Striptease, Sekt und Mischgetränke

"Ein Animierlokal ist ein Sperrzeitbetrieb mit überwiegender Abgabe von Sekt und Mixgetränken, mit Tischdamen und Oben-Ohne-Bedienungen hinter der Theke und einer im Vergleich zur übrigen Gastronomie unterschiedlichen Preisgestaltung": Davon gibts 34 in der City, die AZ hat einige besucht.
In einem winzigen Pailetten-Kleid kniet Leila auf der Theke und lächelt herausfordernd. Gegenüber: ein dunkelhaariger Mann, ihren Ausschnitt auf Augenhöhe. Eine Banknote verschwindet zwischen Haut und Stoff. Dann tanzt Leila wieder, reibt Rücken und Po an der Stange, wendet sich einem Gast mit Brille zu. Der scheint etwas Interessantes auf der Getränkekarte entdeckt zu haben und verschwindet hinter dem Papier. Also weiter: Leila kokettiert mit zwei Typen in Business-Hemden und windet sich raffiniert aus den Pailetten. Die Herren danken es ihr mit mehreren Geldscheinen, die sie Leila in den Slip stecken. Ein paar Takte später rutschen Scheine und String zu Boden.
„Anfangs war es schon gewöhnungsbedürftig, vor aller Augen nackt zu tanzen“, sagt Leila, als sie alles wieder eingesammelt hat. „Aber heute genieße ich es, wenn alle mir zuschauen. Du hast diese Männer irgendwie in der Hand.“ Leila ist 22 Jahre alt und Handlungsreisende in Sachen Erotik. Die freiberufliche Tänzerin aus Frankfurt arbeitet für zwei Wochen im „Sexyland“ an der Goethestraße, dann zieht sie weiter in eine andere Stadt. Ein in der Branche weit verbreitetes Prinzip.
Ein Pils kostet zwischen 5,50 und 9 Euro, eine Flasche Champagner 190
34 Animierlokale wie das „Sexyland“ gibt es derzeit in München, die meisten im Bahnhofsviertel. Definition laut Kreisverwaltungsreferat: „Ein Animierlokal ist ein Sperrzeitbetrieb mit überwiegender Abgabe von Sekt und Mixgetränken, mit Tischdamen und Oben-Ohne-Bedienungen hinter der Theke und einer im Vergleich zur übrigen Gastronomie unterschiedlichen Preisgestaltung.“
Der Preis für ein 0,33-Liter-Pils liegt in den Striplokalen rund um den Hauptbahnhof bei 5,50 bis 9Euro. Eine Flasche Wodka kostet 100, eine Flasche Champagner 190Euro. Prostitution ist im Sperrbezirk verboten.
Die „Oben-Ohne-Bedienung“ hinter der „Sexyland“-Theke trägt ein T-Shirt. An den Wänden hängen Spiegel. Den Großteil des Raumes nimmt ein gläserner Laufsteg mit Stangen ein, der von unten beleuchtet wird. Rundherum zieht sich ein Tisch mit Barhockern. Alles ist so sauber, dass Meister Proper seine Freude daran hätte.
Rudi hingegen würde es freuen, wenn mehr Gäste kämen. Seit 1988 betreibt der 48-Jährige das „Sexyland“. Rudi nennt sich der Schwabe, weil er nicht möchte, dass die Schulkameraden seiner Kinder ihn erkennen. In Wirklichkeit heißt er ganz anders. Zu seinem Imperium gehören neben der Bar mehrere Videokabinen und ein Sex-Shop.
„Früher hast du aufgesperrt und der Laden war voll.“ Der Chef schaut gedankenverloren zum Eingang. Der Schattenriss einer Tänzerin räkelt sich über die rosa Tür. Sonst bewegt sich nichts. „Kaugummitag“, sagt der gelernte Fliesenleger. An den Wochenenden und zur Wiesn geht es im „Sexyland“ rund. Doch an Werktagen drücken Finanzkrise und erotisches Überangebot im Netz aufs Geschäft.
