Steffen Ufer: Ein Münchner Star-Anwalt packt aus

Er ist mit Leib und Seele Strafverteidiger. 50 Jahre lang hat Steffen Ufer von Jürgen Bartsch bis Dieter Zlof Justizgeschichte mitgeschrieben. In der AZ spricht er über seine bewegendsten Fälle
von  Interview: John Schneider
„Nicht schuldig“ (Heyne, 19,99 €)
„Nicht schuldig“ (Heyne, 19,99 €) © Heyne

München - AZ-Interview mit Steffen Ufer: Der Rechtsanwalt (75) hat in einem Buch seine spektaklärsten Fälle nacherzählt. In seiner Münchner Kanzlei arbeitet auch Sohn Florian.

AZ: Herr Ufer, Sie sind ein ausgewiesener USA-Kenner. Deswegen die erste Frage: Gewinnt Trump die Wahl?
STEFFEN UFER: Es ist zu befürchten, dass die Amerikaner so verrückt reagieren. Wie sie es öfter mal tun.

Warum?
Weil sich zu viele Menschen durch die Globalisierung benachteiligt fühlen, zu viele Jobs verloren gegangen sind, der untere und mittlere Mittelstand sich fürchtet und meint, alles wird besser, wenn hier der große Trickser mit den großen Sprüchen kommt. Und weil die Hillary auch keine gute Figur macht.

Zum Buch: Hatten Sie die Idee?
Die Idee war schon immer so ein bisschen da. Die lustigen Geschichten hatte ich schon diktiert, die lagen irgendwo rum. Viele Journalisten haben immer wieder gesagt: „Sie hatten schon so viele große Fälle. Warum machen Sie da nichts?“ Mir fehlte die Zeit. Jetzt hat mich der Göran Schatthauer vom Focus letztes Jahr überzeugt. Er hat auch fleißig mitgewirkt.

Stichwort Medien: Sie werden von diesen oft als Promi-Anwalt bezeichnet. Stimmt?
Ich will kein Promi-Anwalt sein. Es wird einem einfach ein solcher Titel zugeordnet, gegen den man sich versucht zu wehren. Aber so etwas ergibt sich, weil man Dutzende, vielleicht hundert Prominente vertreten hat. Ich habe aber noch nie bei einer Redaktion angerufen und hab gesagt, ich hab da was. Das lief immer umgekehrt.

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Apropos Promis: Sie sind mit Otti Fischer mal Aufzug gefahren. Erzählen Sie mal!
Das war eine der lustigen Begebenheiten, die einem mit Otti ganz schnell passieren können. Er hat schon in meinen großen 7er-BMW nicht reingepasst, als wir von der Kanzlei zum Justizzentrum gefahren sind. Nur mit größter Mühe haben wir den Sitz so verstellen können, dass er reinkam. Aber der Gurt war zu kurz, die Alarmanlage des Gurtes hat sich die ganze Fahrt nicht ausgeschaltet. Und dann sind wir von der Tiefgarage des Justizzentrums mit dem Aufzug nach oben gefahren. Dann kam ein junger Wachmann mit rein und plötzlich blieb der Aufzug stehen. Mit Hinweis auf Übergewicht. Und Otti ganz trocken zu dem Wachtmeister: „Du musst fei abnehmen.“ Und der hat auch schallend gelacht. Und ist ausgestiegen.

Fassbinder war Ihr Mandant, kommt im Buch aber nicht vor. Wie haben Sie ihn erlebt?
Der Umgang mit ihm war locker. Ich kannte die ganze Clique mit Barbara Valentin und Harry Bär. Es ging ein bisschen um Drogen und ein bisschen um Gewalt. Und ich wollte das eigentlich nie ausbreiten, weil ich meine, dass das dem Bild, das man sonst von ihm hat eher schadet – und irgendwo fühle ich mich da auch nach langer Zeit noch an meine Schweigepflicht gebunden.

Wobei, Drogen und Gewalt waren ja bekannt.
Ja, aber da müsste ich in Details gehen und damit will ich den Verstorbenen nicht belasten.

Ist er damals verurteilt worden?
Er hat einen guten Verteidiger gehabt. Er ist nicht verurteilt worden.

Haben Sie schon mal ein Mandat bereut?
Ja sicher, das eine oder andere, wo man sich menschlich getäuscht gefühlt hat, wo man massiv belogen wurde und im Prozess dann die Quittung bekam. Oder auch Fälle, wo einem Leute ein Honorar versprochen haben und dann fürchterlich getäuscht haben. Passiert immer wieder. Vor allem früher haben wir den Leuten auch Ratenzahlungen angeboten. Jetzt haben wir meist eine Klientel, wo es nicht notwendig ist. Aber ich hab immer noch meine Mandanten, die Raten bezahlen.

