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Streitthema Flüchtlingsunterbringung: Stadt München kritisiert den Freistaat

Für die Unterbringung von Geflüchteten zahlt die Stadt München jedes Jahr um die 50 Millionen. Der Freistaat Bayern übernimmt nur einen Bruchteil. Auch für den Schutz von Frauen könnte der Staat mehr tun, sagen viele. Was die Parteien im Wahlkampf fordern.
von  Christina Hertel
Ein Bild aus dem vergangenen Jahr: Eine ukrainische Familie wird am Münchner Hauptbahnhof von einem ukrainisch sprechenden Helfer in Empfang genommen.
Ein Bild aus dem vergangenen Jahr: Eine ukrainische Familie wird am Münchner Hauptbahnhof von einem ukrainisch sprechenden Helfer in Empfang genommen. © Matthias Balk/dpa

München - Die Ersten, die vor dem Krieg in der Ukraine flohen, kamen noch in eigenen Autos oder in kleinen Gruppen mit der Bahn. Aber bald war klar: Das wird nicht so bleiben. München braucht Betten, Menschen, die helfen – so wie 2015, als viele Münchner mit Willkommensschildern am Hauptbahnhof standen. Ein halbes Jahr nach Ausbruch des Krieges im Frühling 2022 sind in München 60.000 ukrainische Geflüchtete angekommen.

Längst nicht alle blieben. Im Juni 2023 lebten laut der Stadt 8.617 Geflüchtete in München, nicht nur Ukrainer, sondern auch Menschen aus Nigeria, Afghanistan, Türkei und anderen Ländern. Alle unterzubringen, ist für die Stadt eine Herausforderung. Sogar eine Taskforce setzt die Stadt ein, um Standorte für neue Unterkünfte zu finden.

Flüchtlingsunterbringung und Asylsozialbetreuung kosten München 60 Millionen Euro pro Jahr

Die Geflüchteten unterzubringen, ist teuer: 2022 gab die Stadt rund 50 Millionen Euro dafür aus. Darin sind Kosten für Sicherheitsdienste, Reinigung, Catering, und teilweise auch die Mieten für kurzfristig laufende Unterkünfte enthalten. Die Regierung von Oberbayern hat davon aber laut Sozialreferat nur vier Millionen Euro erstattet.

Auch für die Asylsozialbetreuung investiert die Stadt viel Geld: 10,5 Millionen Euro kostete es 2021, dass sich Sozialpädagogen, Erzieher, Betreuer um die Geflüchteten kümmerten und ihnen halfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. Der Freistaat übernahm allerdings laut Sozialreferat nur 25 Prozent der Kosten. Den Rest bezahlte die Stadt aus eigener Tasche – auch die Sozialdienste, die in den Unterkünften des Freistaats arbeiten.

Bayern stellt zu wenig Geld für Asylsozialbetreuung zur Verfügung: Sozialreferat München ist unzufrieden

Das Münchner Sozialreferat ist deshalb unzufrieden: "Grundsätzlich ist die Unterbringung Geflüchteter Aufgabe des Freistaates. Faktisch übernehmen aber die Kommunen diese Aufgabe", schreibt es. Zum Beispiel müsse der Freistaat seiner Kostenerstattungspflicht schneller nachkommen: "Es kann nicht sein, dass hier die Kommunen in Vorleistung gehen und dann monate- und jahrelang auf ihr Geld warten." Für die Asylsozialbetreuung stehe viel zu wenig Geld zur Verfügung. Der Freistaat weigere sich "beharrlich" ausreichend tätig zu werden.

Statt mehr Geld könnte es in Zukunft sogar noch weniger geben, fürchtet das Sozialreferat. Die Höhe der Zuschüsse für die Asylsozialbetreuung sei schon heute völlig unzureichend und stehe auch noch unter Haushaltsvorbehalt. Ebenfalls zur Disposition stehe die finanzielle Unterstützung des Freistaats für Asylbewerber, die in ihre Heimat zurückkehren wollen. Auch bei der Standortsuche nach neuen Unterkünften unterstütze der Freistaat zu wenig: Staatliche Flächen würden kaum oder nur schleppend dafür herangezogen.

