Aiwanger setzt seinen Willen durch, Söder rasiert einen Minister: Knallstart für Bayern-Koalition

Verträge sind gemacht und unterzeichnet, nur das Personal steht noch nicht fest: CSU und Freie Wähler legen ihre Koalition in Bayern neu auf.
von  Heidi Geyer, Ralf Müller
Sie zankten und sie stritten: Nun machen Hubert Aiwanger (re.) und Markus Söder in Bayern doch wieder gemeinsame Sache.
Sie zankten und sie stritten: Nun machen Hubert Aiwanger (re.) und Markus Söder in Bayern doch wieder gemeinsame Sache. © dpa / Peter Kneffel

München - Die neue bayerische Regierungskoalition steht. Am Donnerstag unterzeichneten die Vorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden von CSU und Freien Wählern (FW) im Akademiesaal des bayerischen Landtags einen 87-seitigen Koalitionsvertrag, der sich, so CSU-Chef Markus Söder, "sehen lassen kann". Zudem wurden schon eine Reihe von Personalentscheidungen bekannt.

Bei der Unterzeichnung hoben die Koalitionäre die zügigen und geräuschlosen Koalitionsverhandlungen hervor. In der "Rekordzeit" von zwei Wochen habe man es geschafft, betonte Söder.

CSU und Freie Wähler setzen Koalition fort: "Der Vertrag atmet Bayern, ist Bayern"

Der CSU-Chef bestätigte, dass der Zuschnitt und die Aufteilung der Ressorts der schwierigste Part in den nur zwei Wochen dauernden Personalentscheidungen gewesen seien, während die inhaltlichen Fragen rasch gelöst werden konnten, weil es zwischen den Partnern keine ideologischen Gegensätze gebe.

Der Koalitionsvertrag stelle das Land "nicht auf den Kopf" und weise Kontinuität auf, setze aber auch mit "70 neuen Projekten" Impulse für Bayern bis 2030. Die Inhalte könne "ein sehr großer Teil der Bayern unterschreiben". "Der Vertrag atmet Bayern, ist Bayern", sagte FW-Fraktionsvorsitzender Florian Streibl.

Markus Söder und Hubert Aiwanger sichern sich gegenseitiges Vertrauen zu

Sechs Stunden saß der engste Führungszirkel der beiden Parteien am vergangenen Mittwoch in der Staatskanzlei zusammen, um die Kabinettsposten aufzuteilen. Man habe "neues Vertrauen zueinander gefasst", unterstrich Söder und nahm damit auf die Konflikte zwischen beiden Parteien und speziell zwischen ihm und FW-Chef Hubert Aiwanger im vergangenen Wahlkampf Bezug.

Aiwanger versicherte, man werde sich nicht mehr "beharken". Die Zahl der Ministerien in Bayern wird nicht erhöht, aber der Wunsch der FW nach einem weiteren Ministeramt wird dennoch erfüllt: Die bisherige Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) muss ihr Amt für den bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer der FW Fabian Mehring frei machen.

Die Freien Wähler bekommen einen weiteren Minister, die CSU wahrt dennoch ihr Gesicht

Nach einer Fraktionssitzung verkündeten FW-Parteichef Aiwanger und Fraktionsvorsitzender Streibl am Donnerstag die Besetzung der ihrer Partei zustehenden fünf Kabinettsposten. Mit der gefundenen Lösung können beide Seiten ihr Gesicht wahren. Einerseits erhalten die FW, die bei der vergangenen Landtagswahl um 4,2 Prozent zugelegt hatten, einen weiteren Minister, andererseits bleibt die Zahl der von ihnen gestellten Kabinettsmitglieder wie bisher bei fünf, was der CSU wichtig war.

CSU-Chef Söder ist mit dem CSU-Personaltableau nach eigenen Angaben noch nicht so weit und will die CSU-Kabinettsmitglieder erst am 8. November vorstellen. "Ob Sie es glauben oder nicht, ich mache mir sehr tiefgreifende Gedanken darüber", so der alte und mutmaßliche neue Ministerpräsident.

