Sterbehilfe-Prozess: „Ich habe nicht umsonst gekämpft“

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem Grundsatzurteil das Selbstbestimmungsrecht der Patienten entscheidend gestärkt: Sterbehilfe ist damit erleichtert – wenn der Patient dies wünscht
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Der Münchner Anwalt Wolfgang Putz und seine Mandantin Elke G. – beide sind überglücklich über die BGH-Entscheidung.
dpa Der Münchner Anwalt Wolfgang Putz und seine Mandantin Elke G. – beide sind überglücklich über die BGH-Entscheidung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem Grundsatzurteil das Selbstbestimmungsrecht der Patienten entscheidend gestärkt: Sterbehilfe ist damit erleichtert – wenn der Patient dies wünscht

MÜNCHEN „Ich bin im siebten Himmel. Das ist der Oscar für mein Lebenswerk“, sagt Wolfgang Putz nach dem Urteil. Dann verbessert er sich: „Das ist mein Lebenswerk.“ Gestern hat der Bundesgerichtshof den Münchner Anwalt vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen. Und dabei das Selbstbestimmungsrecht von Patienten entscheidend gestärkt. Ein Grundsatzurteil, das Sterbehilfe erleichtert.

Nach dem Richterspruch dürfen Ärzte lebensverlängernde Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der unmittelbare Sterbevorgang bei einem Menschen noch nicht begonnen hat. Es kommt nicht darauf an, ob der Abbruch durch eine aktive Handlung erfolgt – also zum Beispiel durch das Entfernen eines Ernährungsschlauchs. Auch bei bewusstlosen Patienten ist allein deren mutmaßlicher Wille entscheidend.

„Das ist eines der wichtigsten Urteile der Nachkriegsgeschichte“, befand ein völlig euphorischer Anwalt Putz. Die Zuhörer im Saal quittierten die BGH-Entscheidung mit großem Applaus. Ein außergewöhnliches Ereignis in den heiligen Hallen des hohen Gerichts.

Über den dramatischen Fall, der damit nun einen juristischen Abschluss gefunden hat, hatte die AZ mehrfach berichtet. Es geht um das Schicksal von Erika K. Einer Frau, die 2002 nach einem Hirnaneurysma ins Koma fiel, 71 Jahre war sie damals alt. Nur wenige Wochen zuvor hatte sie ihrer Tochter erklärt, dass sie im Falle des Falls keine lebensverlängernden Maßnahmen wünsche. Sie kam nicht mehr dazu, ihren Willen schriftlich zu fixieren.

Fünf Jahre lang vegetierte Erika K. im Wachkoma vor sich hin, sie wurde künstlich ernährt. Ende 2007 wollten ihre Kinder – Elke G. und deren Bruder – die Mutter in Würde sterben lassen. Sie beauftragten Anwalt Putz, der einen Kompromiss mit dem Heim aushandelte, in dem Erika K. lag. Die Einrichtung gestand zu, die Kinder gewähren zu lassen. Die letzte Flasche Flüssignahrung war schon entfernt. Doch im letzten Moment schwenkte das Heim nochmal um. „Keine Sterbehilfe“, hieß es plötzlich. Andernfalls bekämen die Kinder der Komapatientin ein Hausverbot.

In dieser Extremsituation gab der renommierte Medizinanwalt Putz einen weitreichenden Rat. Er empfahl Elke G., den Schlauch der Magensonde zu kappen, gleich über dem Bauch. Sie griff zur Schere und kappte die Versorgungsleitung.

Erika K. kam in eine Klinik, eine neue Sonde wurde gelegt. Zwei Wochen später starb sie eines natürlichen Todes. „Einsam und verlassen“, sagt die Tochter.

Das Landgericht Fulda sprach die Kasselerin Elke G. später zwar frei – weil sie sich auf den Anwalts-Rat habe verlassen dürfen. Wolfgang Putz aber wurde zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt – wegen versuchten Totschlags.

Dieses Urteil ist nun von höchstrichterlicher Stelle aufgehoben worden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begrüßte die Entscheidung. Der BGH habe klar gestellt: „Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen muss in allen Lebenslagen beachtet werden.“ Im Spannungsfeld zwischen zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe schaffe die Entscheidung Rechtssicherheit.

Für den Medizinrechts-Anwalt Putz ist das Urteil ein „Meilenstein“. „Es ist eine deutliche Absage an die ewigen Polemiker, die meinen, dem aktiven Töten wäre Tür und Tor geöffnet, wenn ich einen Menschen sterben lasse, weil er es so will.“

Seine Tochter ist Ärztin. Nicht nur von ihr weiß er, wie ausgeprägt die Angst vor Juristen in Krankenhäusern ist, wenn es um Entscheidungen zwischen Leben und Tod geht. Jetzt sei klar: „Wenn die Beendigung einer lebenserhaltenden Behandlung nur durch aktives Tun möglich ist, ist das kein Straftatbestand.“

Auch Elke G. war extra nach Karlsruhe gereist. Gemeinsam mit Putz und Freunden feierte sie den Richterspruch mittags bei einem Italiener – mit Tagliatelle und Prosecco. „Ich bin rundherum glücklich“, sagte sie der AZ am Telefon.

Zwar kamen jetzt all die schlimmen Erinnerungen noch einmal hoch. „Aber mit dem Urteil kriege ich jetzt meinen inneren Frieden“, meint die 55-Jährige. Sie bezieht den Freispruch auch auf sich, fühlt sich rehabilitiert. Endlich.

Elke G.’s Gedanken waren gestern intensiv bei ihrer Mutter – und bei ihrem Bruder. Er beging vier Monate nach dem Tod von Erika K. Selbstmord. Jetzt empfindet Elke G. Genugtuung. „Meine Mutter hat nicht umsonst gelitten. Mein Bruder ist nicht umsonst daran zerbrochen. Und ich habe nicht umsonst gekämpft.“

Julia Lenders

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