Asylarbeit in München: "Viele Träger können sich das nicht leisten"

Karin Majewski, die Chefin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Oberbayern, wünscht sich ebenfalls mehr Geld. Denn Wohlfahrtsorganisationen müssen derzeit zehn Prozent ihrer Kosten bei der Flüchtlings- und Integrationsberatung selbst übernehmen. "Viele Träger können sich das nicht leisten", sagt sie. Die Gefahr bestehe, dass sie sich irgendwann ganz aus der Asylarbeit zurückziehen.

Auch gegen Fachkräftemangel müsste der Freistaat aus ihrer Sicht mehr tun – gerade in München sei der gravierend. In den städtischen Kindertageseinrichtungen sind zum Beispiel derzeit rund 14,5 Prozent aller Stellen für Erzieher und 8,5 Prozent der Ergänzungskraftstellen (also zum Beispiel Kinderpfleger) nicht besetzt.

Münchner Sozialpolitik: "Wenn sich die Finanzierung nicht ändert, wird's schwierig"

Die Folge: Heuer mussten Kitas schließen, wenn die Betreuer krank waren. Neu gebaute Häuser konnten gar nicht erst öffnen. Helfen könnte mehr bezahlbarer Wohnraum, glaubt Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Aber es müsste aus ihrer Sicht auch mehr gute Studien- und Ausbildungsplätze in München geben.

Mehr Plätze und mehr Geld bräuchten aus ihrer Sicht auch die Frauenhäuser. Noch so eine Aufgabe, die eigentlich der Freistaat übernehmen müsste und bei der sich die Stadt alleingelassen fühlt. Bisher gibt es in München 78 Plätze in Frauenhäusern. Laut der Istanbuler Konvention, eine Verpflichtung, die die EU-Staaten unterzeichnet haben, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern, müsste es in München 156 Plätze in Frauenhäusern geben.

Das heißt: München erfüllt die Vorgaben nicht einmal zur Hälfte. 2024 will die Stadt ein neues Frauenhaus mit 20 Plätzen in Betrieb nehmen. Der Freistaat entziehe sich weitgehend seiner Verantwortung, hieß es damals, als die Maßnahme bekannt gegeben wurde, aus der SPD-Stadtratsfraktion. "Es ist das Gleiche wie bei der Migrationsberatung", sagt Karin Majewski. "Wenn sich die Finanzierung nicht ändert, wird's schwierig."


FDP: Ausbau von Kindertagesstätten und Frauenhäusern

Die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt erinnert sich genau, wie sie sich fühlte, als sie einen neuen Job, aber keinen Kitaplatz für ihre Tochter fand. Bei zwölf städtischen Kitas hatte sie angefragt, erzählt Sandt. Mit Glück bekam sie einen Platz in der Landtags-Kita, obwohl die FDP rausgewählt war.

Sie findet: "Die Kitaplatz-Suche darf kein Lotto-Spiel sein." Ihr wichtigstes Wahlkampfthema ist deshalb, mehr Betreuungsplätze zu schaffen. Der Freistaat müsse sicher stellen, dass es eine Vielfalt an Trägern gibt. Sandt hält es für falsch, wie die Stadt ihr Fördersystem für Kitas neu regeln will.

Julika Sandt (FDP).
Julika Sandt (FDP). © Tobias Hase/dpa/Archivbild

Die Stadt plant, einen Defizitausgleich an die Einrichtungen zu zahlen. Die Träger könnten dann keine machen – und das entspricht nicht dem Geschäftsmodell vieler privater Kitas. "Aber es braucht auch private Träger", sagt Sandt. "Der Freistaat muss alle Hebel in Bewegung setzen, damit die Stadt München sie nicht einschränkt."

Auch, dass die Ausbildung vergütet und ausländische Abschlüsse anerkannt werden, fordert sie. Außerdem müsse der Freistaat mehr Frauenhausplätze auf staatlichen Grundstücken schaffen – und zwar nicht nur für Frauen, die von ihrem Partner Gewalt erfahren, sondern alle akut bedrohten Frauen.

Grüne: Sicheres Vorgehen gegen den Fachkräftemangel

Dass Eltern auf der Suche nach einem Betreuungsplatz für ihr Kind verzweifeln, weiß die Grünen-Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel. Auch bei dieser Wahl tritt sie wieder in Giesing an. "Seit zehn Jahren gibt es ein Recht auf Betreuung", sagt Demirel.

Trotzdem sind die Wartelisten für einen Kindergartenplatz in München lang. Ein Grund sei der Fachkräftemangel. Demirel fordert deshalb eine bessere Vergütung der Ausbildung und eine schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse.