Personal-Hammer: Justizminister Georg Eisenreich muss um sein Amt bangen

Die Personalfindung innerhalb der CSU gestaltet sich weitaus komplizierter als bei den FW, weil mehr Interessen unter einen Hut zu bringen und mehr Personen einzubinden sind. Außerdem muss die CSU den komplizierten Regionalproporz berücksichtigen, damit sich jeder CSU-Bezirk in der neuen Staatsregierung einigermaßen vertreten fühlt.

Nach AZ-Informationen schlägt der Proporz im Kabinett bei der CSU jedoch grausam zu. So soll Justizminister Georg Eisenreich um seine Position fürchten müssen, weil ohnehin mit Markus Blume schon zwei Münchner im Kabinett einer zu viel sind. Als Nachfolgerin wird die bisherige Digitalministerin und Unterfränkin Judith Gerlach gehandelt, die sich laut Söder keine "richtig großen Sorgen" machen müsse. Für Europaministerin Melanie Huml aus Oberfranken könnte es eng werden. Mögliche Nachfolger: Michael Hofmann oder Martin Schöffel.

Georg Eisenreich (CSU), war bisher Justizminister von Bayern – droht ihm das Aus?
Georg Eisenreich (CSU), war bisher Justizminister von Bayern – droht ihm das Aus? © Sven Hoppe/dpa

CSU und Freie Wähler wollen keine zusätzlichen Ministerien schaffen

Eine Idee wäre, das Finanz- und Heimatministerium von Albert Füracker mit einem Staatssekretär auszustatten. Zumal sich für Gesundheit insgesamt niemand aufdrängt. Holt Söder womöglich die Pflege-Expertin Emmi Zeulner aus dem Bundestag ins Kabinett? Doch es braucht auch einen Schwaben. Infrage käme beispielsweise Eric Beißwenger als Europaminister.

Immerhin ließ Söder schon indirekt durchblicken, dass er auch künftig auf Innenminister Joachim Herrmann, Finanzminister Albert Füracker und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber setzen wird. Noch nichts Definitives steht für die Besetzung der CSU-Ressorts Justiz, Bau und Verkehr, Gesundheit, Soziales sowie Wissenschaft und Kunst fest, wobei die jetzigen Besetzungen wohl relativ sicher sind. Neue Ministerien werden also nicht geschaffen. 

AfD stärkste Oppositionspartei in Bayern: CSU und Freie Wähler stellen sich auf harte Legislatur ein

Nach einem reinigenden Gewitter zu Beginn der Verhandlungen war es dann doch nicht schwierig, einen Konsens für die "Präambel" zu finden, die auf Wunsch der CSU dem Koalitionsvertrag vorangestellt ist. Darin bekräftigen CSU und FW ihr Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gegen Hetze, Rassismus und Antisemitismus. Die Präambel sei wichtig, weil die kommende Legislaturperiode nicht einfach sein werde, sagte CSU-Fraktionsvorsitzender Klaus Holetschek mit Blick auf die AfD, die im neuen Landtag stärkste Oppositionsfraktion sein wird.

Als Beitrag zur Demokratiestärkung soll in Bayern in allen Schulen ab der fünften Klasse pro Woche eine "Verfassungs-Viertelstunde" abgehalten werden. Gegen den Bürokratieabbau soll eine verstärkte "Paragraphenbremse" helfen. Vorgesehen sind Personalaufstockungen im Kita-Bereich, für Schulen und Polizei, die zum Teil aber schon früher ins Auge gefasst wurden.

SPD und Grüne kritisieren "Kraftlos-Koalition"

Die "Kraftlos-Koalition" liefere kein Zukunftskonzept für Bayern, erklärte die Vorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag Katharina Schulze: "Sie kramt ihre alten Vorhaben aus der Mottenkiste und wiederholt einfach Punkte, die schon 2018 als Ziel formuliert und niemals umgesetzt wurden, wie beispielsweise beim Wassercent."

