Studiengang positive Psychologie: "München bietet viele Chancen auf Glück"
AZ-Interview mit Christian Thiele: Der Coach, Trainer und Speaker (49) aus Garmisch-Partenkirchen gehört zum Dozententeam im neuen Master-Studiengang für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Sport und Gesundheit am Standort Ismaning.
AZ: Herr Thiele, die Bilder aus der Ukraine dominieren gerade auch unseren Alltag. Darf und kann man in diesen Zeiten trotzdem glücklich sein?
CHRISTIAN THIELE: Erstmal würde ich sagen: Man muss nicht glücklich sein in diesen düsteren Zeiten, man darf durchaus Verzweiflung, Hilf- und Ratlosigkeit empfinden. Studien legen nahe, dass Kriegsgeschehen unser Wohlbefinden ähnlich stark senken kann wie der wirtschaftliche Absturz einer Person aus der Mittelklasse in die Unterschicht mit großen finanziellen Sorgen. Es macht uns zu Menschen, Not und Leid anderer Menschen mitzuempfinden, egal ob das 1.000 oder 10.000 Kilometer weit weg geschieht.

Die Hilfsbereitschaft der Deutschen für die Ukraine ist riesig. Wie wirkt sich Helfen auf unser Glücksgefühl aus?
Was wir geben, macht uns glücklicher als das, was wir bekommen. Einen Beitrag leisten, sich mit anderen Menschen verbunden fühlen, Selbstwirksamkeit erleben: All das kann tatsächlich auf unser Wohlbefinden einzahlen in solchen Zeiten - oder zumindest unsere Verzweiflung lindern. Das "Hilfshoch" ist gut untersucht: Menschen, die spenden oder sich sonst wie wohltätig engagieren, weisen einen niedrigeren Blutdruck auf, haben ein höheres Niveau an "Glücksbotenstoffen" wie Serotonin und Oxytocin, ja sie leben sogar länger - das legen zumindest zahlreiche Untersuchungen nahe.
Thiele: "Glück kann man messen"
Wie bewahrt man sich das Glück in diesen Zeiten?
Wir stärken sowohl unser Selbstwirksamkeitserleben als auch unsere empfundene Solidarität, wenn wir spenden, Flüchtlingen Unterkunft gewähren oder auf sonstige Weise einen noch so kleinen Beitrag gegen den Krieg und seine Folgen leisten. Auch ist es wichtig, immer wieder Momente der Achtsamkeit, der Fokussierung zu finden - egal ob durch Yoga, Meditation oder eine schöne Bergtour. Und es ist sicher förderlich, nicht von frühmorgens bis spätnachts in medialer Dauerberieselung zu verbringen - reduzieren Sie das sogenannte Doomscrolling und kanalisieren Sie Ihren Nachrichtenkonsum auf ein für Sie passendes Maß! Und schließlich: Wer sich mit dem eigenen Lebenssinn, mit der eigenen Identität und den Werten beschäftigt, dessen Angstzentren sind weniger stark aktiviert und sie oder er kann negative Emotionen besser bewältigen.
Sprechen wir über Ihr Spezialgebiet, die Glücksforschung. Es ist erstmal ein abstraktes Gefühl. Wie kann man es definieren und messbar machen?
Im Deutschen bezeichnen wir mit dem Wort Glück unterschiedliche Dinge: Das Zufallsglück - etwa, wenn man im Lotto gewinnt oder im Glockenbachviertel eine Wohnung mit 150 Quadratmeter für 700 Euro kalt bekommt. Dann gibt es das Pulverschneeglück oder auch Vanilleeisglück - sprich: glückliche Momente und positive Emotionen. Und als Drittes meint Glück auch etwas viel Tiefergehendes, Langfristigeres und vielleicht auch Sanfteres.
Können Sie das erklären?
Wenn ich mit meinen Lebensumständen, meiner sozialen Eingebundenheit zufrieden bin. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich in meinem Leben etwas Sinnvolles tue. Und ja, man kann Glück auch messen.