Gülseren Demirel (Die Grünen).
Gülseren Demirel (Die Grünen). © Stephan Rumpf

Dass trotz Fachkräftemangels in Bayern Arbeitsverbote für Asylbewerber verhängt werden, bezeichnet Demirel als eine "volkswirtschaftliche Dummheit". Überhaupt ist sie unzufrieden, wie der Freistaat mit Geflüchteten umgeht. Bayern gebe viel zu wenig Geld für Integration aus. München bezahle vieles freiwillig aus eigener Tasche: Kinderbetreuung oder soziale Betreuung in den Unterkünften, zum Beispiel.

Auch, dass der Freistaat zu wenig tut, um mehr Frauenhäuser in München zu errichten, kritisiert Demirel: "Die Frauenhäuser sind voll, der Zustand ist dramatisch und der Freistaat tut, als wäre das gar nicht sein Problem." Dabei wäre er auch dafür zuständig. Momentan finanziere die Stadt Frauenhäuser aus eigenen Mitteln.

CSU: Rückkehr an den Arbeitsplatz nach dem Mutterschutz, Sanierung von Sporteinrichtungen

In München leben natürlich viele Paare mit Kindern, weiß die CSU-Kandidatin Susanne Hornberger. Das bayerische Sozialministerium müsste sich deshalb mehr einsetzen, dass Frauen nach der Elternzeit eine Garantie bekommen, auf ihre Job-Position zurückkehren zu dürfen. Auch den Bau und die Sanierung von Sporteinrichtungen sollte der Freistaat mehr fördern, sagt sie. Zum Beispiel müsste das Schwimmbad Salesianum in Haidhausen saniert werden. Doch wer die Kosten übernimmt, ist offen.

Susanne Hornberger (CSU).
Susanne Hornberger (CSU). © privat

SPD: Personalmangel in Pflegeheimen, Kindergärten und im Bereich Integration bekämpfen

Das reiche München hat doch alles. Das ist ein Satz, den die SPD-Landtagsabgeordnete Diana Stachowitz oft hört. Aber München müsse eben auch mehr Herausforderungen meistern. Und dabei lasse der Freistaat München oft alleine, findet Stachowitz. Zum Beispiel bei der Integration: Der Freistaat habe die Sprachlernklassen, in denen geflüchtete Kinder integriert werden, abgeschafft. Wegen der Kosten - und wegen der Personalnot, erzählt Stachowitz.

Der Personalmangel sei auch in Pflegeheimen und Kindergärten groß. Helfen könne, wenn ausländische Abschlüsse schneller anerkannt würden. Es könne vorkommen, dass jemand, der in München einen Job annehmen will, eineinhalb Jahre auf die Erlaubnis der Behörden warten muss, erzählt Stachowitz. Für die Anerkennung ist die Regierung von Oberbayern zuständig.

Diana Stachowitz (SPD).
Diana Stachowitz (SPD). © SPD

Doch die bräuchte mehr Personal, sagt sie. Schließlich klappe eine Anerkennung in anderen Teilen Bayerns in vier Wochen. Stachowitz unterstützt die Idee für einen Mindestlohn von 16 Euro in München. Der Freistaat müsse Vorbild sein: Wenn ein Unternehmen einen staatlichen Auftrag bekommt, solle es und alle seine Sub-Unternehmen mindestens Tariflohn zahlen. Momentan schlägt der Freistaat meistens beim günstigesten Angebot zu.

Freie Wähler: Mehr Zuschüsse für die Unterbringung von Geflüchteten, Kinder und benachteiligte Personen

Zwar unterstütze der Freistaat die Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten bereits in einem hohen Maße, sagt Michael Piazolo, Chef der Freien Wähler in München. Allerdings weiß er auch, dass die Herausforderungen gestiegen sind.

Michael Piazolo (Freie Wähler), Staatsminister für Unterricht und Kultus.
Michael Piazolo (Freie Wähler), Staatsminister für Unterricht und Kultus. © Peter Kneffel/dpa

Deshalb müsse über eine Erhöhung der Zuschüsse nachgedacht werden. Aber auch die Stadt sieht Piazolo in der Pflicht, damit München lebenswert für alle bleibt: Sie sollte Kindern und anderen benachteiligten Personen "gesonderte Unterstützung" gewähren.

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