Suchtgefahr: Kinder von Abhängigen brauchen Hilfe

Über 700 Suchtexperten treffen sich bis Sonntag in München: Sie fordern frühzeitige und professionelle Hilfe für Kinder von Alkoholikern und suchtkranken Eltern. Am besten wäre eine Abkehr vom Verzicht als Hauptziel der Therapie.
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Noch viele Zigaretten werden verglimmen, bis der Hickhack über die Ausführung des Rauchverbots endgültig geregelt ist.
AP Noch viele Zigaretten werden verglimmen, bis der Hickhack über die Ausführung des Rauchverbots endgültig geregelt ist.

MÜNCHEN - Über 700 Suchtexperten treffen sich bis Sonntag in München: Sie fordern frühzeitige und professionelle Hilfe für Kinder von Alkoholikern und suchtkranken Eltern. Am besten wäre eine Abkehr vom Verzicht als Hauptziel der Therapie.

Nach Ansicht von Experten sollte die Therapie von Suchtpatienten nicht allein auf den völligen Verzicht von Drogen ausgerichtet sein. „Es ist wichtig zu begreifen, dass Menschen so schwer von einer Krankheit betroffen sein können, dass sie sogar lebenslang Medikamente brauchen“, sagte der Suchtmediziner und Kongressleiter Markus Backmund am Donnerstag in München. Es sei ein falscher Gedanke, dass es Süchtigen automatisch besser geht, wenn sie abrupt völlig frei von Tabak, Alkohol oder Opiaten leben. Sinnvoller sei es häufig, Drogenabhängigen mit Ersatzmitteln zu helfen. Noch bis zum Sonntag diskutieren über 700 Suchtexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim "10. Interdiszplinären Kongress für Suchtmedizin" über neue Forschungsergebnisse und Therapien bei Abhängigkeits-Erkrankungen. Die Tagung, die sich an Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen, Sozialpädagogen und Erzieher richtet und bereits zum 10. Mal in München stattfindet, hat sich längst zu einer der wichtigsten und größten suchtmedizinischen Kongresse aller Fachdisziplinen der Medizin entwickelt.

Kinder von Suchtkranken sind häufig selbst traumatisiert

Ein Schwerpunkt des Kongresses ist in diesem Jahr das Thema "Trauma und Sucht". Denn besonders die Kinder von Alkoholikern und suchtkranken Eltern haben es besonders schwer im Leben. Studien zeigen, dass sie häufig bereits in frühester Kindheit eine schwere Traumatisierung erleiden und dadurch oft selbst stark gefährdet sind, im Laufe ihres eigenen Lebens suchtkrank zu werden. "Diesen Kindern muss frühzeitig geholfen werden", lautete deshalb eine der zentralen Forderungen der Suchtexperten. Vorgestellt wurde zum Beispiel ein erfolgreiches Modellprojekt, das Kindern von Alkoholikern heilpädagogische Hilfe anbietet.

Überleben durch Heroin

Die Suchtmediziner begrüßten außerdem einen Bundestagsbeschluss zur kontrollierten Ausgabe von Heroin. Im Mai war entschieden worden, dass Schwerstabhängige die Droge auf Rezept bekommen können. „Das ist ein gesellschaftlicher Umbruch ersten Ranges“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, Klaus Behrendt. „Für uns kommt es darauf an, für suchtkranke Menschen ein möglichst gesundes Überleben zu sichern.“ In Einzelfällen könne dies eben mit der kontrollierten Ausgabe von Heroin erreicht werden. Früher habe hingegen gegolten: „Wenn man völlig im Dreck liegt, dann muss man abstinent werden als oberstes Ziel.“

Gegen die Diskriminierung von Rauchern

Beim Thema Rauchen schätzen die Suchtmediziner die derzeitige Situation anders ein. Dank Kampagnen gegen Zigaretten fingen zwar viele Menschen gar nicht erst mit dem Rauchen an. Raucher, die bereits abhängig sind, würden aber in die Ecke gestellt. „Schwere Raucherinnen oder Raucher müssten eigentlich mit dem Ersatzstoff versorgt werden“, forderte Behrendt. Bei der kontrollierten Abgabe von Nikotin gebe es in der Suchtmedizin noch Nachholbedarf.

Missbrauch von Ersatzstoffen

Allerdings können auch Ersatzstoffe als Rauschmittel missbraucht werden, wie eine Studie des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg zeigt. Die Befragung von 806 Heroinabhängigen in 13 Städten ergab, das zwei Drittel der Süchtigen schon einmal nicht verschriebene Ersatzdrogen konsumiert haben. Insbesondere die Mittel Methadon und Subutex seien auf dem Schwarzmarkt leicht zu haben. In Kombination mit anderen Substanzen wie Alkohol, Cannabis, Kokainpulver oder Crack könne dies lebensgefährlich sein, erläuterte einer der Autoren der Studie.

Gegen die Stigmatisierung von Suchtkranken

Mit einer eigenen Aktion wendet sich der Kongress außerdem gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung von Suchtkranken: Längst seien diese Patienten in unserer Gesellschaft und in den Krankenhäusern kein Randphänomen mehr. In den Akutkliniken gehörten sie zu einer der größten Patientengruppen, erlebten jedoch noch immer häufig Ablehnung und Diskriminierung. Mit der AntiSTigma-Aktion (AST e.V.) wollen die Suchtmediziner helfen, Vorurteile weiter abzubauen. Das Motto lautet: "Hilfe und Unterstützung statt Repression und Diskriminierung." Weitere Informationen unter www.suchtkongress.de und www.anti-stigma.de im Internet.

dpa/mb

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