Steuerdaten frisch vom Flohmarkt
Uwe Hüttinger kauft bei verschiedenen Händlern an verschiedenen Orten zwei Festplatten – und findet brisantes Material aus den Finanzämtern Ingolstadt, Traunstein, Augsburg und Nördlingen
PAPPENHEIM/MÜNCHEN An einen Zufall will Uwe Hüttinger, Bauunternehmer aus Pappenheim, nicht mehr glauben. Zweimal kaufte er an unterschiedlichen Tagen auf unterschiedlichen Flohmärkten bei unterschiedlichen Händlern unterschiedliche Festplatten. Und zweimal enthielten sie genau das Gleiche: Geheime Steuerdaten bayerischer Finanzämter aus den Jahren 1999 bis 2006. Ein Skandal – das Bayerische Landesamt für Steuern bemüht sich um Schadensbegrenzung...
Auf den alten, nur teilweise gelöschten Platten findet sich ein Sammelsurium heikler Informationen. Etwa eine Liste mit 468 Steuersündern. Oder: ein pikantes Disziplinarverfahren gegen einen Münchner Steuerbeamten, der Nachforderungen in Höhe von mindestens 6,5 Millionen Mark verjähren ließ. Außerdem: eine Liste mit Angaben über gut 500 Waffen samt Auflistung von Kaliber, Käufer und Kaufdatum. Hüttinger: „Ich hab’ gedacht, ich spinn’, als ich das gesehen hab’!“
Auf den beiden Speichermedien befinden sich Daten der Finanzämter Ingolstadt, Augsburg, Traunstein und Nördlingen. Von dem Datenschiffbruch sind bereits jetzt mehr als 1000 Bürger im Freistaat betroffen. Mehr sollen es auch nicht sein, meint das zuständige Landesamt für Steuern in München. Behörden-Sprecherin Charlotte Weigelt: „Vorliegend handelt es sich um ein Fehlverhalten eines Einzelnen, so dass wir derzeit davon ausgehen, dass sich keine weiteren Festplatten im Umlauf befinden.“ Die disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungen laufen.
Die ausrangierten Speichermedien aller bayerischen Finanzämter würden mit einem magnetischen Verfahren gelöscht und kämen anschließend in einen versperrten Container. Den holt eine private Firma „unseres Vertrauens“ ab, die sich um die mechanische Zerstörung der Platten kümmert, erklärte Weigelt. Die Sprecherin geht nun davon aus, dass eine Einzelperson sich Zugang zu den Festplatten verschafft hat. Warum diese Person dann nur exakt zwei Festplatten geklaut haben sollte, bleibt freilich das Geheimnis der Pressesprecherin.
Nicht auszuschließen, dass auf irgendeinem Flohmarkt in der Republik also weitere brisante Daten für wenig Geld zu haben sind. Uwe Hüttinger hat erstmal genug von gebrauchten Festplatten. Als er seinen dritten Versuch unternahm, eine restlos gelöschte Festplatte auf einem Ingolstädter Flohmarkt zu erstehen, blieb er wieder erfolglos.
Nach einem kurzen Durchlauf mit einem handelsüblichen Datenwiederherstellungsprogramm stieß er auf vertrauliche Daten zweier Schulen aus Ingolstadt und Berlin und eines Autohauses, das im Namen von Audi Neuwagen in die ganze Welt überführt.
Nachdem er die erste Steuer-Festplatte an die Treuchtlinger Polizei weitergegeben hatte, erhielt er einen Dankesbrief vom Vize-Präsident des Landesamts für Steuern, Paul-Alexander König. Als er auf die zweite Platte stieß, rief Hüttinger dann selbst in München an. „Da hab’ ich schon an der Stimme gemerkt, dass die nervös sind.“ Am nächsten Morgen stand eine Mitarbeiterin der Behörde vor Hüttingers Firmentür in Pappenheim und nahm die Festplatte in Empfang.
Ein schaler Beigeschmack ist bei Uwe Hüttinger geblieben: „Ich frage mich heute, was macht der Datenschutz in Deutschland und wie wird mit unseren Daten umgegangen?“ Jan Stephan
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