Streikbilanz in München: Applaus reicht nicht mehr

1.800 Müllfahrer, Pflegekräfte, Sozialarbeiter und Verwaltungsangestellte streiken. Sie können nicht glauben, dass von den Versprechen der Politik so wenig übrig geblieben ist
von  Helena Ott
Städtische Angestellte streiken am Freitag für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen statt nur Applaus.
Städtische Angestellte streiken am Freitag für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen statt nur Applaus. © Sigi Müller

München - Es gibt schlechtes und es gibt fürchterliches Wetter. Der Regen sprüht von allen Seiten, das Thermometer ist unter zehn Grad gefallen. Das hält 300 Angestellte aus Krankenhäusern, Wertstoffhöfen, Bibliotheken und Sozialämtern am Freitag nicht davon ab, frühmorgens zur Streikkundgebung auf der Theresienwiese zu stehen.

Gewerkschaften fordern 4,8 Prozent mehr Lohn

Am zweiten Streiktag des öffentlichen Dienstes in München beteiligten sich 18.000 Arbeitnehmer. Stationen im Klinikum Schwabing, Bogenhausen oder Harlaching werden mit Notversorgung betrieben, die Müllabfuhr fährt nicht und Mitarbeiter aus dem Sozial- und Baureferat haben ihre Arbeit niedergelegt.

In einer Woche steht die dritte Verhandlungsrunde mit den kommunalen Arbeitgebern an. Die Gewerkschaften fordern 4,8 Prozent mehr Lohn. Es sei "völlig unverständlich", dass die gleichen Politiker, die systemrelevante Berufsgruppen im Frühjahr beklatschten und höhere Löhne ankündigten, jetzt "stur auf leere Kassen verweisen", sagt Heinrich Birner, Verdi-Geschäftsführer in München. Die Beschäftigten sollten nun neben ihrer hohen Arbeitslast zusätzlich auch noch die Kosten der Coronapandemie bezahlen.

Erstes Angebot von Bund und Kommunen 

Am Freitagnachmittag kam von Bund und Kommunen dann das erste Angebot: Die Löhne der 2,5 Millionen Beschäftigten bundesweit, sollen in drei Jahresstufen um 3,5 Prozent steigen.

Auf der Theresienwiese bittet Heinrich Birner am Morgen Johanna Weck auf die Bühne, sie ist Physiotherapeutin am Klinikum in Bogenhausen. Im Frühjahr hatte die 29-Jährige Hoffnung, dass sich die Arbeitsbedingungen nun "endlich verändern".

Umso größer sei jetzt die Enttäuschung. Kämpferisch ruft Weck "alle, die bisher gesagt haben, Streik bringt doch nichts" dazu auf, "den Arsch hochzukriegen". Die Arbeitgeber adressiert sie mit den Worten: "Das könnt ihr nicht verantworten." Patienten würden mittlerweile nur noch mit dem "Allernötigsten" versorgt. Die Politiker hätten ihrer Auffassung nach "null Plan", wie es wirklich auf den Stationen aussähe. Deshalb lädt Weck sie auf offener Bühne dazu ein, sie einen Tag zu begleiten.

Unter den Streikenden ist auch Julia Göhler, Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Die 23-Jährige hat eigentlich Urlaub. Aus Solidarität ist sie trotzdem da. Auch sie sieht den Stress und den Mangel bei Pflegeberufen und Erziehungsdiensten. Es fehlten Nachwuchskräfte, weil die Einrichtungen mit niedrigen Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen nicht mit privaten Unternehmen konkurrieren könnten. Beim Einstiegsgehalt dieser Berufsgruppe blieben 1.300 Euro netto übrig. In einer Stadt in der eine 50-Quadratmeter Wohnung um die 1.000 Euro kostet. "Es macht mich wütend, dass das nach dem Streik vorgelegte Angebot des VKA, in dem Gehaltskürzungen für alle Beschäftigten aller Berufsfelder im öffentlichen Dienst stehen, als "attraktives Angebot" und "wertschätzend" betitelt wird", sagt Göhler. Die Wertschätzungsbekundungen der Politiker im Frühjahr seien "nichts als leere Worte" gewesen.

"Das macht auf Dauer krank"

Neben ihr steht Christian Moneke, er ist Techniker im städtischen Planungsreferat, prüft Bauanträge und kontrolliert auf Baustellen ob Statik- und Brandschutzvorgaben eingehalten werden. Durch die Arbeit im Homeoffice sei der Job komplexer geworden und der Druck und die Angst, Fehler zu machen gestiegen. "Das macht auf Dauer krank."

Die Streiks gehen weiter, am Wochenende bleiben Wertstoffhöfe geschlossen und am Montag zünden die Gewerkschaften die nächste Eskalationsstufe. Dann werden auch wieder Beschäftigte von Kitas und Fahrer des öffentlichen Nahverkehrs in Streik treten.

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