Der Koalitionsvertrag zähle viele für Bayern wichtige Themen auf, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn: "Das meiste davon war auch schon Thema im Jahr 2018. CSU und Freie Wähler müssen jetzt aber fünf Jahre nachsitzen, weil sie ihre Hausaufgaben in der letzten Legislaturperiode nicht gemacht haben."

Freie Wähler verkünden bereits ihre Kabinetts-Mitglieder

Für sie hat die "Reise nach Jerusalem" ein Ende: Ihr Platz im Kabinett ist fix. Das sind die künftigen Minister und Staatssekretäre der Freien Wähler.

Fabian Mehring: Der bisherige parlamentarische Geschäftsführer der Freie-Wähler-Fraktion wird neuer Digitalminister. Es ist schon etwas ungewöhnlich, dass die CSU ihr heißgeliebtes Digitalministerium abgibt. Judith Gerlach hatte diesen Posten mit Verve und viel Engagement ausgefüllt – obwohl sie eigentlich nix zu sagen hat. Der Zuschnitt des Ministeriums ist so, dass außer Instagramstories nicht viel bleibt, wie böse Zungen behaupten. Ob sich das für ihren Nachfolger ändern wird, ist noch offen.

Mit dem promovierten Politikwissenschaftler Mehring dürfte aber ein ambitionierter Nachfolger gefunden sein. Der Schwabe stammt aus Meitingen im Landkreis Augsburg und hat dort eine klassische Laufbahn in der Kommunalpolitik gemacht: Marktgemeinderat, Kreistag sowie Fraktionsvorsitz in beiden Gremien. Mehring gilt als loyal zu Aiwanger. Besonders in der Flugblatt-Affäre hat er seinen Chef medial wirksam in Schutz genommen. Auch den Erdinger Auftritt bezeichnete er auf X als "fulminant" – "wo er recht hat, hat er recht".

Fabian Mehring.
Fabian Mehring. © Foto: dpa

Anna Stolz: Bislang war sie Staatssekretärin im Kultusministerium. Stolz soll ihren Parteifreund Michael Piazolo an der Ressortspitze ablösen. Bislang ist die 40-Jährige nur wenig in Erscheinung getreten, aber vielleicht war das auch ganz schlau: Dass das Kultusministerium in der Pandemie nicht die beste Leistung abgeliefert hat, sahen damals wie heute viele Bayern so. Dass es Piazolo bei der Kabinettsbildung derbröselt, hatte die AZ bereits im September spekuliert. Nun ist es so gekommen.

Die Tochter eines Volksschullehrers stammt aus Unterfranken, hat Jura in Würzburg, Barcelona und Münster studiert. Aber sie sitzt nicht nur am Schreibtisch: Im zarten Alter von 32 Jahren wurde sie Bürgermeisterin von Arnstein. Zu den Freien Wählern kam sie jedoch erst 2018 und wurde damals in den Landtag gewählt, wofür sie das Bürgermeisteramt niederlegte. Auffällig: Stolz erhielt 2023 nur 16,9 Prozent der Erststimmen. Das Direktmandat ging an CSU-Kandidat Thorsten Schwab mit 42,3 Prozent.

Anna Stolz, designierte bayerische Kultusministerin.
Anna Stolz, designierte bayerische Kultusministerin. © Lennart Preiss/dpa

Die Bayerische Staatszeitung schrieb 2019 über Stolz: "Frische Ideen für Bayerns Schulen. Es könnte sein, dass der Name Anna Stolz schon bald nicht mehr nur Insidern ein Begriff ist." Letzteres ist jedoch nicht erfolgt. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden - eine große Baustelle mit vielen Potenzialen ist das Bildungsministerium auf jeden Fall.