Am schlimmsten ist es für den Anwalt, wenn er erst in der Beweisaufnahme im Prozess merkt, dass er vom eigenen Mandanten belogen wurde.
Und zwar in übelster Form. Das ist wirklich schlimm. Weil man dann dem Mandanten nicht helfen kann. Er hat sich selber exponiert.

Bei dem Kriegsverbrecher Dusko Tadic haben Sie das Mandat sogar zurückgegeben.
Ich habe Tadic zunächst geglaubt. In vielen Punkten wurde er auch freigesprochen, aber das, was sich dann als wahr herausgestellt hat, war so schlimm, dass ich gesagt habe: Nein, das mache ich nicht, obwohl ein Verfahren in Den Haag gut bezahlt worden wäre. Aber ich wäre Wochen und Monate mit den Gräueln konfrontiert gewesen. Und es wäre natürlich eine spannende Geschichte gewesen mal als Verteidiger in Den Haag aufzutreten. Das hätte meinen Horizont noch erweitert. Ich habe schon in allen möglichen Ländern verteidigt.
Ein Beispiel für ein exotisches Mandat im Ausland?
Zypern. Ein iranischer Drogenhändler war dort angeklagt, sehr exotische Geschichte. Das Gericht war eine Baracke auf Holzpfählen, die Richter trugen Perücken. Nach zypriotischem Recht war die Tat nach sechs Monaten verjährt, das hatten wir herausgefunden. Das Gericht hat den Mann tatsächlich entlassen und er ist sofort mit dem Schnellboot nach Beirut. Später hat ihn das gerechte Schicksal ereilt. Er hat mit härteren Drogen, mit Heroin gehandelt. Da habe ich die Verteidigung abgelehnt. Er bekam in Wien 12 Jahre.


Wo ziehen Sie die Grenze?
Grundsätzlich lehne ich ab, wenn es um die Misshandlung von Kindern geht. Weil ich das einfach nicht kann. Auch wenn ich es im Einzelfall nicht aus moralischen Gründen ablehne, sondern weil ich es einfach nicht schaffe. Dafür habe ich ein zu enges Verhältnis zu meinen Kindern und Enkeln. Die würden mir dann ständig einfallen. Es sei denn es passiert ein Fall wie Bartsch (Jürgen Bartsch wurde 1971 wegen Mordes an vier Kindern zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt), den Bossi und ich übernommen haben. Wo eben die Frage war: Monster oder psychisch kranker Mensch, der letztlich durch ein Menge Begebenheiten so verquer wurde, dass diese Dinge passiert sind.

Eines der beeindruckendsten Kapitel im Buch.
Ist auch eine Wahnsinnsgeschichte. Man sieht hier, dass die Phantasie eines Schriftstellers niemals so weit reicht, wie das, was der Alltag immer wieder liefert.

Als Sie ihn zum ersten Mal gesehen haben, wie alt war er da?
Anfang, Mitte 20. Er wirkte aber wie 16, 17. Er hat einem eigentlich leidgetan. Auch die Kinder, die Opfer haben einem leidgetan, ihm auch, er ist ja deswegen zur Beichte gegangen. Aber der Priester hat gesagt: Ich will deinen Namen nicht wissen, geh zur Polizei. Bartsch hat unter anderem Misshandlungen durch perverse Padres im katholischen Internat erlitten.

Sie sparen in dem Buch nicht mit Kritik an der bayerischen Justiz. Was läuft falsch?
Ich nehme die Justiz, wie sie ist. In Bayern gibt es weniger Kriminalität, weil die Verurteilten länger sitzen. Das ist aber auch schon der einzige Grund für einen Verteidiger, den man dafür nachvollziehen kann, warum in Bayern oft doppelt so hart geurteilt wird wie in anderen Bundesländern. Aber man macht dadurch auch für die Angehörigen viel kaputt. Bayern ist stolz darauf und die Richter- und Staatsanwalts-Beförderung richtet sich in Bayern auch nach der Härte, der Konsequenz mit der hier vorgegangen wird. Das ist gewünscht.

Wie groß ist der Einfluss der Politik?
Der ist natürlich sehr groß. Wenn der Justizminister verlangt, dass mit aller Härte vorzugehen ist, dann sind die Staatsanwälte politisch gesteuert. Ist ja alles eine Hierarchie mit dem Justizminister an der Spitze. Und das Hin- und Her-wechseln vom Gericht zur Staatsanwaltschaft ist ein Unding, das es so nur in Bayern gibt. Was insgesamt ungut ist. Manche harten Staatsanwälte werden zwar zu gnädigen, vernünftigen Richtern, aber manche bleiben ewig Staatsanwälte.

Sollten Richter und Staatsanwälte vielleicht auch mal eine Zeit lang als Verteidiger arbeiten, um auch diese Seite kennenzulernen?
Das wäre wünschenswert. In Amerika ist es ja so, dass da nahezu alle Verteidiger mal Staatsanwälte waren. Und viele Staatsanwälte in einer Kanzlei gearbeitet haben und die Dinge auch mal von der anderen Seite gesehen haben. Das erweitert auf jeden Fall die Lebenserfahrung.

