Stickoxidgrenzwerte: Reiter nimmt Autoindustrie in die Pflicht
München - Ärger beim neuerlichen Diesel-Gipfel im Kanzleramt: Zwar hat Regierungschefin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den von hohen Abgaswerten betroffenen Kommunen weitere Hilfen über das bereits beschlossene Milliarden-Paket hinaus zugesagt. Doch den Zorn der rund 30 Bürgermeister und Ländervertreter zog vor allem "der nicht anwesende Elefant im Raum" auf sich: So nannte Merkel die beim Treffen fehlende Autoindustrie.
Die strengt sich nicht nur nach Meinung von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zu wenig an bei der flächendeckenden Lösung des Problems der Dieselabgase. Nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Millionen von Dieselfahrzeugen fordert Hendricks weiter auch die technische Nachrüstung der betroffenen Autos. Bislang hat die Industrie aber nur Nachbesserungen an der Steuersoftware zugesagt.
Bei einem Diesel-Gipfel mit der Autoindustrie im Spätsommer waren zudem Sofortmaßnahmen im Umfang von einer Milliarde Euro für die betroffenen Kommunen beschlossen worden, mit denen die ab Februar drohenden Fahrverbote vermieden werden sollen. An dem Fonds sollen sich zu einem Viertel die Hersteller von Diesel-Autos beteiligen, doch bislang haben nur Volkswagen, BMW und Daimler angekündigt, zu zahlen.
Die ausländischen Hersteller weigern sich dagegen, zur Milliarde fehlen laut Schätzungen rund 80 Millionen Euro. Und auch mit der Auszahlung der vorhandenen Mittel hapert es gewaltig, kritisiert etwa der Deutsche Städtetag.
Deshalb, so berichtete Bundeskanzlerin Angela Merkel, wurde jetzt beschlossen, eine Anlaufstelle zu schaffen, die dafür sorgt, dass das Geld etwa für die Umrüstung städtischer Fahrzeugflotten auf schadstoffärmere oder -freie Antriebe oder bessere Verkehrssteuerung schneller fließt. Sogenannte "Lotsen", jeder zuständig für etwa drei Städte, sollen die komplizierte Antragstellung übernehmen.
Zudem solle das Programm "über 2018 hinaus verstetigt werden", so Merkel weiter. Dies werde sie auch in die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung einbringen.
"Auch die Bushersteller müssen jetzt in die Pötte kommen"
Umweltministerin Hendricks nannte die Beschlüsse einen "wichtigen Schritt", der allerdings nur ein Anfang sein könne auf dem Weg zu sauberer Luft in deutschen Innenstädten. Sie sprach von einem klaren Signal, dass etwa im öffentlichen Nahverkehr künftig überwiegend Elektrobusse eingesetzt würden. "Auch die Bushersteller müssen jetzt in die Pötte kommen", betonte Hendricks, sonst würden eben künftig polnische oder chinesische Hersteller die Nachfrage befriedigen.
Massive Kritik an der Autoindustrie übten auch die Vertreter der betroffenen Städte. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wies darauf hin, dass die Umrüstung kommunaler Fuhrparks allein die Probleme nicht lösen könnten. Zwei Drittel der Stickoxid-Belastung in der bayerischen Landeshauptstadt gehen laut Reiter von privaten Autos aus.
Dadurch, dass vor möglichen technischen Nachrüstungen von Fahrzeugen erst ein Gutachten abgewartet werden müsse, verstreiche wertvolle Zeit. "Wir müssen der Autoindustrie deutlich machen, dass umgehend eine Nachrüstung erfolgen muss." Sollte es nicht gelingen, diese Maßnahmen schnell auf den Weg zu bringen, "steuern wir unweigerlich auf von Gerichten veranlasste Fahrverbote zu", warnte Reiter.
Das Statement von OB Reiter im Wortlaut: "Das heute vom Bund vorgestellte Eckpunktepapier kann langfristig Wirkung zeigen und die Luftbelastung verringern. Kurzfristig werden diese Maßnahmen jedoch keinen wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität leisten können. Es ist bereits wertvolle Zeit verstrichen und wichtige Maßnahmen fehlen, wie beispielsweise die Möglichkeit, mit einer 'Blauen Plakette' nach dem Verursacher-Prinzip bei Bedarf gezielt nur diejenigen Fahrzeuge auszuschließen, die auch maßgeblich für die hohe Stickoxidbelastung verantwortlich sind. Ebenso vermisse ich eine verbindliche Zusage der Automobilindustrie, die betroffenen Fahrzeuge wirkungsvoll, zügig und für die Verbraucher kostenneutral umzurüsten. Wenn es nicht gelingt, diese Maßnahmen schnell auf den Weg zu bringen, steuern wir unweigerlich auf von Gerichten veranlasste Fahrverbote zu. Das muss der Bund unbedingt verhindern. Ein solches gerichtlich verfügtes Fahrverbot würde in der Konsequenz alle Diesel- Fahrzeuge treffen, da für differenzierte Zufahrtsbeschränkungen bislang die rechtlichen Möglichkeiten fehlen. Der für die Luftreinhaltung in Bayern zuständige Freistaat ist bereits gerichtlich verurteilt, bis Jahresende ein Konzept für München vorzulegen, das unsere Bürgerinnen und Bürger wirksam schützt. Deshalb muss es in den nächsten Wochen darum gehen, die Maßnahmen zu schärfen und auf ihre kurzfristige Wirkung zu überprüfen. Nur so werden wir die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger schützen und gleichzeitig überzogene, allgemeine Fahrverbote vermeiden."
Damit spricht der OB auf ein Urteil des Bayerischen Vewaltungsgerichtshof an. Für die zögerliche Umsetzung der in diesem Urteil angeordneten Maßnahmen hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erst letzte Woche eine Antrag auf Zwangsgeld oder Zwangshaft gestellt.
Bereits im Oktober musste der Freistaat 4.000 Euro zahlen, weil er zu wenig für die Einhaltung der Grenzwerte tat.
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