SWM-Chef Florian Bieberbach: "Viele Windräder sind Schmarrn"

München - AZ-Interview mit Florian Bieberbach: Der 46-Jährige ist seit 2013 Geschäftsführer der Stadtwerke München.
AZ: Herr Bieberbach, auf einer Skala von 1 bis 10: Wie viel Spaß macht Ihr Job im Frühsommer 2020?
FLORIAN BIEBERBACH: Ach, immer noch 8.
Jahrelang hatten Sie die Möglichkeit, ambitionierte Öko-Projekte voranzutreiben. Jetzt geht es nur noch darum, wo wie viel gespart werden kann.
Natürlich müssen wir überall prüfen, was wirtschaftlich ist und was nicht. Aber wir stehen nicht vor der Frage, unsere Strategien grundsätzlich ändern zu müssen. Und ich glaube auch nicht, dass wir da hinkommen.
Merken Sie schon, dass Kunden Ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können?
Es gibt Kunden, die um Stundung bitten. Aber nur in ganz geringem Umfang. Die befürchteten großen Zahlungsausfälle sind bisher ausgeblieben.
"Viel Öko-Strom aus München? Das ist schlicht unmöglich"
Schauen die Leute jetzt mehr auf den Preis – und weniger darauf, ob ihr Strom grün ist?
Nein. Wir stellen das bisher überhaupt nicht fest. Nachhaltigkeit interessiert die Kunden jetzt nicht weniger.
Inzwischen gibt es Anbieter wie Polarstern, die in Feldkirchen am Inn Strom produzieren. Die Stadtwerke hingegen sind in Polen und Norwegen aktiv. Ist das noch zeitgemäß?
Ja, das ist es. Weil die Mengen, die wir produzieren – und unser Ziel ist es ja, so viel Strom, wie ganz München braucht, selbst zu produzieren – unmöglich allein in der Region herzustellen sind. Ein paar Tausend Haushalte, okay, die könnte man mit unserer Wasserkraft oder unserem Windrad versorgen. Ganz München versorgen geht nicht.
Politisch machen Sie es sich einfach: Die Münchner fühlen sich ökologisch, den Proteststurm gegen Windkraft gibt es in Polen oder Norwegen.
Na ja. Wirkliche Proteste gab es nur auf einer Insel in Norwegen, auf der viele reiche Norweger Ferienhäuschen haben. Das Allermeiste läuft reibungslos.
Sie haben den Windpark Jasna bei Danzig erworben. Polen ist politisch nicht ganz stabil. Sorge, dass Sie Ihr nächstes internationales Desaster erleben, weil Fördergelder wegbrechen?
In der Energiepolitik ist Polen sehr konstant unterwegs. Das Land hat ein klares Konzept, setzt auf Erdgas unabhängig von Russland und auf Windenergie. Außerdem braucht man für Windkraft nicht mehr viel Förderung, sie ist recht kostengünstig geworden. Ich mache mir da keine Sorgen.
Sie versuchen aber schon, jeden Anlass für Protest in München und Bayern zu vermeiden?
Na ja, das Windrad in München stieß auch nicht nur auf Begeisterung, die Photovoltaik auf Dächern tut es nicht immer.
Verstehen Sie das?
Nein. Vor meiner Haustür (im südlichen Landkreis München, d. Red.) stehen vier Windräder, eines sehe ich gleich von meinem Garten. Es gibt auch in München selbst Infrastruktur, wie etwa Kraftwerke. Infrastruktur begleitet nun mal unser Leben.
"Bei der Photovoltaik gibt es noch Potential"
Sie sagen den Bürgerinitiativen: Regt‘s euch nicht so auf?
Ja. Viele der Gefährdungen, die angeblich von Infrastruktur ausgehen, werden maßlos übertrieben.
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung meint, München habe große Potenziale für Windenergie, Solar, Biomasse, die die Stadtwerke nicht genug nutzen würden.
Vielleicht sollte Frau Kemfert mal wieder nach München kommen. In Bayern gibt es Abstandsregeln für Windkraftwerke. Viele neue Windräder in München sind ein Schmarrn.
Und was ist mit der Biomasse?
In kleinem Umfang wird sowas gemacht, beispielsweise mit Biomüll. Aber in großem Stil? Das würde ja bedeuten, Biomasse in großer Menge in die Stadt zu karren, womöglich noch mit Lkw. Das ist nicht sinnvoll.
