Suizidversuch: Frau muss Lokführerin Schmerzensgeld zahlen

Eine Lokführerin verklagt eine 23-jährige Münchnerin auf Schmerzensgeld. Die Frau hatte sich vor ihre S-Bahn geworfen. Das Amtsgericht gibt der Klägerin Recht.
von  John Schneider
Notfallseelsorger wie hier in Haltern, kümmern sich um die psychischen Folgen bei traumatisierten Opfern oder Angehörigen.
Notfallseelsorger wie hier in Haltern, kümmern sich um die psychischen Folgen bei traumatisierten Opfern oder Angehörigen. © dpa

München - Es ist ein Tabu-Thema. Um nicht noch Nachahmer zu produzieren heißt es bei den Ansagen der Bahn meist nur lapidar „Notarzteinsatz“. Oft steckt ein Selbstmord oder ein Selbstmordversuch dahinter. Im vergangenen Jahr waren es über 100.

Für die Fahrgäste ist es eine ärgerliche Verzögerung im Tagesablauf. Für die betroffenen Lokführer aber oft ein bleibendes Trauma. Im Jahre 2012 wurden die Notfallseelsorger des KIT München zu 172 Einsätzen wegen Suizids oder dem Versuch gerufen. Am 14. Februar 2012 braucht wieder einmal eine Lokführerin aus diesem Grund psychologischen Beistand.

 

Lokführerin leidet unter posttraumatischer Belastungsstörung

 

Eine 23-jährige hatte sich um 23.11 Uhr am S-Bahnhof Karlsfeld vor ihre S-Bahn geworfen. Doch die Frau überlebte den Unfall. Und muss sich nun für ihre Tat zivilrechtlich verantworten.

Denn die Münchner Triebwagenführerin erlitt aufgrund dieses Erlebnisses einen erheblichen psychischen Schock. Sie leidet seit dem Vorfall an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nach dem Unfall war sie erst einmal über vier Wochen lang krank geschrieben.

Nun verlangt sie von der Beklagten Schmerzensgeld. Doch die beklagte Münchnerin – sie steht unter Betreuung – zahlte nicht. Die 23-Jährige sagt, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in der Lage war, frei eine Willensentscheidung zu treffen. Sie habe damals an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten, könne als keine Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Die S-Bahn-Zugführerin reagierte daraufhin mit einer Klage vor dem Amtsgericht München.

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Und bekam Recht. Die zuständige Richterin am Amtsgericht München verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 1500 Euro Schmerzensgeld. Warum? Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Beklagte durch ihren Suizidversuch bei der Zugführerin eine Körperverletzung verursacht hat. Die psychische Fehlverarbeitung des Unfalls durch die Zugführerin sei eine ganz typische Reaktion auf Unfälle dieser Art und durch das Ereignis ausgelöst. Für die Beklagte sei vorhersehbar und erkennbar gewesen, dass sie bei dem Sprung vor den Zug bei dem Zugführer einen psychischen Schaden verursacht.

Aber was ist mit der psychischen Krankheit, kann eine psychisch kranke Frau wirklich zur Rechenschaft gezogen werden? Nun die Beklagte habe gegenüber dem Gericht die von ihr behauptete Erkrankung nicht nachgewiesen. Die 23-Jährige legte dem Gericht lediglich ein Schreiben des behandelnden Arztes vom 14. März 2012 vor, wonach sie im November 2011 in einer Klinikambulanz war und dann stationär vom 26. Januar 2012 bis zum 2. Februar – also bis knapp zwei Wochen vor dem Suizidversuch – behandelt wurde.

 

Attest reichte der Richterin nicht aus

 

Der Grund: Selbstverletzende Verhaltensweisen (Ritzen) und eine Tablettenvergiftung. Außerdem legte sie ein ärztliches Attest vom 14. Januar 2013 vor, wonach sie an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet.

Doch das reichte der Richterin nicht aus. Obwohl sie vom Gericht darauf hingewiesen wurde, hatte die Beklagte nämlich keine Nachweise dafür vorgelegt, dass sie zum Unfallzeitpunkt zu krank war, um einen freien Entschluss fassen zu können. Daher musste das Gericht davon ausgehen, dass die Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Das Urteil ist rechtskräftig.

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