Wie zum Beispiel?
Zum Einen können wir mit bildgebenden Verfahren messen, welche Zentren im Gehirn aktiviert werden. Wenn Menschen zum Beispiel unglücklich sind und sich isoliert fühlen, dann sind offenbar dieselben Neuronen aktiv wie bei Schmerz oder Hunger. Natürlich kann man Glück auch bestimmen durch Selbstbefragung. Wir können auch von außen beobachten: Lächelt jemand? Wie sehr ist jemand in Kontakt mit anderen?
Thiele: "Wir sind auch für das Glück anderer mitverantwortlich"
Ab dem Wintersemester können sich Master-Studierende in Ismaning für Positive Psychologie und Coaching einschreiben. Sie werden dort mit einer Kollegin über Glücksforschung dozieren. Wie muss man sich das vorstellen?
Es geht um die positive Psychologie als Wissenschaft des gelingenden Lebens. Die Studierenden lernen unterschiedliche Verständnisse und Konzeptionen von Glück und Wohlbefinden. Auch, wie man Glück messen und operationalisieren kann, sowie, welche Effekte Glück auf Einzelne, aber auch auf Teams und Organisationen haben kann. Genauso gehört dazu, wie man mit schwierigen Situationen in Unternehmen, in Erziehungseinrichtungen und mehr umgehen kann.
Das heißt: Man kann am Ende anderen zu mehr Zufriedenheit verhelfen. Wird man selbst auch glücklicher?
Ich gebe keine Garantie dafür (lacht), aber ich bin mir sicher, dass man so einige Glücksstrategien mit in seinen Rucksack bekommt. Was man dann daraus macht, hat jeder selbst in der Hand.
Stimmt der Spruch, man ist seines eigenen Glückes Schmied?
Ich habe zunächst Politikwissenschaft studiert und habe mich damit beschäftigt, wie Organisationen und Verbände andere unterstützen können. Man muss dabei wohl auch erkennen, dass der Einzelne auf einige wichtige Determinanten von Glück, Wohlbefinden und Chancengleichheit wenig Einfluss hat - siehe etwa der furchtbare Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir sitzen auch in der Pandemie keinesfalls alle im gleichen Boot. Wir sind im gleichen Sturm, aber der eine sitzt in der vierten Klasse in einem klapprigen Dampfer und der andere auf einer Jacht an der Côte d'Azur - um in diesem Bild zu bleiben. Dennoch sage ich, wir schmieden nicht nur unser eigenes Glück, sondern sind auch für das Glück anderer mitverantwortlich. Wir sind nicht allein in unserem Haus.
Der besagte Studiengang ist an der Hochschule für Gesundheit und Sport am Standort Ismaning angesiedelt. Wie wirken sich Bewegung und Gesundheit auf unser Glück aus?
Bewegung in der Natur ist natürlich ein Rezept für Glück. Ich erlebe auch, dass Menschen durch die Zwangs-Digitalisierung aufgrund von Covid-19 sagen: Mein Leben ist jetzt ein Stück besser, weil ich mehr von daheim aus arbeiten kann und mir dadurch regelmäßig mehr Zeit für Sport und Bewegung bleibt. Bei der Gesundheit ist der Effekt eher so, dass glückliche Menschen tendenziell auch gesünder sind.
Ein weiterer Aspekt ist wertschätzende Kommunikation. Warum?
Ich finde dieses Thema momentan besonders wichtig, und zwar aus zwei Gründen: In der Arbeitswelt sehen wir uns auch in Zukunft weniger von Angesicht zu Angesicht, viel mehr Kommunikation wird virtuell stattfinden. Der zweite Grund sind die Auseinandersetzungen gerade zum Thema Impfen und Corona-Schutzmaßnahmen. Es geht darum, mit diesen Differenzen umzugehen und den anderen dennoch wertschätzen zu können. Kommunikation hat auch viel damit zu tun: Wie aufgeräumt bin ich mit mir selbst? Wie höre ich dem anderen zu? Welche Werte, welche Stärken höre ich aus der anderen Person heraus? Gerade auch, wenn man unterschiedliche Meinungen vertritt.
