Interview

SWM-Chef Bieberbach: "AKW-Verlängerung? Find ich gut"

Der Stadtwerke-Chef in der Energiekrise: Florian Bieberbach erklärt im großen AZ-Interview, warum er keinen kalten Winter fürchtet, wieso er Saunen wieder geöffnet hat – und fordert mehr Ernsthaftigkeit vom Rathaus.
von  Felix Müller, Christina Hertel
SWM-Chef Florian Bieberbach. (Archiv)
SWM-Chef Florian Bieberbach. (Archiv) © Sigi Müller

München - AZ-Interview mit Florian Bieberbach: Er ist seit 2013 Geschäftsführer der Münchner Stadtwerke – und damit Chef von 10.000 Mitarbeitern.

AZ: Herr Bieberbach, es sind aufgeregte Tage in der Münchner Energie-Debatte. Die ÖDP hat gar Ihren Rücktritt gefordert, weil die Energiewende gescheitert sei. Kurz gezuckt? Oder doch ernsthaft nachgedacht?
FLORIAN BIEBERBACH: Nein, weder noch. Ich bin der Meinung, dass wir gar nicht so schlecht vorankommen in München. Natürlich sind wir nicht am Ziel und wir merken gerade wieder schmerzlich, wie abhängig wir noch sind von den fossilen Energieträgern. Aber hätten wir nicht die Fortschritte der letzten zehn Jahre gemacht, dann stünde München jetzt viel schlechter da – schauen Sie nur auf andere Städte.

Dann schauen wir doch gleich mal auf andere Städte: Die Linke hat dieser Tage im Rathaus vorgerechnet, dass Gas in anderen bayerischen Städten viel, viel günstiger ist als in München. Das ist eigentlich nicht vermittelbar, oder?
Die Linke hat Äpfel mit Birnen verglichen. Die vergleichen die aktuellen Preise aus anderen Städten mit denen in München im nächsten Jahr. Aktuell sind die genannten Städte sogar teurer als wir!

SWM-Chef macht sich keine Sorgen: "Die Gasspeicher sind gut gefüllt"

Sie legen sich fest: Nächstes Jahr liegen andere Städte nicht deutlich unter München?
Ja, ganz sicher.

Die CSU hat gefordert, den Notfallfonds für Menschen, die ihre Stadtwerke-Rechnung nicht mehr zahlen können, von 20 auf 40 Millionen zu erhöhen. Aus Ihrer Sicht notwendig – oder übertrieben?
Das kann ich heute noch nicht sagen. Wir haben Übergewinne einem guten Zweck zugeführt mit den 20 Millionen – nicht den Bedarf geschätzt.

Auf einer Skala von 1 sorglos bis 10 maximal besorgt: Wie besorgt sind Sie, dass Münchner diesen Winter im Kalten und Dunkeln sitzen?
2.

Ernsthaft?
Ernsthaft. Die Gasspeicher sind gut gefüllt. Die deutsche Kraftwerksflotte ist in gutem Zustand. Die Lage ist insgesamt okay.

Aber?
Aber es kann natürlich immer etwas passieren. Eine Unterbrechung der Strom- oder Gasversorgung kann man nie ganz ausschließen. Es ist sinnvoll, dafür vorzusorgen.

Die Stadt-Politik hat sich tagelang beharkt über den Nebensatz einer Stadtratsvorlage und die Frage, ob sich eine Referentin nicht doch klammheimlich gefreut haben könnte über hohe Gaspreise. Fehlt Ihnen bei dem Thema in der politischen Auseinandersetzung manchmal die Ernsthaftigkeit?
Ja.

"Sehr gut geschützt sind auf jeden Fall die Privatleute"

Andererseits gibt es nun immerhin einen Stab für außergewöhnliche Ereignisse zum Thema Energie. Was erwarten Sie von dem?
Den begrüße ich ausdrücklich. Auch wenn die Versorgungslage gut ist: Das Risiko einer Unterbrechung ist ja schon da. Für die Stadtwerke geht es mit dem Stab vor allem um eine enge Vernetzung mit dem Katastrophenschutz.

Zum Beispiel?
Wenn es zum Äußersten käme und in einem Stadtteil fielen Strom und Gas wirklich aus und die Leute können nicht mehr heizen, dann müsste für die Menschen ganz kurzfristig etwas zur Verfügung gestellt werden. Wir würden uns darum kümmern, dass schnell wieder geheizt werden kann. Aber die Leute schnell irgendwo unterzubringen, wo es warm ist und sie etwas zu essen kriegen – das wäre Aufgabe des Katastrophenschutzes.

Was passiert, wenn Gas zu knapp wird?
Bei Gas gibt es inzwischen sehr klare Regeln, wer geschützter Kunde ist und wer nicht. Sehr gut geschützt sind auf jeden Fall die Privatleute, aber auch Schulen, Krankenhäuser, Kitas und so weiter, die bekommen prioritär Gas.

Wo könnte die Stadt selbst noch sparen?
Das größte Potenzial Erdgas zu sparen liegt beim Heizen von Gebäuden. Wenn man Erdgas sparen muss, heißt es entweder Gebäude besser zu isolieren oder die Raumtemperatur zu senken. Die Stadt müsste versuchen, Gebäudeteile nicht mehr zu heizen und dafür anderswo Menschen näher zusammenzusetzen. Zumindest im Winter ist das Beheizen der Räume tatsächlich der Schlüssel.

