Streik-Montag: Der Warnstreik und die Kita-Wut

München - Der Frust über die Bezahlung scheint groß bei vielen Münchnern im öffentlichen Dienst - und sie zeigen ihn auch. Während sich am Morgen des Warnstreik-Montags 180 Pfleger und Schwestern vorm Schwabinger Krankenhaus versammeln und wenig später Stadtwerker vor ihrem Hauptgebäude protestieren, kleben Gewerkschafter am Marienplatz Abstandslinien aufs Pflaster.
Es sind Markierungen für die Erzieherinnen, Heilpädagogen und Kinderpfleger, die sich für ihren Streiktag den prominentesten Versammlungsplatz in München ausgesucht haben - direkt unter dem Amtszimmer von Oberbürgermeister Dieter Reiter. Ausgerechnet Münchens Ober-Sozi nämlich hat ihren Kita-Streik im Vorfeld als "verantwortungslos" gegeißelt, mit Blick auf die Familien, die in Corona-Zeiten eh schon strapaziert genug sind.
Das bringt die Kita-Mitarbeiter hier am Platz gleich doppelt auf. "Vor zwei Wochen noch wollte ich auf gar keinen Fall streiken", erzählt eine Erzieherin, die in einem Hort in Obersendling arbeitet. "Aber jetzt reicht's mir. Erst werden wir beklatscht, dann fallengelassen und jetzt auch noch beschimpft. Dass der OB unseren Streik kritisiert, das ist selber verantwortungslos!"
"Nur wir sollen weiter funktionieren"
Es gehe gar nicht zuvorderst um die Bezahlung (Verdi will 4,8 Prozent für die Geringverdiener erstreiten), erklären vier Frauen, die mit ihr in einem Grüppchen stehen. "Sondern darum, dass wir als städtische Mitarbeiter zweiter Klasse behandelt werden."

Mit dem alarmierenden Corona-Inzidenzwert über 50 letzte Woche habe die Stadt für ihre Verwaltungsleute Warnstufe Rot ausgegeben und viele ins Homeoffice geschickt. "Nur für Kitas soll weiter Stufe Gelb gelten, nur wir sollen weiter funktionieren, ungeschützt mit vollen Gruppen", sagen die Frauen. Und: "Wir haben auch ein Recht auf Arbeitsschutz."
Zumindest solle die Stadt die Kita-Betriebe auf Notgruppen herunterfahren, damit mehr Abstand gehalten werden könne. "Ich arbeite sogar weiter, obwohl ich Risikopatientin bin", sagt eine andere Frau, "aber ich will einfach nicht länger ausgenützt werden."
Münchner Eltern: Verständnis und Kritik
Aus rund 250 Münchner Kindergärten, Krippen und Horten haben sich um die 400 Mitarbeitende dem Streik angeschlossen, schätzt die Gewerkschaftssekretärin Merle Pisarz, die am Platz die Eintragung in die Listen im Blick hat. Nach einer Verdi-Zählung sind etwa 60 Kitas streikbedingt geschlossen. "Bei den anderen", sagt Pisarz, "läuft ein Notbetrieb."
Münchner Eltern von Kita-Kindern sehen die Streikaktion zwiegespalten. Auf der Straße ist viel Verständnis zu hören - aber auch Kritik. "Eigentlich haben Erzieherinnen ja gerade erst eine ordentliche Zulage bekommen", argumentiert die Mutter und Medizin-Studentin Bernadette Lanig (30), "andererseits wird gerade von ihnen jetzt ja wahnsinnig viel abverlangt."
Insgesamt, meldet Münchens Verdi-Chef Heinrich Birner später, haben sich rund 1.500 Münchner am Warnstreik beteiligt. In den Kliniken Schwabing, Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach und Thalkirchner Straße sei je eine Station geschlossen worden. "In Schwabing waren nur zwei von sechs OP-Sälen in Betrieb." Man sei bereit, an "weiteren Streikaktionen" teilzunehmen, kündigt er an. Am Dienstag folgen erst mal einige Hundert Bus-, Tram- und U-Bahn-Fahrer. Birner: "Dann sehen wir weiter."