Interview

Tag der Ersten Hilfe - "Das Wichtigste: Ruhe bewahren"

Zum Tag der Ersten Hilfe am Samstag erklärt ein Notfallmediziner, was am Berg alles passieren kann - und wie man richtig reagiert.
von  Ruth Schormann
Franz Niedermeier.
Franz Niedermeier. © Deutsches Rotes Kreuz

München - AZ-Interview mit Franz Niedermeier: Der Notfallmediziner ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Schön Klinik München Harlaching.

AZ: Herr Niedermeier, am 10. September ist Erste-Hilfe-Tag. Wann haben Sie selbst zuletzt Erste Hilfe geleistet?
FRANZ NIEDERMEIER: So ungefähr vor vier Wochen beim Radlfahren. Da sind zwei Fahrradfahrer in München vor mir frontal zusammengestoßen und saßen vor mir auf dem Boden.

Das klingt so, als hätten sie schon öfter geholfen.
Ja, ich komme häufig in solche Situationen. Beim Autofahren oder auf dem Berg, irgendwie ziehe ich das an.

"Im Prinzip ist es am wichtigsten, Ruhe zu bewahren"

Viele denken ja, das passiert mir eh nicht, dass ich zu einem Notfall komme - und haben auch Angst davor. Dabei kann es schnell passieren, etwa beim Wandern, wie Sie es gerade ansprechen.
Beim Wandern bewegt man sich auf unebenem Untergrund und diese Begebenheiten der Natur bergen natürlich die Gefahr, dass man stolpert, dass man eine Wurzel übersieht und umknickt und sich zum Beispiel an der Hand oder am Sprunggelenk verletzt. Deswegen muss man da aufmerksam sein.

Bis ein Verletzter sich sortiert hat und einschätzt, ob er aufstehen kann oder nicht, dauert es kurz, sagt der Experte. Hier reicht es, da zu sein.
Bis ein Verletzter sich sortiert hat und einschätzt, ob er aufstehen kann oder nicht, dauert es kurz, sagt der Experte. Hier reicht es, da zu sein. © imago/Westend61

Wie verhalte ich mich richtig, wenn vor mir jemand umknickt oder sogar abstürzt?
Das umfasst natürlich eine große Bandbreite. Im Prinzip ist es am wichtigsten, Ruhe zu bewahren. In den allermeisten Situationen muss man nichts Lebenswichtiges in den ersten 20 Sekunden entscheiden. Man sollte, wenn man es sich zutraut, zu dem Verletzten hingehen, ihn ansprechen und einfach da sein. Bis man selber als Verletzter sich gefangen hat und irgendwie weiß, ob man probieren möchte aufzustehen oder das nicht kann, das dauert einen Moment. Da muss man als Helfender einfach da sein.

Helfen in lebensbedrohlichen Momenten

Und bei einer lebensbedrohlichen Situation?
Da ist es ganz wichtig zu wissen, wo man ist. Da helfen Apps, die das GPS-Signal zeigen können, und die Telefonnummer des Rettungsdienstes oder der Bergwacht. Je besser man weiß, wo man ist, desto schneller kann eine Rettungskette in Gang gesetzt werden. Das ist wichtig. Aber in erster Linie erstmal Ruhe bewahren und mal schauen, ob's das braucht.

Wie erkenne ich, ob ich mir den Fuß nur vertreten oder mich ernsthaft verletzt habe?
Untrügliche Zeichen, dass etwas ganz grob kaputt gegangen ist, sind, wenn der betroffene Körperteil in einer unnatürlichen Position steht und wirklich nicht mehr belastbar ist. Wenn man sich den Fuß verstaucht hat, wird es in der Regel noch möglich sein, dass man draufsteht und ein paar Schritte geht.

Rettungskette in Gang setzen

Was tue ich, wenn der Fuß wirklich mitten auf dem Berg gebrochen ist?
Dann muss man die Rettungskette in Gang setzen. Die 112 sollte man unbedingt kennen! Die Bergwacht hilft einem dann. Da ist man in Deutschland und im Alpenraum in einer unglaublich komfortablen Situation, dass man immer jemanden finden wird, der für einen aufsteigt und einem hilft zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Kann man selber etwas im Rucksack dabei haben, was dann hilft?
Das wäre zu aufwendig. Um etwa ein Sprunggelenk zu stabilisieren, verwenden wir in der Klinik richtiges Schienenmaterial. Das würde ich einem Bergsteiger nicht empfehlen, das einfach so prophylaktisch mitzunehmen. Das wird er hoffentlich nie brauchen! Sinnvoll ist hingegen ein bekanntes und gut verträgliches Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol. Wenn man das einnimmt und kurz wartet, ist eine Belastung, wenn auch eingeschränkt, höchstwahrscheinlich wieder möglich.

