Tag gegen weibliche Beschneidungen: Die Pandemie verschärft das Problem wieder

Weibliche Genitalverstümmelung ist kein Problem von gestern. Sondern von heute. Und schlimmstenfalls auch von morgen: Denn die Pandemie könnte die grausame Tradition wieder befeuert haben.
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Fadumo Korn berichtet von einem riesigen Ritual in Kenia, bei dem an einem Ort rund 3.000 Beschneidungen in wenigen Wochen durchgeführt worden seien. (Symbolbild)
Fadumo Korn berichtet von einem riesigen Ritual in Kenia, bei dem an einem Ort rund 3.000 Beschneidungen in wenigen Wochen durchgeführt worden seien. (Symbolbild) © picture alliance/dpa/TaskForce FGM e.V.

München - Fadumo Korn (58) wird diesen Schmerz niemals in ihrem Leben vergessen. Die Wahl-Münchnerin ist sieben Jahre alt, als sie in ihrer Heimat beschnitten wird. Jung. Unschuldig. Völlig ahnungslos.

Der erste Schnitt - wie eine Explosion im Kopf, erzählt sie der AZ einmal. "Aber wohin sollte ich laufen in der somalischen Steppe?", fragt sie rhetorisch. Die Antwort ist klar: Sie hatte keine Wahl, keine Chance, keinen Ausweg.

Wie so viele andere Mädchen. Weibliche Genitalverstümmelung ist noch immer nicht verschwunden, ist kein Problem von gestern. Sondern von heute. Und schlimmstenfalls auch von morgen. In geschätzt 31 Ländern der Welt - etwa in Somalia, Ägypten, Äthiopien und Indonesien - werden immer noch Mädchen im Kindesalter an den Genitalien verstümmelt, beschnitten, zugenäht.

Schwarz-Lankes: "Corona-Pandemie erschwert Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung"

Die Stiftung "Menschen für Menschen" des Schauspielers Karlheinz Böhm (†) engagiert sich in Äthiopien und fürchtet: Die Corona-Pandemie könnte weibliche Beschneidungen sogar wieder befeuert haben.

An diesem Sonntag ist der Internationale Tag der Nulltoleranz für weibliche Genitalverstümmelung. Elyane Schwarz-Lankes von "Menschen für Menschen" teilt zu diesem Tag ihre Sorgen: "Die Corona-Pandemie erschwert den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung."

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Denn Maßnahmen, die nötig sind, um Covid-19 in den Griff zu bekommen, stoppten "essenziell wichtige Aufklärungsveranstaltungen und Workshops mit den Wortführern und religiösen Oberhäuptern der Dörfer in den ländlichen Projektgebieten". Erschwert würden auch Umschulungen von ehemaligen Beschneiderinnen, damit diese anderweitig Geld verdienen können.

Junge Mädchen müssen möglicherweise früh heiraten, werden verstümmelt

Dazu kommt: Wie fast überall auf der Welt waren auch die Schulen in Äthiopien monatelang geschlossen. Nachdem die Einrichtungen wieder geöffnet hatten, "kamen auffällig weniger minderjährige Mädchen zum Unterricht zurück", so Schwarz-Lankes.

Was ist mit diesen Mädchen passiert? Die Organisation muss davon ausgehen, dass viele Familien in der Lockdown-Zeit wieder in traditionelle Verhaltensweisen zurückgefallen sind. Und das kann die Zukunft von jungen Mädchen in eine völlig andere Richtung lenken: Sie müssen möglicherweise früh heiraten, werden verstümmelt.

Korn: "Wenn eine Frau eine offene Vagina hat, ist sie keine Jungfrau mehr"

Aber warum? Fadumo Korn, die nicht nur Aufklärungsarbeit in Deutschland und Afrika leistet, sondern auch betroffene Frauen unterstützt, erklärt der AZ: "Die Männer bekommen gelehrt: Wenn eine Frau eine offene Vagina hat, ist sie keine Jungfrau mehr. Und so eine Frau heiratet man nicht."

Fadumo Korn (58).
Fadumo Korn (58). © Walter Korn

Mütter wiederum hätten Angst, dass ihre Tochter nicht verheiratet werden könne und kein Brautgeld wert sei - "als wäre sie eine Ware". Deswegen werden schon Mädchen in jungen Jahren beschnitten und zugenäht, um ihre vermeintliche Reinheit zu bewahren und Sexualität zu unterbinden.

Böhm-Stiftung: "Viele überleben den Eingriff nicht"

Nicht beschnittene Frauen würden in kulturellen Kreisen mit dieser mehrere 1.000 Jahre alten Tradition gemieden, sie gelten als "schmutzig", so Korn. Auch die Münchnerin glaubt, dass auf ihrem Heimat-Kontinent Genitalverstümmelungen wieder zunehmen könnten. Sie berichtet etwa von einem riesigen Ritual in Kenia, bei dem an einem Ort rund 3.000 Beschneidungen in wenigen Wochen durchgeführt worden seien.

