Straffällige Frauen und Corona: "Gefühle wie Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit verstärken sich"

München - "Menschen am Rande der Gesellschaft trifft die Corona-Pandemie am härtesten", sagt Karin Majewski, Sprecherin des Bündnisses München Sozial. Eine "doppelte Bestrafung" kritisiert das Team der Straffälligenhilfe des Sozialdienstes katholischer Frauen in München.
In der täglichen Arbeit erlebt Iris Grönecke-Kümmerer (50): "Frauen, die wegen kleineren Delikten, wie wiederholtem Schwarzfahren oder Diebstahl Sozialstunden leisten müssten, droht die Gefängnisstrafe - unter verschärften Bedingungen."
Wer nicht zahlen kann, muss in Haft
Der Grund: Wegen Corona sind die meisten Stellen in Altenheimen und Friedhöfen weggebrochen. Wer seine Geldstrafe nicht abarbeiten kann, muss dann tatsächlich zahlen. Iris Grönecke-Kümmerer: "Die meisten versuchen es, aber haben nicht das Geld dafür. Wenn eine Ratenzahlung nicht mehr genehmigt wird oder die Ratenhöhe zu hoch ist, kann die Haftstrafe vollstreckt werden". Ein Gespräch über die Situation in München.

AZ: Frau Grönecke-Kümmerer, wie viele Frauen sitzen in München im Gefängnis?
IRIS GRÖNECKE-KÜMMERER: Derzeit sind rund 100 Frauen in der Frauenhaftanstalt in München in Strafhaft und in U-Haft. In München werden Kurzstrafen bis zu zwei Jahren vollstreckt.
Hat sich die Stimmung in der JVA München verändert?
Es kann keine Pauschalaussage getroffen werden. Insgesamt nehmen wir eine Verstärkung der Gefühle von Resignation, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit wahr.
Nach dem Haftantritt müssen die Frauen mindestens zwei Wochen in Quarantäne. Was bedeutet das?
Das heißt 23 Stunden allein in der Zelle zu sitzen - mit nur einer Stunde Hofgang. In der ersten sensiblen Zeit nach einer Inhaftierung ist das sehr schwierig. Diese Zeit geht häufig mit Gefühlen des Schocks, der Ohnmacht und der Hilflosigkeit einher.
Frauen und Männer fühlen sich doppelt bestraft, weil Stellen für gemeinnützige Arbeit in München geschlossen sind. Welche?
Nicht möglich sind die Tätigkeit auf Friedhöfen, in Tierheimen, in den Alten- und Service-Zentren, in den meisten Altenheimen und offenen Treffs. Der Grund dafür sind eingeschränkte Ressourcen durch den zusätzlichen Mehraufwand für die Einhaltung des Hygienekonzepts wegen Corona und Krankheitsausfälle. Wir können derzeit nur begrenzt vermitteln, zum Beispiel an Pfarrgemeinden.
Wegen Corona: Abarbeiten der Strafe oft nicht möglich
Die Frauen, die sie vermittelten sind meist arbeitslos, häufig suchtkrank, psychisch erkrankt oder sie haben körperliche Einschränkungen und leben am Existenzminimum.
Ihre Straftaten liegen im Bagatellbereich: Das sind Schwarzfahren, kleinere Diebstähle, Betrug. Ihre Delikte sind häufig Ausdruck der prekären Lebenssituation von Frauen in München.
Was passiert, wenn die Möglichkeit wegfällt, gemeinnützige Arbeit zu leisten, wie jetzt?
Bei der Geldstrafe, die Frauen dann aufbringen müssen, ist die Ratenzahlung häufig zu hoch. So ist die Geldstrafe oft keine Alternative. Denn viele Klientinnen leben sowieso schon am Existenzminimum.
Frau K. (42), wurde wegen Drogenbesitz in geringer Menge zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt: insgesamt 1.125 Euro. Sie beantragte die Umwandlung in gemeinnützige Arbeit...
Sie konnte sich gut vorstellen 450 Stunden, also 75 Mal sechs Stunden auf dem Friedhof zu arbeiten. Doch die Einsatzstelle ist geschlossen. Eine alternative Vermittlung scheiterte. Die Geduld der Justiz hatte in diesem Fall ein Ende. Frau K. konnte die Strafe nicht zahlen. Es wurde ein Haftbefehl ausgestellt.
Reagieren die Justizbehörden zu hart?
Die Justiz hat lange Zeit sehr kulant reagiert. Doch die lange Dauer der Pandemie wirkt sich negativ auf die Betroffenen aus.
Im Gefängnis waren im ersten Lockdown ja alle Besuche gestrichen...
Inzwischen dürfen wie sonst auch Frauen einmal im Monat Besuch empfangen. Bei Besuchen werden die Masken aufgelassen. Es gibt eine Trennschutzscheibe.
Frauen in Haft mit Kindern
Wie ist das, wenn Frauen in Haft kleine Kinder haben?
In der JVA Aichach ist es während der Coronapandemie möglich auch per Skype Kontakt zu Kindern und Angehörigen zu haben. Das wird dort sehr geschätzt und teils den Besuchen mit Kindern vorgezogen. In München ist das aus technischen Gründen nicht möglich.
Wie ist es mit Hafturlaub?
Ausgang, um sich auf die Entlassung vorzubereiten, wie Wohnungssuche oder ein Vorstellungsgespräch, sind nicht möglich, um eine Infektion auszuschließen. Das geht nur in sehr dringenden Fällen und zieht 14 Tage Quarantäne in Einzelhaft nach sich.
Was fordern Sie zur Verbesserung der Lage der Frauen konkret?
Im Frühjahr 2020 wurden die Ersatzfreiheitsstrafen sowie die Kurzstrafen nicht vollstreckt. Das hat den Druck gemindert. Seit Herbst 2020 werden die Ersatzfreiheitsstrafen wieder vollstreckt mit all den negativen Konsequenzen, die eine Inhaftierung nach sich zieht.
Da die meisten Frauen, die wegen Bagatelldelikten verurteilt werden, arm sind, haben Sie einen Vorschlag...
Den Tagessatz einer Geldstrafe bei mittellosen Menschen sehen wir als zu hoch an. Und die Ratenzahlung bei Geldstrafen sollte viel niedriger angesetzt werden.
Bitte geben Sie ein Beispiel.
Geldstrafen von 40 Tagessätzen à 15 Euro, insgesamt 600 Euro, sind nicht unüblich.
Was schlagen Sie der bayerischen Justiz vor?
Wir Sozialarbeiter halten dagegen für unsere Klientel eine Tagessatzhöhe von drei Euro für angemessen. Sozialverbände wie die Caritas fordern das schon lange!

