„Tariferhöhung aussetzen“

Andreas Nagel von der Aktion Münchner Fahrgäste fordert ein Entgegenkommen der MVG für alle Kunden. Und kritisiertdie Informationspolitik der Verkehrsbetriebe
AZ: Die MVG gab am Mittwoch bekannt, sie fahre wieder „weitestgehend“ nach Normalfahrplan. Wann haben die Fahrgäste davon erfahren?
ANDREAS NAGEL:Erst am selben Tag auf dem Bahnsteig. Vorher gab es dazu weder Lautsprecherdurchsagen noch wurden die Fahrplanaushänge geändert. Diese Informationsunterlassung ist bedauerlich.
Worüber haben sich die Fahrgäste mehr aufgeregt: Über den Streik oder den Notfahrplan?
Definitiv über den Notfahrplan. Denn jeder wusste, dass zwar seit Wochen nicht gestreikt wird, das Angebot aber massiv eingeschränkt war. Darüber haben sich die Fahrgäste zu Recht empört.
Mit der Folge, dass weniger Münchner öffentlich fuhren. Hat sich die MVG mit dem „Basisnetz“ selbst geschadet?
Wir sehen, dass das System des MVV durch die Einführung des Notfahrplans massiven Schaden genommen hat. Viele Münchner sind aufs Auto umgestiegen, sind lieber zu Fuß gegangen oder geradelt. Das macht sich an den Fahrgastzahlen bemerkbar.
Und dennoch werfen Sie der MVG-Geschäftsführung vor, sie ziehe einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Notfahrplan. MVG-Chef Herbert König bestreitet das.
Die MVG hat durch die Züge, die ausgefallen sind, auf jeden Fall deutlich Kosten gespart. Die von der MVG ins Feld geführten Zusatzkosten durch Leiharbeiter, die als Ausgleich für die fehlenden GDL-Fahrer angeheuert werden mussten, machen das nicht wett. Und gewiss auch nicht die rückgängige Entwicklung der Fahrgastzahlen. Der Notfahrplan deckt maximal 85 Prozent der Leistungen ab, im Gegensatz dazu stehen hundert Prozent Einnahmen bei den Zeitkarten.
Begründet hatte die MVG die Einführung des Notfahrplans auch damit, dass die GDL-Fahrer jederzeit wieder streiken könnten.
Das Argument war längst hinfällig. Denn seit 13. Oktober haben wieder Gespräche der Tarifparteien stattgefunden. Und die klare Aussage der Gewerkschaft war: So lange verhandelt wird, wird nicht gestreikt. Spätestens seit es den Notfahrplan gibt, war mit Streikaktivitäten sowieso nicht mehr zu rechnen. Was hätte es noch für einen Unterschied gemacht, ob gestreikt wird oder nicht?
Kritisiert hat die MVG in diesem Zusammenhang auch den hohen Krankenstand der GDL-Fahrer.
Dass Leute krank werden, gehört zum unternehmerischen Risiko. So etwas muss der Betrieb mit seinen normalen Reserven auffangen können. Eine derartige Unterstellung dagegen beweist nur einmal mehr den sehr ruppigen Umgangston der MVG-Geschäftsführung gegenüber den Mitarbeitern. So behandelt man keine Angestellten.
Die Regierung von Oberbayern hat den Notfahrplan der MVG durchaus kritisch betrachtet, sah ihn jedoch als sachlich vertretbar an. Der Notfahrplan wurde bis zum 30. Oktober befristet.
Ich bin da nicht ganz einverstanden. Die Regierung von Oberbayern hat ein übergroßes Maß an Geduld geübt. Die Aktion Münchner Fahrgäste hätte sich eine strengere Aufsicht gewünscht. Das Unternehmen ist zwar verpflichtet, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Aber dass ganze Linien eingestellt werden, wie das bei den Nachttrams und -bussen der Fall war, ist überhaupt nicht akzeptabel.
Sie fordern, dass die betroffenen Fahrgäste entschädigt werden. Wie?
Das Mindeste wäre, dass Betroffene, die eine Monats- oder Zeitkarte gelöst hatten, mit einem Dreitagesticket entschädigt werden. Oder man setzt die Tariferhöhung um zwei Monate aus. Das käme fairerweise allen Fahrgästen zugute. Angemessen wäre darüber hinaus eine Spende seitens der Geschäftsführung für einen gemeinnützigen Zweck. Interview: Anne Hund
Nächste Woche wird's eng
Wohl am Dienstag: Warnstreiks bei der S-Bahn
Das Chaos im öffentlichen Nahverkehr geht weiter. Denn kaum fahren in München U-Bahnen, Trams und Busse wieder normal, droht die nächste Störung: Die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA (und diesmal nicht die Gewerkschaft der Lokführer) haben im bundesweiten Tarifkonflikt mit den Bahnen „Warnstreiks“ ab Dienstag angekündigt. Wie die AZ erfuhr, sind sie bis zum Freitag angedacht.
Wahrscheinlich ist, dass am Dienstag auch der Bahnverkehr rund um München bestreikt wird. Sowohl die Münchner S-Bahn als auch die Bayerische Oberlandbahn könnten dann stundenweise stillstehen. Konkrete Pläne für einen tage- oder gar wochenlangen Streik gebe es nicht, sagte ein GDBA-Sprecher.
Am Montag werde man Einzelheiten zu den Warnstreiks bekannt geben. Reisende könnten dann nach Alternativen suchen. Mit Chaos auf den Bahnsteigen und in den Zügen ist zu rechnen: Ein Warnstreik in der Früh würde den Bahnverkehr den ganzen Tag lang massiv stören.
Keine Annäherung gibt es derweil auch im bayerischen Konflikt zwischen Kommunalem Arbeitgeberverband (KAV) und dbb-Tarifunion. Über ein am Freitag vom KAV vorgelegtes Angebot sagte dbb-Verhandlungsführer Willi Russ zur AZ: „Dieses Angebot ist aus einem anderen Ende der Welt. Ich verstehe nicht, ob das ein Witz sein sollte.“