Korn: "Wir haben keinen Einblick mehr in die Familien"

Auch die Aufklärungsarbeit und die engmaschige Betreuung in München sind durch die Pandemie ausgebremst: "Wir haben keinen Einblick mehr in die Familien, Infoveranstaltungen in den Flüchtlingsunterkünften sind nicht mehr möglich. Die Pandemie hat uns die Türen zu den Familien verschlossen."

Korn sagt, dass Geflüchtete meist keine Befürworter dieser Praxis seien, aber "der Druck der Heimat ist das Problem". Ein aktueller Fall in München sei ihr nicht bekannt.

Korn bemüht sich weiterhin als Ansprechpartnerin, engagiert sich beim Verein Nala (Swahili für Löwin) und auch bei der Beratungsstelle "Donna Mobile" für Migrantinnen. Als die AZ mit Korn telefoniert, hat sie zuvor eine Frau zu einer Operation begleitet, bei der die Verstümmelung geöffnet werden soll. Bis zur Nadellegung ist Korn an ihrer Seite.

Korn: "Die Frauen sind oftmals so unfassbar seelisch geschädigt"

Sie wird der Frau auch in der Zeit danach beistehen. Denn auch dann wird noch eine schmerzhafte Phase kommen. Bis der Körper heilt, bis der Kopf und das Herz die Veränderung akzeptiert haben. Und die Liebe zu sich selbst zurückkehrt.

Aus ihrer Erfahrung weiß Korn, was Genitalverstümmelungen anrichten können: "Die Frauen sind oftmals so unfassbar seelisch geschädigt. Sie sind an solch einem Tiefpunkt angekommen, dass sie ihren Körper gar nicht mehr haben wollen. Man sieht ja auf den ersten Blick nur, was die Verstümmelung körperlich angerichtet hat. Aber die Seele leidet noch mehr."

Das hebt auch "Menschen für Menschen" heraus: Mädchen "leiden in der Regel ihr ganzes Leben unter den psychischen und physischen Folgen. Viele überleben den Eingriff nicht, andere später nicht die Geburt ihres eigenen Kindes." Das Ziel bleibt: die betroffenen Frauen nicht alleine lassen und Beschneidungen bekämpfen. Überall auf der Welt.


Betroffene können sich an Donna Mobile wenden, weitere Infos unter  donnamobile.org Infos zum Verein Nala e.V., den Fadumo Korn mitgegründet hat und der mit dem Motto "Bildung statt Beschneidung" wirbt: nala-fgm.de

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18 Kommentare
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  • Kadoffesalod am 07.02.2022 10:16 Uhr / Bewertung:

    Wie so oft wird der Elefant im Raum geflissentlich ignoriert. Seitens der meisten Vereine, Verbände, Parteien etc. Dabei kann man sogar aus deren Daten und Karten ersehen, dass viele Länder und Regionen, in welchen die weibliche Genitalverstümmelung üblich ist, islamisch bzw. islamisch geprägt sind. Aber - deshalb kann man nicht einfach die Schuld auf den Islam schieben. Aus bestimmten politischen Ecken wird das ja versucht.

    Die Verstümmelungen sind keine islamischen Traditionen sondern stammen aus vorislamischer Zeit. Nur ein Teil der islamischen Führer fördert und fordert sie, ein anderer Teil lehnt sie ab. Den Islam kann man also nicht für die Verstümmelung direkt verantwortlich machen. Allerdings für die patriarchalische Kultur, in welcher es solche frauenfeindlichen Traditionen sehr leicht haben und sich über Jahrhunderte halten können.
    Würden alle islamischen Gelehrten und Imame konsequent Genitalverstümmelung bekämpfen, wären wir einen riesen Schritt weiter.

  • Boandlkramer am 06.02.2022 18:56 Uhr / Bewertung:

    Es stellt sich die Frage, ob Menschen aus so derart andersartigen Kulturen hierzulande überhaupt sinnvoll integrierbar sind. Ich bezweifle das sehr stark. Stattdessen werden diese steinzeitlichen Praktiken hierzulande eingeschleppt und können sich ungebremst ausbreiten.

  • Kadoffesalod am 08.02.2022 15:33 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Boandlkramer

    Für die betroffenen Mädchen macht es wohl keinen Unterschied, ob sie in Deutschland leben und verstümmelt werden oder ob sie in ihrer Heimat bzw. der Heimat ihrer Eltern verstümmelt werden. Das Leid ist das Gleiche.

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