Ersatzfreiheitsstrafen: Oft geht es um Bagatelldelikte
In bayerischen Gefängnissen haben 2020 vier Prozent der Gefangenen eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt. Der Grund dafür ist: sie haben eine Geld- oder Arbeitsstrafe nicht erbracht – oder nicht erbringen können, auch wegen Corona. Mit dem Projekt "Schwitzen statt Sitzen" setzt sich das Bayerische Justizministerium dafür ein, dass "uneinbringliche Geldstrafen" mit gemeinnütziger Arbeit abgegolten werden. "Damit Ersatzfreiheitsstrafen möglichst nicht vollstreckt werden müssen", erklärt Christina Bitta von der Pressestelle des Justizministeriums die Bemühungen des Ministeriums.
Wenn kein Verschulden vorliege, kämen Zahlungsaufschub oder Ratenzahlungen in Betracht, schreibt sie. Die bayerische Justiz hat die Vollstreckungsbehörden im August 2020 gebeten wegen der Corona-Pandemie wiederholt Zahlungserleichterungen zu gewähren und Anträge großzügig zu bewilligen. Nach den Erfahrungen des Sozialdienstes katholischer Frauen in der Straffälligenhilfe, hat die Geduld der Justiz inzwischen abgenommen.
Das sagt die Statistik
Im Jahr 2019 wurden in Bayern 121.250 Personen rechtskräftig verurteilt, das waren 4,2 Prozent mehr als im Jahr davor. Eine Statistik für das Jahr 2020 liegt noch nicht vor. Dabei handelte es sich bei den verurteilten Straftäterinnen und Straftätern überwiegend um Erwachsene (87,8 Prozent). Frauen werden seltener verurteilt als Männer. 2019 wurden 99.888 Männer rechtskräftig verurteilt, aber nur 21.362 Frauen. Anders ausgedrückt: Nur 17 Prozent aller in Bayern 2019 Verurteilten waren weiblich.