Wo sehen Sie noch Potenzial?
Bei der Photovoltaik. Wir wollen unsere Kunden viel stärker motivieren, Anlagen auf die eigenen Dächer zu bauen – sofern sie eigene Dächer haben.
Haben die meisten ja nicht. München ist eine Mieterstadt.
Eine Photovoltaik-Anlage auf einem Mietshaus ist nahezu nicht wirtschaftlich realisierbar. Die Anlagen sind rentabel, wenn der Eigentümer im Haus wohnt und von dem sogenannten Eigenverbrauchsprivileg profitiert. Letztlich lohnt es sich vor allem für Hausbesitzer und Bauern auf dem Land.
Das ist das Hauptproblem in München?
Ja. Die bisherige Rahmengesetzgebung ist einfach nicht für uns geschneidert. Deshalb kommen wir zu langsam voran.

Wie viel Potenzial wäre in München? 40 Prozent der Dächer? Oder wollen Sie auf alle?
Ja, eigentlich sind schon alle geeignet. Na ja, vielleicht mit Ausnahme von ein paar denkmalgeschützten Gebäuden.
Also überall – nur nicht auf der Frauenkirche?
Dort fände ich es tatsächlich nicht so angemessen. Obwohl es heutzutage Solaranlagen gibt, die man optisch auch auf roten Dächern kaum erkennen kann. Neben dem Denkmalschutz gibt es aber noch ein Problem: Viele Dächer sind von der Statik nicht gut genug. Aber spätestens, wenn ein Dach erneuert wird, kann man das ändern.
Zur MVG: Wie sehr sorgen Sie sich, weil kaum noch wer mitfahren mag?
Die Fahrgastzahlen sind derzeit noch deutlich niedriger als im Normalbetrieb. Aber sie erholen sich von Woche zu Woche. Die Leute haben Sorge, sich anzustecken. Aber sie werden zurückkommen. Autofahren macht in München einfach keinen Spaß.
Haben Sie Sorgen um die Finanzierung des ÖPNV?
Nein, die Zusagen von Bund und Land, Mittel für den ÖPNV zu erhöhen, sind eine gute Nachricht. Aber vollständig und dauerhaft werden sie das Finanzierungsproblem des ÖPNV in München nicht lösen. Dafür brauchen wir zusätzliche Mittel.
Also sehen Sie erstmal eher Probleme mit der Nachfrage – falls die Kunden doch nicht wie erwartet zurückströmen?
Wir diskutieren nicht ernsthaft, das Angebot runterzufahren.
Aber irgendwann wird Geld fehlen aus den weggebrochenen Fahrkarteneinnahmen.
Dafür müssten sich wirklich viele Menschen dauerhaft dazu entscheiden, künftig nur noch von zu Hause zu arbeiten.
"Von den Grünen bin ich überhaupt nicht genervt"
Reden wir übers Rathaus. Die Grünen regieren wieder mit, Ihr alter Gegner aus den Debatten ums Heizkraftwerk. Sind Sie schon genervt?
Überhaupt nicht. Ich habe die Grünen nie als Gegner wahrgenommen. Alle großen strategischen Entscheidungen, die die Stadtwerke betrafen, hat der Stadtrat, seit ich im Amt bin, mit schwarz-grün-roter Mehrheit beschlossen. Es gab nie einen nennenswerten Dissens, von einigen verkehrspolitischen Fragen abgesehen.
Also macht für Sie überhaupt keinen Unterschied, dass nun Grün-Rot regiert?
Die Politik geht insgesamt sehr verantwortungsvoll mit uns um. Und mit dem Koalitionsvertrag bin ich sehr einverstanden.
Sie klingen überraschend zufrieden. Macht die Politik einfach alles, was Sie wollen?
(lacht) Nein, wir machen, was die wollen. Aber das ist seit 20 Jahren sehr stabil. Und seit den Grundsatzentscheidungen für ein Umsteuern auf Erneuerbare Energien 2009 gibt es kein Zurückrudern.
Könnte sich das bald ändern? Eben, weil weniger Geld da ist, die Stadt mehr auf Sozial als auf Grün setzen könnte?
Nein. Unsere Ausbauoffensive Erneuerbare Energien war schon immer so designt, dass sie sich selbst finanziert. Da fließt kein Cent Steuergeld rein.
Sie haben keinen Wunsch an den neuen Stadtrat? Außer weiterwurschteln zu können?