Unerfahrene Bergsportler werden wagemutiger

Laut neuer DAV-Statistik vom Mittwoch, über die auch die AZ berichtet hat, kommt es vor allem durch Stürze zu Unfällen beim Wandern. Beobachten Sie das auch in Ihrem Klinikalltag?
Ja, absolut. Die Erfahrung zeigt, dass sich insgesamt unerfahrene Bergsportler in Regionen wagen, wo sie vor 15 oder 20 Jahren noch gar nie waren. Durch die Tatsache, dass die Berge so gut ausgebaut werden, kommen viele Bergsportler hoch und geraten in Situationen, die sie nicht kennen. Das soll aber keinen Bergsportler abhalten, hochzugehen. Aber man muss eben in diesem Gelände mit offenen Augen unterwegs sein.

Trifft es häufiger jüngere oder ältere Menschen?
Das trifft wirklich alle. Da hat sich auch wenig verändert in meiner klinischen Erfahrung über die letzten 15 Jahre. Das trifft alle Gesellschaftsschichten, alle Altersgruppen. Die Jugendlichen sind nicht übermütiger als die Älteren. Mir fällt selber am Berg aber auf, dass die ältere Generation wesentlich aktiver ist als früher. Das ist ja erfreulich, weil sie sich offensichtlich im hohen Alter noch zutrauen, mit dem E-Mountainbike unterwegs zu sein.

Unfälle mit E-Bikes betreffen Jung und Alt

Sie haben E-Bikes angesprochen. Bemerken Sie da auch eine Unfallzunahme?
Ja. Das hat sich ein bisschen gewandelt, denn vor fünf Jahren waren es ja vor allem bei Älteren Verletzungen, die durch E-Bike-Unfälle verursacht wurden, aber mittlerweile haben E-Bikes und E-Mountainbikes auch bei Jüngeren Einzug gehalten und die verletzen sich genauso häufig wie die Älteren.

Notfälle passieren also überall, am Berg, aber auch auf dem Fahrradweg. Was sollte deswegen jeder im Bezug auf Erste Hilfe wissen - und wie oft sollte man eigentlich einen Erste-Hilfe-Kurs auffrischen?
Das ist tatsächlich schade, dass die meisten von uns nur einmal im Rahmen des Führerscheinerwerbs so einen Kurs machen. Man kann aus ärztlicher Sicht nur empfehlen, dass man das selber auffrischt. Ich glaube, es ist nichts schlimmer, als an eine Unfallstelle zu kommen, gerne helfen zu wollen und aber überhaupt keine Ahnung zu haben, was man tun soll.

Die stabile Seitenlage ist kein Hexenwerk. Und kann Leben retten. Einen kurzen Erste-Hilfe-Auffrischungskurs online veranstaltet das BRK am Samstag, 10. September, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter: www.brk.de/aktuell/welt-erste-hilfe-tag.html.
Die stabile Seitenlage ist kein Hexenwerk. Und kann Leben retten. Einen kurzen Erste-Hilfe-Auffrischungskurs online veranstaltet das BRK am Samstag, 10. September, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter: www.brk.de/aktuell/welt-erste-hilfe-tag.html. © Deutsches Rotes Kreuz (DRK)

Ein Leben zu retten, das klingt aber auch furchteinflößend bedeutsam.
Als Ersthelfer muss man gar nicht groß hinlangen oder was tun. Eine wichtige Maßnahme kann die stabile Seitenlage bei einem Bewusstlosen sein. Wenn man das draufhat, die Atemwege zu sichern, das ist schon gut. Feststellen, ob derjenige ansprechbar ist - das sind einfache Sachen womit man Leben bewahren und retten kann innerhalb von Sekunden. So ein Erste-Hilfe-Kurs ist gut investierte Zeit.

Und speziell am Berg?
Man braucht ein gut aufgeladenes Telefon am Berg, am besten mit Empfang, und man braucht die Nummer, die hilft: die 112.

Zurück zu Ihrem Einsatz vor vier Wochen: Ist der Crash gut ausgegangen?
Häufig kann man als Ersthelfer ja nicht nachvollziehen, wie es weitergeht. Ich hatte eine Packung Tempotaschentücher dabei und habe die den beiden abwechselnd auf ihre Platzwunden gedrückt. Wir haben einen Krankenwagen gerufen, weil sich der eine wohl ernsthafter verletzt hat, wahrscheinlich den Arm gebrochen. Er ist ins Krankenhaus gekommen. Ich hoffe, dass sich beide erholt haben und wieder fit sind.

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