Tag eins im neuen Lockdown: Ein Streifzug durch München
München - Petrus, irgendwo da oben, meint es gut mit diesem ersten Lockdown-Montag, der sich anfühlen sollte wie ein grauer, frustrierender Novembertag. Seit diesem Montag sind wieder alle Kneipen und Wirtshäuser zu. Vorbei das schöne Münchner Schanigarten-Leben, vorbei der schnelle Kaffee, das Feierabendbier um die Ecke. Vorbei, für mindestens vier Wochen.
Stattdessen sitzt Bert Elliot (54), ein Patentanwalt, scherzend mit seinem Nachbarn Julien am Wiener Platz auf einer Holzbank vorm geschlossenen "Weinhäusl" und lässt sich - eine kleine Homeoffice-Pause - ein Haferl Cappuccino schmecken. Das hat er sich nebenan im "Little Rabbit's Room" zum Mitnehmen geholt, im Recup-Pfandbecher. Dort sind freilich die Tische draußen abgeräumt, es darf ja nur noch zum Mitnehmen verkauft werden, aber was macht das schon, wenn man am selben Platz draußen sitzen kann, unterm Maibaum, halt nur ein paar Meter weiter.

Frisches aus der Küche als Geschenk an die Nachbarn
Im Rabbit selbst hat Wirt Moritz Liesegang (31) ziemlich zu tun. Die Tische drinnen sind weggeschoben, die Porzellantassen durch Pfandbecher ersetzt, von draußen winkt immer wieder Kundschaft herein: Kaffees, Croissants, Sandwiches, Zwetschgenkuchen, alles geht.
Ob er offen bleibt den ganzen November, für den Not-Straßenverkauf? "Werden wir sehen", sagt er, "ob sich's lohnt." Vor vier Wochen sei er Vater geworden, das sei schon ein guter Grund, einfach zuzusperren, andererseits: "Die Leute hier brauchen ja auch weiter eine Anlaufstelle." Wie öde wär das, wenn keiner am Platz mehr aufmacht?
Das Fischhäusl, die Standl von Feinkost Schropp und "Margot's Boulangerie" sind montags immer zu, nix Genaues weiß man noch nicht, aber drüben beim Café Wiener Platz hat sich Wirt Frank Hartmann (56) fürs Zumachen entschieden. Sein Küchenchef Frank Michelko (37) hat Frisches aus der Küche hinausgestellt, zum Verschenken an die Nachbarn. Orangen, aus denen sie keinen Frühstücks-O-Saft mehr machen können, Frühlingszwiebeln, Grapefruit.

Frank Hartmann: "Straßenverkauf lohnt sich nicht für uns"
Sie haben hier alles eingekocht, was sich beim letzten Wochenend-Ansturm nicht mehr hat verkaufen lassen. 200 Liter Kartoffeleintopf, Kürbissuppe und Minestrone sind nun eingefroren. "Straßenverkauf lohnt sich nicht für uns", sagt Hartmann, aber man werde auch diese vier Wochen noch überstehen.
Am Hintereingang vom Hofbräukeller, wo es hinausgeht zum leergefegten Biergarten, ist Ricky Steinberg anzutreffen, zwei Schanktechniker sind da, die heute seine Schankanlagen außer Betrieb setzen. Schmal ist der (Wiesn-)Wirt geworden, man kann ihm die Sorgen ansehen. Was hat er vor?

Ricky Steinberg: "Ich bin echt frustriert"
"Zumachen", sagt er, es lohne sich nicht, die riesige Küche hochzufahren für das bissl Straßenverkauf, das vielleicht möglich wäre. "Wir können ja die Hendl nicht zwei Stunden im Grill liegen lassen, was glauben Sie denn, des schmeckt ja nimmer." Gerade hatte er Geld in die Hand genommen und die lange Hütte im Biergarten mit Deko, Zeltplane und Heizstrahlern gemütlich gemacht. "Kann man jetzt auch wieder lassen", sagt er kopfschüttelnd, "ich bin echt frustriert."
Karin Nessenius: "Bin positiv, weil nur so das Leben weitergeht"
Unten im Glockenbachviertel räumt indes Karin Nessenius (65) mit so viel Gleichmut wie möglich die Tische in ihrer Kneipe "Rumpler" zusammen. Ab dem Abend gibt's Kasspatzen und Schnitzel to-go, in Pappschachteln. Mittags und abends wird das laufen, meint sie, die Stammkunden halten ja die Treue, "ich bin da positiv, weil nur so das Leben weitergeht."

Ein Stück weiter, am Holzplatz, steht eine kleine Schlange an vorm "Tabula Rasa". Eintöpfe kann man hier mitnehmen, Currys, vegetarische Aufläufe, Schokokuchen, und die Anwohner nutzen das auch, "Hauptsache, was zu essen", sagt ein Passant, der sich erkennbar freut.

Was Thomas Zufall als Gastronom gelernt hat
Zumal, gleich nebenan macht gerade die Retrobar "München 72" den Laden dicht. Wirt Thomas Zufall (43) hat die alten Schulbänke und -stühle schon aufgestapelt und putzt nun die Kaffeemaschine. Sogar seinen Schanigarten, der am Wochenende noch maximal bunt und blumig dekoriert war, hat er geräumt. "Freuen sich die Nachbarn wenigstens, dass sie wieder parken dürfen", sagt er, und dass sein Laden über den Sommer super gelaufen sei.

Wie sich das anfühlt, zum zweiten Mal zuzumachen dieses Jahr? Er zuckt mit den Schultern, legt den Kopf schräg und sagt: "Ich hab als Gastronom eins gelernt: Wenn man an einer Situation nix ändern kann, muss man sich nicht mehr drüber aufregen."
"Jetzt erst mal einfach wieder auf die Hand"
Es scheint auch den mittagshungrigen Münchnern so zu gehen, jedenfalls in weiten Teilen. Auf der Türkenstraße in der Maxvorstadt, die am Wochenende noch belebt war mit Hunderten von Freiluft-Essern, sind viele Gaststätten zu, das "Zeitgeist", das "Ciao Ragazzi", sogar der "Alte Simpl". Geduldig stehen Menschen nun woanders an: vor der "Orange Box" etwa oder vorm Kult-Türken "Türkitch".
Passant Tolga Akyasan (30), der "eigentlich jeden Tag auswärts essen" geht, formuliert das so: "Im Restaurant essen ist ja nicht die einzige Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, nur die bequemste." Er schaut in die Sonne, die nun hell strahlt über München, schnuppert an seinem Döner und sagt: "Was soll's. Jetzt erst mal einfach wieder auf die Hand."