Streitfrage: Wie viele Münchner gibt es eigentlich?
München - Dass München wächst, ist unstrittig. Aber wie viele Einwohner hat unsere Stadt jetzt eigentlich genau? Die kuriose Antwort: Kommt ganz darauf an, welcher Statistik man glaubt.
Die Stadt und der Freistaat sind sich diesbezüglich nämlich nicht einig. Die beiden Einwohnerzahlen, die im Umlauf sind, variieren gehörig.
Laut dem städtischen Einwohnermelderegister gab es Ende März exakt 1.443.122 Münchner. Die „amtliche Einwohnerzahl“ des Landesamts für Statistik lag dagegen bei 1.390.162. Die Abweichung: 52.960 Einwohner. Damit entspricht der Unterschied von der Dimension her einer mittelgroßen Stadt – Freising zum Beispiel. Oder Passau.
Wie kann das sein? Und welche Zahl stimmt denn nun? Das wollten auch die Münchner FDP-Stadträte wissen. In einer neunseitigen Stadtratsvorlage hat sich das Statistische Amt der Stadt bemüht, das Problem zu erklären. Das durchaus unbefriedigende Fazit: „Die eine verbindliche und gültige Einwohnerzahl gibt es nicht.“ Aha.
Die Ursache für den Zahlen-Salat: Bei der Ermittlung gibt es zwei parallele Konzepte. Das Landesamt für Statistik arbeitet auf Basis des jüngsten Zensus. Die Angaben des Melderegisters sind dabei im Rahmen einer Stichprobe überprüft worden: Bei ausgewählten Wohngebäuden haben kommunale Zähler ganz konkret geprüft, ob die unter dieser Adresse gemeldeten Menschen wirklich noch dort leben.
Eine solche Kontrolle gab es für rund fünf Prozent der Münchner Einwohner. Die festgestellten Abweichungen wurden dann auf die gesamte Einwohnerzahl hochgerechnet.
Seither wird das Ergebnis fortgeschrieben. Plus Zuzüge und Geburten, minus Fortzüge und Todesfälle.
Bei der Stadt läuft das anders: Für die kommunale Statistik zählen die Daten aus dem jeweils aktuellen Melderegister. Dieses wird regelmäßig um Karteileichen bereinigt – etwa wenn ein bisher nicht bekannter Fortzug auffällt, weil eine Wahlbenachrichtigung nicht zugestellt werden konnte. Außerdem werden die Meldedaten zum Beispiel auch mit dem Bundeszentralamt für Steuern abgeglichen.
Wie zutreffend das Melderegister ist, haben die Bürger selbst in der Hand. Die Statistiker beklagen in ihrem Bericht für den Stadtrat „ein unterentwickeltes Meldeverhalten“. Es gibt nämlich zwar prinzipiell eine Meldepflicht, jedoch keine „Abmeldepflicht“. Wer wegzieht, muss das also nicht mitteilen.
Innerhalb Deutschlands ist es so geregelt, dass die Zuzugs-Gemeinde die Wegzugs-Gemeinde über ihren Neubürger informiert – doch das kann dauern. Dieses Prinzip funktioniert freilich nicht mehr, wenn jemand (zurück) ins Ausland geht. Das ist wohl auch eine Erklärung dafür, warum die Zahlen bei Ausländern besonders stark auseinandergehen. Satte 12,8 Prozent liegen zwischen der Angabe des Landesamts und der Stadt.
Welche Methode ist denn jetzt plausibler? Da scheiden sich die Geister. Gunnar Loibl vom Landesamt für Statistik sagt: „Wir gehen davon aus, dass unsere Zahl die belastbarere ist.“ Das Konzept sei in sich stimmiger.
Dagegen schreibt das Kreisverwaltungsreferat in einer Stellungnahme, dass „davon ausgegangen werden kann, dass das Melderegister einen hohen Wahrheitsgehalt hat“.
Die Auseinandersetzung ist übrigens keine bayerische Spezialität. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ hatten im August bundesweit mehr als 800 Gemeinden Widerspruch gegen ihre „amtliche Einwohnerzahl“ eingelegt, die auf dem Zensus basiert.
Gunnar Loibl erklärt, warum das Ganze so viel Streitpotenzial hat: Zahlungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs hängen an der Einwohnerzahl. Genau wie die Frage, wie viele Sitze ein Stadtrat hat – oder wie viel ein OB verdient. Welche Einwohnerzahl stimmiger ist, werde darum „im Zweifelsfall das Gericht festlegen“.
Das Problem ist auf jeden Fall erkannt. Deshalb haben die Münchner Stadträte vorige Woche in der Vollversammlung auch beschlossen, dass ein Konzept zur „Plausibilisierung“ der Bevölkerungszahlen erarbeitet werden soll. Damit die Münchner irgendwann dann doch einmal genauer wissen, wie viele sie eigentlich sind.
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