Streetart in München: Die Straße gehört den Frauen

Im Vergleich zu anderen Städten gibt es in München fast genauso viele Kunstwerke von Frauen wie von Männern - vor allem im Werksviertel.
von  Victoria Kunzmann
Gruselig, bunt und farbenfroh: Was junge Sprayerinnen im Werksviertel geschaffen haben.
Gruselig, bunt und farbenfroh: Was junge Sprayerinnen im Werksviertel geschaffen haben. © Victoria Kunzmann

München – Werk 9 liegt ein wenig versteckt im Werksviertel. Hinter Werk 3, dem länglichen Gebäude mit der Farm auf dem Dach, hinter dem Technikum, vorbei an Werk 12, 7 und Werk 6. Am Boden Schutt, Steine, viele Häuser wurden hier abgerissen. Das Viertel ist im Aufbruch, es ist kreativ. Viele bunte Graffiti an den Wänden zeigen das.

Bunte Monster fallen als erstes auf, wenn man vor Werk 9 steht. Wären sie echt, wären sie wohl aus Plüsch, so rund und flauschig hat Künstlerin Taina sie gemalt. Sie zieren den ersten Teil einer langen Mauer voll Streetart. Einer besonderen Mauer, die Ende September beim "Hands off the Wall"-Festival gestaltet wurde. Und zwar nur von Frauen.

München Schauplatz des "Hands off the Wall"-Festivals

Die österreichische Künstlerin Chinagirl Tile hat das Festival 2018 ins Leben gerufen und die letzten beiden Jahre am Yppenplatz in Wien ausgetragen. Ihr Ziel ist es, "Frauen in der Streetart in den Vordergrund zu rücken." Da ist München genau der richtige Ort. Den bekanntesten Streetartisten der Stadt, Loomit, kennt sie gut - da lag es nahe, das Festival heuer hier stattfinden zu lassen.

Typisch Frau - das erkennt man bei den Wandbildern nicht. Auch Streetartist Loomit bestätigt das der AZ am Telefon. "Es gibt auch viele Frauen, die sehr männlich malen."

Neben den flauschigen Monstern lässt einen das wirklichkeitsgetreue, graue Gemälde eines Menschen schaudern. Nur die eisig starren Augen sind zu sehen, der Rest des Kopfes ist in Kapuze und mit Maske verdeckt. Die Kunstwerke reihen sich an der hohen, langen Wand aneinander, die Farben mischen sich an den Übergängen manchmal. Manche Werke sind cartoonig, andere realitätsnah, andere in typischen Graffitischriftzügen. Auch Organisatorin Chinagirl Tile hat die Wand mitgestaltet, ein paar Meter weiter, auf der Rückseite des Werk 9. Ein leuchtend orangefarbener Fuchskopf ist es, der die Mitte der Wand ziert. Chinagirl Tile benutzt eine spezielle Technik, bei der sie Kacheln gestaltet, brennt und auf die Wand klebt.

Bewacherin auf Tor.
Bewacherin auf Tor. © Victoria Kunzmann

Das erzeugt einen 3D-Effekt. "Bite the hand that doesn't feed you" steht da neben dem Fuchs. Die Österreicherin ist seit Jahren im Geschäft, sie macht aufmerksam, nutzt ihr Netzwerk - wie die Verbindung zu Loomit - und will das an andere Frauen weitergeben.

"Frauen in der Kunst oft nicht sichtbar"

Solche, die immer noch vernachlässigt werden als Künstlerinnen. Mehr noch als in anderen Metiers sind "Frauen in der Kunst oft nicht sichtbar", sagt die Wiener Artistin. "Auf dem großen Markt verkauft man, was approved, also erprobt, ist. Frauen sind da ein Risiko." Noch immer erlebten Frauen Sexismus. Schließlich sei die Straße ja etwas für Buben, für die, die sich nachts herumtreiben, sagt Chinagirl Tile.

Umso stolzer ist Loomit auf die Streetart-Szene in München. "Hier geht es langsam auf 50:50 zu", sagt er am Telefon. Seit Mitte der Achtziger Jahre ist er in der Stadt als Künstler aktiv. Er weiß, wer sich hier herumtreibt. In anderen Städten sei die Geschlechterverteilung eine andere. Selbst in Berlin - die Stadt, von der man eine noch viel größere Graffiti-Szene erwartet. In Berlin gebe es auf Festivals bei 70 Künstlern vielleicht fünf Frauen, sagt Loomit, der im echten Leben Mathias Köhler heißt. Ein Streetart-Festival, bei dem nur Frauen sprühen und malen, das gebe es dort nicht.

Die Kunst an Werk 9 entstand Ende September. Chinagirl Tile hat dafür Künstlerinnen aus Deutschland und Europa zusammengetrommelt, sie konnten in einem Hotel im Werksviertel kostenlos übernachten - und gestalteten dafür das Foyer des Hotels. Loomit hatte das eingefädelt. Für Organisatorin Chinagirl Tile ist das Werksviertel perfekt für diese Art von Kunst. "Das ist hier eine Riesenfläche, da ist alle Kunst geballt an einem Ort", sagt sie. "Das passt wunderbar zum Charakter des Werksviertels."

Das Ziel: Das Geschlecht spielt keine Rolle

Und dieser Charakter soll eben nicht verloren gehen. Anders als bei anderen freien Graffitiflächen in München, zum Beispiel an der "Wall of Fame" am Schlachthof, wird hier kein Kunstwerk übermalt. Weder die Monster von Taina, noch das mystische Blumenmädchen der Künstlerin Beastiestylez, noch das Bild zweier Mädchen von Hera. Die international erfolgreiche Künstlerin, die sonst im Duo Herakut sprüht, verbindet menschliche und tierische Elemente, setzte den beiden Frauen einen Reh- und einen Fuchskopf auf.

Liebe ist die Antwort, sagt dieses bunte Kunstwerk.
Liebe ist die Antwort, sagt dieses bunte Kunstwerk. © Victoria Kunzmann
Graffiti auf alten Mauern im Werksviertel.
Graffiti auf alten Mauern im Werksviertel. © Victoria Kunzmann

Für die Zukunft wünscht sich Chinagirl Tile ein Festival, bei dem sie auf keine Missstände aufmerksam machen muss. "Ich wäre super happy, wenn es mir egal sein könnte, ob die Künstler männlich oder weiblich sind. Wenn es da keinen Unterschied gibt."

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