Tausende falsche Masken-Atteste aus Praxis: Angeklagter vorerst freigesprochen

War er vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit? Dem Angeklagten konnte bei dem Prozess am Amtsgericht München kein Vorsatz bei Verwendung eines ärztlichen Attestes nachgewiesen werden. Die ausstellende Praxis soll Tausende falscher Atteste verschickt haben.
von  Klaus-Peter Jüngst
Der Angeklagte war am Ostbahnhof ohne den in der Corona-Pandemie vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz angetroffen worden. Er händigte den kontrollierenden Polizeibeamten ein auf ihn ausgestelltes Attest aus, das ihn vom Tragen einer Maske aus medizinischen Gründen befreit. (Symbolbild)
Der Angeklagte war am Ostbahnhof ohne den in der Corona-Pandemie vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz angetroffen worden. Er händigte den kontrollierenden Polizeibeamten ein auf ihn ausgestelltes Attest aus, das ihn vom Tragen einer Maske aus medizinischen Gründen befreit. (Symbolbild) © imago images/ZUMA Wire

München - Weil die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig: Am 28. Oktober sprach der zuständige Strafrichter am Amtsgericht München einen Handwerker aus München-Sendling vom Vorwurf des vorsätzlichen Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse frei.

Ohne Maske: 23-Jähriger aus Sendling wird am Ostbahnhof kontrolliert

Dem 23-Jährigen wird vorgeworfen, am 23. November vergangenen Jahres gegen 9 Uhr am Ostbahnhof München ohne den in der Corona-Pandemie vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz angetroffen worden zu sein.

Auf Nachfrage händigte er den kontrollierenden Polizeibeamten ein auf ihn ausgestelltes Attest aus, das ihn vom Tragen einer Maske aus medizinischen Gründen befreit.

23-Jähriger fordert Attest per E-Mail bei Arztpraxis an

Er hatte dieses Attest zuvor bei einer Praxis mit E-Mail vom 16. November 2020 zum Preis von 17 Euro erworben. Der Angeklagte war nie  persönlich in der Praxis gewesen, wurde dort also auch nicht untersucht.

Der Angeklagte räumte ein, bei der Kontrolle nach Vorzeigen des Attestes auf Aufforderung der Polizisten einen Mund-Nasen-Schutz angelegt zu haben. Er habe den ihm von Bekannten empfohlenen Arzt per E-Mail kontaktiert und habe dann das Attest per Post erhalten.

Angeklagter: "Ich bin kein Arzt. Ich habe der Praxis vertraut"

"Vor Ort war ich nicht. Zu dem Zeitpunkt war die pandemische Lage so schlimm. Es wurde gesagt, dass man per Telefon Atteste anfragen kann. Nachdem ich das per E-Mail vom Arzt bekam, habe ich telefonisch nochmal die Praxis kontaktiert. Ich habe mir versichern lassen, dass das in Ordnung ist. Ich habe mit der Assistentin gesprochen, welche das ausgestellt hat. (…) Ich bin kein Arzt. Ich habe der Praxis vertraut. Ich habe Beschwerden, die ich habe, an die Praxis geschrieben. Ich habe gefragt, telefonisch. Ich habe allergene Atemnot, Panik und Übelkeit", erklärte der 23-Jährige.

Ermittelnder Polizeibeamter:  4.700 Atteste ausgestellt und per Post verschickt

Schließlich erklärte der Mann im Gespräch nach Aussage der beiden kontrollierenden Polizeibeamten, die handschriftlichen Ergänzungen auf dem Attest mit seinem ersichtlich ausgedruckten Stempel selbst eingetragen zu haben.

Der gegen die ausstellende Praxis ermittelnde Polizeibeamte sagte: "Ich bearbeite das Verfahren von Herrn (N.N.). Herr (N.N.) hat zusammen mit seinen Assistentinnen 4.700 Atteste ausgestellt, die sie per Post verschickten. Die meisten Atteste wurden via E-Mail beantragt bei der Assistentin. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass es zu keiner Begutachtung kam. Das Attest des Angeklagten wurde von Frau (N.N.) ausgestellt. Bereits auf der Startseite des Herrn (N.N.) war ein E-Mail-Verweis zur Masken-Attest-Beantragung. Frau (N.N.) hat wahrscheinlich die Daten eingetragen und in Assistenz geschrieben."

In vielen Fällen gebe es den Nachweis, dass der Arzt einfach Atteste ausgab. Über viele habe der Arzt wohl nicht Bescheid gewusst: "Ich denke, wenn ich mir ein Attest per E-Mail bestelle bei einer 'Ulli Zauberhaft' - ohne Untersuchung und Kontakt zum Arzt -, dann muss mir bewusst sein, muss, dass es kein sicheres Attest sein muss."

"Mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit war die Tatbegehung nicht nachzuweisen"

Es habe auch Personen gegeben, die bei dem Arzt vor Ort waren und Atteste bekamen: "Sie brauchen halt den Arztstempel und die Unterschrift. Nein, ich denke, sie könnten sich das wahrscheinlich nicht so ausdrucken."

"Mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit war ihm die Tatbegehung nicht nachzuweisen. Der Angeklagte ließ sich dahingehend ein, dass Bekannte ihm den Arzt (…) empfohlen hätten. Er habe dann eine E-Mail an die Praxis geschrieben und durch die Praxis habe er das Attest zugesandt bekommen. Während der damaligen Pandemielage sei es zulässig und üblich gewesen, sich Atteste telefonisch ausstellen zu lassen", sagte der Strafrichter in seiner Urteilsbegründung.

Amtsgericht kann dem Angeklagten keinen Vorsatz nachweisen

Die beiden Polizeibeamten hatten erklärt, der Angeklagte habe vor Ort am Ostbahnhof angegeben, dass er die Daten und die Diagnose selbst per Hand in das Attest eingetragen habe: "Dieser Aussage der Polizeibeamten kann das Gericht jedoch aufgrund der Aussage des weiteren vernommenen Polizeibeamten Kriminalkommissar (…) keinen Glauben schenken. Von diesem wurde das Attest in Augenschein genommen. Er gab an, dass das Verfahren gegen den (N.N.) bearbeite und deshalb sehr viele dieser Atteste gesehen habe. Für ihn scheine es so, dass die handschriftlichen Eintragungen auf dem Attest von einer Mitarbeiterin der Praxis, einer Frau (N.N.) stammen."

Weiter legte der Zeuge den E-Mail-Verkehr zwischen dem Angeklagten und der Praxis vor. "Daraus ergibt sich, dass der Angeklagte tatsächlich per E-Mail ein Attest zur Maskenbefreiung anforderte und dabei angab, dass er unter Hautirritationen, gelegentlicher Atemnot und Kopfschmerzen leide. Diese Angaben wurden jedoch nicht wortgleich als Diagnose in das Attest übernommen. Somit musste der Angeklagte nicht davon ausgehen, dass das Attest ausgestellt wurde, ohne dass sich ein Arzt mit den Krankheitssymptomen befasst war. Insofern war dem Angeklagten (…) zumindest kein Vorsatz nachzuweisen, dass es sich hier um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis handelte", argumentierte der Strafrichter.


Urteil des Amtsgerichts München vom 28. Oktober 2021 - Aktenzeichen 824 Cs 234 Js 109736/21. Das Urteil ist aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft nicht rechtskräftig.

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