Mit 75 sehen Sie noch sehr fit aus.
Liegt am Job. Als Maurer würde ich in meinem Alter nicht arbeiten wollen. Das ist körperlich ein zu harter Beruf.

Ist es nach 50 Jahren Arbeit nicht mal genug mit der Juristerei?
Ich werde von meinen Partnern schon aufgefordert. Mein Sohn und Christoph Knauer sagen: „Meinst du nicht?“ Und ich sage: „Selbstverständlich.“ Ich sollte maximal noch zwei Tage arbeiten in der Woche. Leider werden oft vier, fünf Tage daraus. Im Sommer fällt es mir schwerer, weil ich gerne auf dem Golfplatz bin. Im Winter nicht so. Wir haben ein angenehmes Klima in der Kanzlei und ich sehe meinen Sohn (Florian Ufer, die Red.) jeden Tag. Das ist wichtig für mich.

Ist heutzutage eine Spezialisierung notwendig?
Als ich angefangen habe, gab es in München 800 Anwälte. Jetzt gibt es über 20 000. Das funktioniert nur, wenn man eine Nische besetzt, in der man besonders gut ist. Die Kanzlei ist im Bereich des Wirtschaftsrechts ganz weit oben. Das machen die besser als wir früher. Wir haben früher ja viel mehr Fälle betreut. Da kamen an einem Tag Flick oder die Romy Schneider mit einer Scheidung und am nächsten Tag ein Sinto, den man auch betreut hat.

Welcher Fall ging Ihnen besonders nahe?
Der LaGrand-Fall (Die deutschen Brüder Walter und Karlheinz LaGrand wurden 1999 wegen des Mordes an einem Bankdirektor in den USA hingerichtet). Der hat mir auch Asthma eingebracht. Das war furchtbar. Die waren eingemauert am Schluss. Kein Fenster, nur ein Mini-Fliegengitter nach innen. Die waren abgeschlossen von der Welt. Dabei waren das Jugendliche und sie hatten die Tat nicht geplant. Dafür 17 Jahre in der Todeszelle nach unwürdiger Verteidigung.

Ihre größte Niederlage?
Gab schon einige. Wo man sagte, der hätte nicht verurteilt werden dürfen. Zlof (Dieter Zlof wurde 1980 wegen der Entführung von Richard Oetker zu 15 Jahren Haft verurteilt) war so ein Fall, der hätte auf Grundlage der Beweislage freigesprochen werden müssen.

Ihr größter Sieg?
Der Kunstfehler-Fall Dr. Mauser (der junge Arzt Theo Mauser war nach einer missglückten OP querschnittsgelähmt) war menschlich für mich der wichtigste. Sehr befriedigend war für mich der Fall Grossart (Klaus Grossart wurde verdächtigt, seine Frau getötet zu haben), wo wir, dank der Einschaltung neuer Gutachter, einen Freispruch erreicht haben und Jahre später der wahre Täter festgenommen wird. Und der Richter später über mich sagt: „Diesem Menschen hier hab ich zu verdanken, dass ich nicht das größte Fehlurteil meines Lebens gefällt habe.“

Das fühlt sich dann an wie das 2:1 der Bayern im Champions-League-Finale? Ein ähnliches Triumph-Gefühl?
Ja.

Sie sind doch Bayern-Fan?
Es freut mich immer, wenn die Bayern gewinnen. Aber sie sollten auch gut spielen und das tun sie im Moment nicht.

Das Wort Plädoyer im Untertitel Ihres Buches klingt nach Botschaft. Haben Sie eine?
Dass man nicht wissen muss, ob einer unschuldig ist, nur wissen muss, dass die Möglichkeit besteht.

Wobei auch ein Schuldiger das Recht auf eine gute Verteidigung hat.
So ist es. Man muss wissen, dass jeder Mensch zu allem fähig ist. Man muss wissen, dass nirgendwo so viel gelogen wird, wie vor Gericht. Und zwar von allen Seiten.

Auch vom Verteidiger?
Auch vom Verteidiger. Ich habe auch schon genügend Kollegen verteidigt. So ist es nicht.

Was haben Sie von ihrem Partner Rolf Bossi (†2015) gelernt?
Es gibt keine kleinen und keine großen Fälle. Für jeden ist sein Fall der größte und wichtigste in der Welt. Das muss man auch so behandeln, um den Dingen gerecht zu werden. Und das extreme Engagement. Über Jahrzehnte. Das ist schon eine harte Geschichte. Und immer spannend. Wenn ich ein vergleichsweise mildes Urteil bekomme, fühle ich, dass man es richtig gemacht hat. Ein Freispruch für jemanden, der es verdient, ist wie ein zusätzliches Weihnachtsfest.

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