhard Purin Interviews gegeben. "Für die Nachfahren von Münchner Juden in Amerika hat der Fund eine große Bedeutung. Einige haben mich kontaktiert", sagt Purin.

Zum historischen Hintergrund: Ähnlich wie in Nürnberg stand in München die Hauptsynagoge zentral in der Mitte der Stadt, an der Herzog-Max-Straße, nahe dem Lenbachplatz. 1887 erbaut von Albert Schmidt, der ebenfalls die imposante evangelische St. Lukas-Kirche an der Praterinsel errichtete, hatte die neue Synagoge eine ähnliche Größe und Präsenz, wie St. Lukas am Mariannenplatz heute.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

1938: Aus der Hauptsynagoge wird ein Parkplatz

Mit den Türmen der Frauenkirche im Hintergrund war der gewaltige neoromanische Bau ein Motiv von München-Postkarten. Adolf Hitler störte sich daran. Er ließ die Hauptsynagoge abreißen – für einen Parkplatz. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege unterstützt mit seiner Expertise die nächsten Schritte im Umgang mit den gefundenen Bauteilen. Nach Einschätzung von Generalkonservator Mathias Pfeil ist aus Deutschland kein vergleichbarer Fall bekannt.

Pfeil sagt: "Mit Blick auf die Geschichte Münchens und der Israelitischen Kultusgemeinde besitzt der Fund außerordentliche historische Bedeutung." Im August beginnt der zweite Bauabschnitt bei der Sanierung des Isarwehrs unter der Großhesseloher Brücke. Die Stadtwerke München (SWM) halten es für möglich, dass der Bagger am Isarufer weitere Funde machen wird.


Stadtwerke München: Startschuss zum neuen Wehr am Donnerstag

Seit 1908 ist die Wehranlage Großhesselohe in Betrieb – mitten im Flora-Fauna-Habitat und Landschaftsschutzgebiet. Anlage und viele technische Bauteile sind in die Jahre gekommen, nun sanieren die Stadtwerke das Wehr und schaffen einen Ersatzneubau, der die nächsten 100 Jahre eine optimale Lösung bieten soll, betrieblich, ökologisch und in Sachen Hochwasserschutz. Am Donnerstag war Spatenstich für das Projekt, das bis Herbst 2024 fertig sein soll.

Helge-Uve Braun, Technischer SWM-Geschäftsführer und Christoph Rapp, Leitung SWM Wasserkraft.
Helge-Uve Braun, Technischer SWM-Geschäftsführer und Christoph Rapp, Leitung SWM Wasserkraft. © Daniel von Loeper

Das neue Wehr soll den Hochwasserschutz und die Durchgängigkeit für Wasserlebewesen in der freien Isar und zwischen Isar und Kanal verbessern, etwa mit einer neuen Fischtreppe. Bei alledem wird dennoch der Denkmalschutz berücksichtigt.

Das historische Schleusenwärterhaus und die Floßgasse bleiben. Auch die Wasserversorgung von Werkkanal, Floßlände, Stadtbächen, Heizkraftwerk Süd und innerstädtischen Wasserkraftwerken bleibt aufrechterhalten. 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
1 Kommentar
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • kartoffelsalat am 29.07.2023 07:53 Uhr / Bewertung:

    "40 LKW mit Fragmenten der früheren Münchner Synagoge wurden unter der Großhesseloher Brücke aus dem Wasser geborgen."

    Gut, dass die Lastwagen nicht mehr in der Isar liegen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.