Streik auch in München - GDL-Lokführer überrascht: "Wir wollen ja nicht streiken"

Liebe Leserinnen und Leser, dieses Interview wurde im Januar vor dem letzten GDL-Streik geführt. Gerne möchten wir Ihnen das interessante Interview zu den Motiven der Streikenden weiterhin als Lesestück anbieten. Viele Grüße, die AZ-Redaktion
München - Heiko Sann sitzt dieser Tage nicht hinterm Steuer. Er beteiligt sich an den Streiks. Der 53-Jährige ist seit 1988 Lokführer, arbeitet beim DB Fernverkehr, ist Ortsgruppenvorsitzender der GDL München und Betriebsrat. Er fährt unter anderem von München nach Kassel und Frankfurt.
AZ: Herr Sann, wo sind Sie normalerweise unterwegs?
HEIKO SANN: Ich bin Lokführer beim DB Fernverkehr und fahre die Strecken von München aus Richtung Kassel, Stuttgart, Frankfurt, Brenner, Lindau oder auch Oberstdorf.

Die kommenden Tage aber nicht?
Nein, die kommenden Tage ist jetzt Ruhe.
Wie kommen Sie normalerweise zu Ihrem Zug?
Ich wohne in Mering und komme selbst mit dem Zug zur Arbeit.
Vorsitzender der GDL München: Warum Lokführer Heiko Sann gerade streikt
Haben Sie Verständnis dafür, dass der Streik mittlerweile auf Unmut in der Bevölkerung stößt?
Ich verstehe die Leute natürlich. Aber es wird einfach viel falsch kommuniziert – das ist das Problem. Die GDL ist ja willig, an den Verhandlungstisch zurückzukommen. Aber wenn nichts vorgelegt wird, worüber man verhandeln könnte, dann kann man darüber auch nicht sprechen. Der Bevölkerung wird immer etwas vorgesagt, was gar nicht stimmt.
Was denn?
Es fallen nur Schlagwörter, wie zum Beispiel die 37-Stunden-Woche. Aber welche Bedingungen daran geknüpft sind, wird nicht kommuniziert. Die Bahn hat zwar jetzt 13 Prozent Gehaltserhöhung angeboten, allerdings über 32 Monate. Das sind pro Jahr 3,2 Prozent. Und dann soll das erst ab August gezahlt werden, bis dahin vergehen nochmal acht Monate. Die Arbeitszeitverkürzung ist an die Bedingung geknüpft, dass genügend Leute an Bord sind. Es ist also alles nicht so, wie es aussieht.
Haben Sie derzeit Kontakt zu den Fahrgästen?
Der ein oder andere kommt bei uns vorbei, wenn wir streiken, und ist erzürnt. Aber wenn wir dann mit den Leuten sprechen und es ihnen erklären, haben sie schon Verständnis. Wenn sie die Arbeitsbedingungen im Schichtbetrieb kennen, akzeptieren sie den Streik schon eher.
Streikender Lokführer: "Wir wollen ja nicht streiken"
Wie sind denn die Arbeitsbedingungen?
Wir arbeiten in einem unregelmäßigen Schichtdienst, der zu jeder Tages- und Nachtzeit beginnt, die Schichten variieren zwischen sechs und zwölf Stunden. Zwischen diesen Schichten haben wir meist nur zwölf Stunden Ruhe. Die Mindestruhezeit ist bei uns auf elf Stunden festgelegt und da geht die Bahn ziemlich nahe dran. Oft fange ich nachmittags um 14 Uhr an, arbeite bis 24 Uhr und fange dann in der Früh um 11 Uhr wieder an. So komme ich irgendwann von der Spätschicht in die Frühschicht. Dazu kommt dann noch die Anfahrt zum Zug – oft ein bis zwei Stunden. Oft ist man dann nur sechs Stunden daheim und muss schon wieder in die Arbeit.
Sie sind schon seit mehr als 30 Jahren Lokführer. Sind die Arbeitsbedingungen schlechter geworden?
Früher bin ich zum Beispiel von München nach Augsburg mit meinem Zug gefahren, habe die Lok abgehängt, bin in die Dienststelle gefahren, habe Pause gemacht und bin dann mit dem nächsten Zug wieder nach München gefahren. Heute setzen wir uns in den Zug und fahren fünf Stunden ohne Pause durch – von München nach Hannover und wieder zurück. Die Schichten hatten wir auch früher – aber die Belastung in den Schichten ist größer geworden.
Was glauben Sie: Wie oft wird noch gestreikt? Wie oft kann sich die GDL das noch leisten?
Wir wollen ja nicht streiken. Ich hoffe ja, dass die Bahn endlich mal ein Angebot vorlegt, über das man sprechen kann. Wir haben ja mit anderen Eisenbahnunternehmen den Tarifabschluss schon geschafft, auch mit der 35-Stunden-Woche. Dort hat man auch Kompromisse gefunden. Wenn das bei anderen Eisenbahnunternehmen geht, dann sollte das bei uns auch möglich sein.
"Wir wollen unsere Arbeit machen, kein Lokführer möchte streiken"
Wie hoch ist das Streikgeld, das sie aktuell von der GDL bekommen?
Zehn Euro die Stunde und maximal 100 Euro am Tag.
Lokführer ist ja oft ein Kindheitstraum. Wären Sie froh, wenn der Streik vorbei wäre?
Wir wollen unsere Arbeit machen und wir wollen die Leute von A nach B befördern. Lokführer war auch mein Kindheitstraum. Ich bin Lokführer seit 1988 und mache das heute immer noch gern. Kein Lokführer möchte streiken, auch kein Zugbegleiter und auch kein Fahrdienstleiter. Wir wollen unsere Arbeit machen, aber nun halt auch gerecht dafür entlohnt werden.
Wie sehen die kommenden Tage bei Ihnen aus?
Da ich Funktionär bin, bin ich ziemlich eingebunden in den Streik, ich werde auch die Streikleitung in München mitorganisieren.
Wie kommen Sie zum Streik?
Mit dem Zug – sofern er fährt.