Ungepflegte Männer kann Leila nicht riechen
Heute ist Donnerstag. Ein halbes Dutzend „Sexyland“-Mädchen sitzen in Bademäntel gehüllt auf den Sofas hinter dem Laufsteg. Die Frauen trinken Kaffee, rauchen und ratschen. Sie sind ausgesprochen hübsch und wirken entspannt. Leila erzählt, dass sie mit 19 zum ersten Mal gestrippt hat und dass sie an einer Fern-Uni Innenarchitektur studiert. Sie sagt, dass sie es cool findet, wenn ihr Pärchen zuschauen, dass sie ungepflegte Männer nicht riechen kann und dass sie keine Zeit für einen Freund hat. Und sie gibt zu, dass ihre Mutter keine Ahnung davon hat, womit sie ihr Geld macht. „Aber es ist schwer einen anderen Job zu finden, in dem man genau so gut verdient.“
Die Tänzerinnen sind in der Regel am Umsatz beteiligt, üblich sind außerdem eine Grundgage und Zahlungen pro Auftritt. Hinzu kommen die sogenannten Table-Dollars. Eine hauseigene Währung, die man im „Sexyland“ beim DJ kaufen kann und die dann in den Ausschnitten der Frauen landet. 150 bis 300 Euro können so pro Abend zusammenkommen, heißt es.
Dass die Männer in ihr ein Sex-Objekt sehen, stört Leila nur, wenn sie zudringlich werden. „Wir sind schließlich nicht im Streichelzoo“, sagt sie. Wer seine Finger nicht unter Kontrolle hat, wird von den Mädchen ermahnt. Wenn nichts mehr hilft, helfen der Chef, der DJ und die Jungs vom Sex-Shop. Grabscher werden vor die Tür gesetzt. „Anfassen ist nicht“, sagt Rudi. Und plötzlich schaut der freundliche Mann ganz böse.
Sie kichert und bestellt, er zahlt und patscht weiter
Ein anderer Abend, eine andere Bar: Rote Lichterketten tauchen den Raum in schummriges Licht. Es riecht nach kaltem Rauch. Auf einem abgewetzten Ledersofa langweilen sich Mädchen in durchsichtigen Kleidern, wie man sie aus den Schaufenstern der Ramschläden kennt. Robert Palmer singt „Addicted to Love“. An der Bar erzählt ein ergrauter 50er mit Übergewicht, dass er zwei Mal verheiratet war und jetzt „keinen Bock mehr“ auf eine feste Beziehung hat. Nach jedem Satz patscht seine Hand auf den Hintern der Blondine neben ihm. Sie kichert und bestellt einen Piccolo. Er zahlt 40 Euro und patscht weiter.
Auf der Damen-Toilette hängt ein Automat mit vibrierenden Penisringen. „Bitte immer Ausweis und Arbeitserlaubnis dabei haben“, steht an der Wand gegenüber. Viele der Frauen hier stammen aus Osteuropa.
Die Blonde von der Bar und ihr „kein Bock mehr“-Mann machen es sich auf einer Couch im hinteren Teil des Etablissements bequem. Dort ist es noch dunkler und ein Raumteiler schützt vor neugierigen Blicken. Nur wer heimlich ums Eck schaut, sieht, wie die Frau lasziv auf dem Schoß des rasenden Romeos herumturnt und langsam sein Hemd aufknöpft. Mittendrin steht sie auf, zieht ihr knappes Kleid über die Pobacken und tänzelt zur Theke. Der nächste Piccolo ist fällig. Und die nächsten 40 Euro.
Die Getränkepreise scheinen ihm gleichgültig zu sein. Breitbeinig, mit rotschwitzigen Wangen und verklärtem Blick fläzt er da und wartet. Er sieht nicht, wie seine Auserwählte ein Kreuzzeichen schlägt und eine „Kotzt der mich vielleicht an“-Geste macht, als sie an ihren Kolleginnen vorbei kommt.
Hinter dem Raumteiler ist sie wieder ganz Lächeln und Leidenschaft. Erneut wechseln zwei Scheine den Besitzer, diesmal sind es 100er.
Minuten später ist das Paar verschwunden.
Natalie Kettinger