Thiele: "München bietet viele Chancen auf Glück "
Wie sollte wertschätzende Kommunikation aussehen?
Wenn jemand eine ganz andere Meinung hat, ist es erst einmal wichtig, dieser Person Raum zu geben und ihr zuzuhören. Zu sagen: Ich teile zwar deine Auffassung nicht und ich habe sogar große Schwierigkeiten damit, das zu verstehen, aber trotzdem werde ich mir Mühe geben, mich in dich hineinzuversetzen und zu verstehen, wie du zu deiner Meinung kommst.
Beim aktuellen Weltglücksreport vom Freitag sind wieder einmal die skandinavischen Länder vorne, Finnland ist zum fünften Mal Spitzenreiter. Innerhalb Deutschlands ist es oft Schleswig-Holstein. Wie erklären Sie sich das?
Was die skandinavischen Länder angeht: In Gesellschaften, in denen die empfundene Gerechtigkeit hoch ist, in denen das Gesundheitssystem und das Soziale gut funktionieren, wird das kollektive und individuelle Glück höher empfunden. Was jetzt die Schleswig-Holsteiner haben sollten, was sie glücklicher macht als mich hier in Oberbayern ... das ist mir ein echtes Geheimnis. Vielleicht mag dazu ja ein Studierender eine Masterarbeit schreiben (lacht).
Wie glücklich schätzen Sie also die Bayern ein?
Bayern ist groß. Ich bin im Allgäu aufgewachsen und dort gibt es den Spruch: "I bin zfrieda." Das ist eine sehr runtergefahrene Zufriedenheit. Der Oberbayer ist meinem Gefühl nach etwas wortreicher und würde sich damit wohl nicht zufriedengeben.
Und die Münchner?
Ich finde, München bietet viele Chancen auf Glück - die Nähe zu den Bergen, die Landschaft, die Stadt funktioniert im Großen und Ganzen. Auf der anderen Seite haben die Mietlage und die Überfüllung der Öffentlichen Verkehrsmittel die Lebensqualität sicherlich eingeschränkt in den vergangenen 15, 20 Jahren. Aber das Genießen, raus in den Biergarten zu gehen, mit anderen zusammenzusitzen, beim ersten Sonnenstrahl und egal bei welcher Temperatur - München ist keine schlechte Stadt, um glücklich zu sein. Vorausgesetzt, man ist in keinem prekären Arbeitsverhältnis. Denn dann wird die Luft dünn.
Wie wird sich das Glück entwickeln, wenn die Pandemie einmal vorbei ist? Wartet eine Explosion der positiven Gefühle auf uns?
Ich kann mir vorstellen, dass die Spuren der Pandemie an der Oberfläche erstmal sehr schnell verschwunden sein werden. Es wird viele Menschen geben, die die Zeit genutzt haben, um sich neu zu orientieren. Allerdings sind auch viele Träume geplatzt, etwa in der Gastro. Diese Menschen werden erst einmal eine Weile brauchen, um das zu verarbeiten. Dennoch denke ich, es wird eine Explosion der Lebensfreude geben - entsprechend der These, dass es die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts werden. Was ich mir in Sachen Konsum und Reisen wünschen würde: Dass man künftig bewusster lebt und sein Glück nicht im Billigflieger nach Mallorca für zwei Tage sucht. Denn dieses Glück ist sehr vergänglich.
Der Master Positive Psychologie und Coaching ist semi-virtuell und kann auch berufsbegleitend absolviert werden. Standort ist neben Berlin und Hamburg auch Ismaning. Weitere Informationen dazu gibt es hier.
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