Hubert Aiwanger: Nein, die Affäre um das Flugblatt hat ihm nicht geschadet. Wohl eher genutzt. Hubert Aiwanger sitzt fester im Sattel denn je. Auch wenn er und seine Freien Wähler das Landwirtschaftsministerium nicht bekommen haben, so war doch zumindest ein zusätzlicher Ministerposten drin. Konnte Aiwanger in der letzten Wahlperiode Judith Gerlach einfach abtropfen lassen, wird das nun mit seinem früheren Parlamentarischen Geschäftsführer Fabian Mehring nicht mehr so leicht gehen, wenn er seinen Parteifreund nicht völlig düpieren will.

Hubert Aiwanger.
Hubert Aiwanger. © Lennart Preiss/dpa

Aber Aiwanger hat offenbar schlau und nachdrücklich wie ein niederbayerischer Viehhändler verhandelt und für sich die Zuständigkeit für die Jagd und das Unternehmen Bayerische Staatsforsten herausgeschlagen. Das lag vorher bei der CSU-Agrarministerin Michaela Kaniber. Waidmannsheil und Wirtschaft, ob das mehr Zusammenhang als den gleichen Anfangsbuchstaben hergibt, muss man sehen. Aiwanger gibt im Gegenzug die Zuständigkeit für Tourismus und Gastronomie an die Wirtshaustochter Kaniber ab.

Tobias Gotthardt: Es dürfte für Diskussionen sorgen, dass Roland Weigert, der das zweite Direktmandat für die Freien Wähler holte, keinen Kabinettsposten erlangt hat. Er war bislang Staatssekretär in Aiwangers Wirtschaftsministerium. Dass es zwischen ihm und seinem Chef nicht mehr passte, war aber kein Geheimnis. Nun schaut Weigert offenbar in die Röhre und Tobias Gotthardt aus der Oberpfalz rückt auf seinen Platz im Kabinett.

Tobias Gotthardt.
Tobias Gotthardt. © Sina Schuldt/dpa/archivbild

Der ehemalige Mitarbeiter von den CSU-Politikerinnen Emilia Müller und Gerda Hasselfeldt stammt aus dem Landkreis Regensburg und wurde 2018 in den Landtag gewählt. Was ihn für Wirtschaftspolitik prädestiniert, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Gotthardt hatte zu Jahresbeginn für ein braunes Schild für Kallmünz als "Perle des Naabtals" geworben – nun wandert die Zuständigkeit für Tourismus jedoch ins Agrarministerium.

Thorsten Glauber: Der alte und neue Umweltminister soll laut vielen Stimmen eigentlich mit dem Bauministerium geliebäugelt haben. Es wäre das passende Metier für den gelernten Architekten aus der Nähe des oberfränkischen Städtchens Forchheim. Statt mit der Wohnungsmisere wird Glauber (52) sich nun auch künftig von wütenden Bauern einiges über Wolfrisse und durch die Voralpen streunende Bären anhören müssen. Und über sein Landesamt für Umwelt, das die Risse auswertet und dem viele Landwirte misstrauen.

Thorsten Glauber von den Freien Wählern sitzt seit 2008 im Bayerischen Landtag.
Thorsten Glauber von den Freien Wählern sitzt seit 2008 im Bayerischen Landtag. © Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz/Astrid Schmidhuber

Als ein "netter Kerl" wird Glauber auch von Abgeordneten anderer Parteien oft beschrieben, und das ist gar nicht abschätzig gemeint. Einer, mit dem man reden könne. Dass sein Herz für Naturschutz brennt, das springt einem nicht unbedingt gleich ins Auge. Aber immerhin hat er öffentlich gegen seinen Parteichef rebelliert, als der die bayerischen Klimaschutzziele infrage gestellt hatte. Offenbar ist Aiwanger nicht nachtragend, sonst hätte er ihn sicherlich nicht im Kabinett gelassen.

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