Vor ein paar Wochen haben Sie alle Saunen geschlossen, weil die Lage unsicher werden könnte. Nun ist sie nicht sicherer und sie machen vier Saunen doch wieder auf. Wie passt das zusammen?
Wir sehen, dass es viele Menschen gibt, die Saunen aus gesundheitlichen Gründen brauchen. Die sind momentan angewiesen auf private Saunen. Wir haben uns entschieden, für diese Menschen, für die es so wichtig ist, Saunen wieder zu öffnen. Aber nur vier, quasi als eine Grundversorgung.

In diesen vier droht nun diesen Winter eine Überfüllung.
Da bin ich mir nicht so sicher. Ich weiß nicht, wie vielen Menschen das wirklich so wichtig ist. Man muss aber auch sagen, dass es nicht um so viel Energie geht wie für die Schwimmbecken.

Die sie so weit abgekühlt haben, dass wir von Familien mit Kindern hören, dass sie nicht mehr ins Hallenbad gehen.
Das sind alles unangenehme Entscheidungen. Aber ich glaube, es war schon richtig, zum Beispiel das beheizte Außenbecken im Dantebad abzustellen. Das sind Entscheidungen, für die jeder Verständnis hat.

Nicht jeder! In der AZ haben kürzlich Stammgäste wütend protestiert!
Okay. Man kann es nie allen recht machen. Aber ich finde: Dieser Energieaufwand ist offensichtlich sehr hoch und nicht zwingend notwendig. Besser wir halten anderswo das Angebot aufrecht.

Die Stadtwerke erzeugen viel Energie weit weg, in Andalusien oder Norwegen. Eine Strategie, die sich jetzt rächt?
Nein, das rächt sich nicht. Der große Teil unseres Ökostroms kommt aus Deutschland, an Land und auf See. Für uns ist es hilfreich, dass wir einen so hohen Anteil an Ökostrom haben. Wir haben zum Beispiel noch nie nach einem Rettungsschirm gerufen. Wir profitieren von der Strategie – und damit auch die Stadt München, die stabile Stadtwerke hat. Ökologisch hat das auf jeden Fall einen Zweck und jedes Windrad, das wir gebaut haben, trägt dazu bei, dass in Europa weniger Gas gebraucht wird.

Bräuchte es nicht viel mehr Windräder um München herum?
Doch, natürlich. Aber die bayerischen Abstandsregeln sind bekannt und die leichten Lockerungen haben noch nicht viel gebracht.

Es gibt Berechnungen, dass 25 Prozent des Münchner Strombedarfs durch Photovoltaik gedeckt werden könnten. Noch Hoffnung, dass wir irgendwann noch ein paar Anlagen auf den Dächern sehen werden?
Wir als Stadtwerke werden auf jeden Fall noch mehr bauen. Wir haben bisher knapp 1.000 Anlagen gebaut, hauptsächlich auf Dächern von Kunden. Aber das Potenzial von 25 Prozent ist eher theoretisch zu verstehen.

"Wir sind froh, dass wir noch viele eigene Gasfelder haben"

Was sind die Probleme in der Praxis?
Statik, Denkmalschutz, uneinige Eigentümergemeinschaften. Um nur drei Beispiele zu nennen.

Wenn das nächste Geothermiewerk in sechs Jahren fertig ist, ist das angesichts der dramatischen aktuellen Lage nicht viel zu langsam?
Doch, natürlich. Aber da ist das Problem der langen Genehmigungsprozesse, die sogar noch länger geworden sind. Da kann ich auch nur den Kopf schütteln. Die ausgerufenen Ziele der Energiewende und diese Verfahren stehen in krassem Widerspruch. Das ist frustrierend. Wir haben der Bundesregierung Vorschläge vorgelegt, wie der Geothermieausbau beschleunigt werden könnte, aber bisher ist nichts umgesetzt.

Ist es in diesen Zeiten eine gute Idee, wenn sich Stadtwerke aus dem Gas- und Ölgeschäft in der Nordsee zurückziehen?
Strategisch und langfristig bleibt es eine gute Idee, wir wollen unser Geschäft dekarbonisieren.

Aber?
Aber ich will nicht verhehlen, dass wir momentan als Stadtwerke München froh sind, dass wir noch ziemlich viele Gasfelder haben.

Tut es auch gut, dass man noch ein Atomkraftwerk hat mit Isar 2?
Ich finde die Verlängerung bis April gut.

Wichtig für eine sichere Stromversorgung?
Für München nicht so sehr, aber für Südbayern ist es ein wichtiger Beitrag.

Letztes Jahr haben die Stadtwerke knapp 100 Millionen Euro Gewinn gemacht. Ist es da vermittelbar, dass die Preise für Strom, Gas, Fernwärme krass steigen?
Wir müssen Gewinn machen, sonst können wir nicht investieren. Etwa eine Milliarde ist unser jährliches Investitionsprogramm, vor allem in ÖPNV, aber zum Beispiel auch Geothermie. Das müssen wir aus unserem Gewinn finanzieren. So gesehen war der Gewinn letztes Jahr eher noch zu niedrig.

Sie rechnen 2022 sogar mit noch höheren Gewinnen?
Wir haben so extreme Schwankungen auf den Energiemärkten, dass ich das noch nicht sagen kann. Aber natürlich wollen wir Gewinn machen, wir sind ja eine GmbH. Und nur wenn wir Gewinne in neue Projekte investieren, können wir die politischen Ziele wie Wärmewende und Mobilitätswende erreichen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.