Von Wurtschteln würde ich nicht sprechen. Unser größter Wunsch ist weiter Kontinuität, weil wir Investitionsentscheidungen treffen, die auf Jahrzehnte wirken. Deshalb wäre nichts schlimmer, als wenn sich die Politik alle paar Jahre ändern würde.
Die große Politik, die in Berlin, hat neue Prämien für E-Autos beschlossen. Wie viele Münchner können gleichzeitig laden, bevor Ihre große Sicherung rausfliegt?
Das wäre tatsächlich nicht gut, wenn alle gleichzeitig laden. Aber Studien aus Städten mit sehr hohem E-Auto-Anteil zeigen, dass es nicht so ist, dass alle um fünf von der Arbeit kommen und dann gleichzeitig laden. Und es gibt neue Möglichkeiten: Wir können inzwischen zum Beispiel eine Ladestation an unser virtuelles Kraftwerk anbinden und sagen: Das Auto wird immer dann geladen, wenn gerade viel Photovoltaik in Deutschland vorhanden ist.
Das Auto als Batterie fürs Netz?
Das können die meisten Autos noch nicht. Aber die Zukunft wird sein, dass immer dann geladen wird, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Und wenn weniger Erneuerbare vorhanden sind, wird die Ladeleistung zurückgefahren.
"Das Auto in München abzuschaffen halte ich für eine Illusion"
Sie bauen die Ladeinfrastruktur weiter aus. Müsste man strategisch nicht sagen: Das stößt irgendwann an Grenzen. Wir fördern, dass die Leute in die U-Bahn umsteigen, nicht Kurzstrecken mit dem teuren E-Zweitwagen fahren?
Ja und nein. Einerseits finden wir natürlich das Beste, wenn die Leute Bus und Bahn fahren. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass wir das Auto in der Stadt ganz abschaffen könnten. Sie werden nicht mit dem Fahrrad zum Baumarkt fahren, wenn Sie ihre Wohnung renovieren wollen. Es gibt viele Fälle, in denen Menschen ein Auto brauchen.
M-Net hat Millionen versenkt beim Versuch, Einödhöfe in der Oberpfalz mit Glasfaser anzubinden, in München ist man von einer flächendeckenden Versorgung weit entfernt. Zufrieden?
Schon. Denn München steht im Vergleich zu anderen Städten gut da. Wir bauen seit zehn Jahren massiv aus, teils mit zehn Baukolonnen gleichzeitig. Das ist eine große Herausforderung – und in eineinhalb Jahren werden wir 70 Prozent der Haushalte an der Glasfaser haben.
Ihre Ausbau-Offensiven haben Folgen. Autofahrer sind sauer wegen der vielen Baustellen.
Das ist auch eine Folge der Energiewende. Die Glasfaser betrifft ja meist Gehwege, aber Fernkälte und Fernwärme liegen in den Straßen. Zudem müssen bestehende Leitungen erneuert werden. Unser Stromnetz hat zum Beispiel 12.000 Kilometer Länge. Selbst wenn ein Kabel 100 Jahre hält, müssen Sie im Schnitt ein Prozent davon im Jahr, also 120 Kilometer, erneuern. Da kommt was zusammen. Tatsächlich ist es natürlich mehr.
Der Stau wird nie aufhören?
Der Stau wird nie aufhören. Wobei das weniger an den Stadtwerken liegt, sondern daran, dass es in München viel zu viele Autos gibt.
Seit ein paar Tagen sind die Freibäder offen. Mal ehrlich: Würden Sie lieber drei Tage vorher buchen, dass Sie um 15.30 Uhr ins Becken dürfen – wenn Sie auch spontan und kostenlos in einen See springen können?
Ich persönlich fahre lieber in die Berge, als schwimmen zu gehen. Wir wissen, dass es keine ideale Lösung ist mit den Bädern. Aber die Leute sind froh, überhaupt wieder schwimmen zu können. Wir hoffen natürlich, dass irgendwann wieder normaler Betrieb ist, aber ob und wann das geht, entscheidet der Freistaat.
Optimistisch?
Ich bin chronischer Optimist. Ich hoffe, dass die Epidemie abflaut. Aber sollte im Herbst eine neue Welle kommen, gibt es sicher wieder restriktive Maßnahmen.
Und dann?
Wären die Bäder wohl erstmal wieder ganz zu.
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