Stay Forever live in München: Schwanger mit World of Warcraft
München – Als Lott und Schmidt noch gemeinsam bei der Gamestar arbeiteten, war der Spiele-Journalismus in voller Blüte: Magazine hatten regelmäßig mehr als 200 Seiten, Zeitschriften-Neugründungen gab es quasi im Wochenrhythmus und ohne die Heft-CD mit Demos oder Patches konnte kein Gamer leben. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, der Spiele-Journalismus steckt im Internet-Zeitalter einer geradezu existenziellen Krise.
Am Freitagabend war davon aber nichts zu merken. Nach ihrem Abschied aus dem Journalismus starteten Lott und Schmidt im August 2011 den Podcast "Stay Forever", in dem sie pro Folge rund 90 Minuten lang über ein bestimmtes Spiel oder eine Spieleserie aus den 80ern und 90ern sprechen. Das begeistert mittlerweile so viele Gamer, dass es am Freitagabend den Auftakt zu einer Live-Tour gab.
Rund 100 Gamer, die meisten wie die Protagonisten selbst in der Zeit von Atari und 386er-Prozessoren aufgewachsen, waren gekommen, um sich anzusehen, wie aus einem Audio-Programm eine Bühnenshow wird. Für Gunnar Lott und Christian Schmidt hätte der Auftakt kaum dankbarer sein können. Die eingefleischten Fans waren ein so wohlwollendes Publikum, dass sogar Lott irgendwann spottete: "Hier kriegt man ja echt für alles Applaus."
Gamer unter sich: Gemeinsam in Erinnerungen schwelgen
Allerdings gaben die beiden dazu auch einigen Anlass. In einer Art Impro-Comedy sinnierten sie über Games und Gesellschaft, philosophierten über Spiele-Konzepte, die "das nächste heiße Ding nach der T-Aktie" seien und amüsierten sich über das vermeintliche Versagen des jeweils anderen bei gemeinsamen Spiele-Sessions. Tiefschürfender als ein Auftritt von Mario Barth (der auch mal Ziel einer Pointe wurde) war das zwar auch nicht, aber deutlich unterhaltsamer.
Eloquent und mit Entertainer-Qualitäten machten Lott und Schmidt Geschichten über Umtauschversuche im Spieleladen, Vergleiche von Schwangerschaft, Geburt und Kindeserziehung mit World und Warcraft oder den Kampf mit 6.000 Spiele-Verpackungen zu erstaunlich kurzweiliger Abendunterhaltung. 90 Prozent der Gags hätten zwar 90 Prozent der Münchner sicher nicht verstanden, doch die anwesende Zielgruppe bekam genau das serviert, was sie sich erhofft hatte.
Zum Schluss wurde es dann sogar noch etwas emotional: In einem flammenden Plädoyer appellierte Christian Schmidt an das Publikum, sich niemals einreden zu lassen, dass man mit Spielen Zeit verschwende. Eine Aufforderung, die die anwesenden Gamer natürlich nicht gebraucht hätten, aber trotzdem mit minutenlangen Ovationen quittierten. Es war die Rede, die wohl jeder von ihnen vor rund 20 Jahren gerne gegenüber den eigenen Eltern gehalten hätte, als man sich noch fürs Zocken rechtfertigen musste. Diese Zeiten sind zum Glück inzwischen vorbei, doch an einem solchen Abend blickt man eben andauernd leicht nostalgisch verklärt zurück auf die eigene Jugend. Retro halt.

Gunnar Lott (l) und Christian Schmidt (r) mit ihrem wichtigsten Requisit des Abends: der Klugscheisserbrille. Foto: @nullniveau
AZ-Interview mit Gunnar Lott
Nach dem Auftakt in München ist vor dem Auftritt in Nürnberg: Acht (längst ausverkaufte) Auftritte in gut zwei Wochen umfasst die Stay-Forever-Tour. Wir haben nach der Premiere im Münchner Werk 1 mit Gunnar Lott gesprochen.
AZ: Nach Eurem Abschied aus dem Spiele-Journalismus seid Ihr mit Stay Forever zu der gleichen Materie zurückgekehrt. Was war der Grund dafür?
Lott: Stay Forever ist als Freundschaftsprojekt gestartet. Wir fanden uns 2011 nach Jobwechseln in unterschiedlichen Städten wieder und suchten ein gemeinsames Projekt. Die Beschäftigung mit Retrogames erschien uns als ein Thema, bei dem wir unser Wissen und unsere Interessen einbringen können.
Inzwischen ist Stay Forever ja einer der erfolgreichsten deutschen Podcasts, eine Entwicklung die sicherlich kaum vorhersehbar war. Was waren anfangs Eure Ambitionen oder Ziele?
Das hat sich über die Jahre hinweg sehr schön entwickelt. Wir hatten vorher keine definierten Ziele, wir hätten es aber ohne den Zuspruch eines engagierten Publikums sicher nicht so lange gemacht.
Ihr erlöst über die Crowdfunding-Plattform Patreon mittlerweile rund 10.000 Dollar im Monat. Wie hat sich das auf Euren Umgang mit Stay Forever ausgewirkt? Kann man das überhaupt noch als Hobby bezeichnen?
Es ist ein besonderes Privileg, mit einem Podcast substanziell Geld erwirtschaften zu können. Wir sind sehr dankbar, aber natürlich entstehen so enorme Verpflichtungen gegenüber den zahlenden Hörern. Viel Freizeit bleibt da nicht mehr, aber wir haben uns auch Hilfe geholt, jemanden für die Grafik, für den Audioschnitt, für den Videoschnitt - und bei der Tourplanung hat unser Praktikant viele Aufgaben übernommen. Es ist eine richtige kleine Firma entstanden.
Was macht für Euch die Faszination von alten Spielen aus, warum beschäftigt Ihr Euch mit Retro statt mit aktuellen Titeln?
Das hat natürlich auch etwas mit unserer Biografie zu tun: Wir sind in den 80ern mit C64er und Amiga und den ersten PCs aufgewachsen – und hatten dann in den späten Neunzigern die Gelegenheit, unser Hobby zum Beruf zu machen. Diesen Erfahrungsschatz möchten wir weiter geben.
Welches Spiel oder welche Spiele-Serie hätte schon längst eine Stay-Forever-Folge verdient, wurde aber bislang (aus welchen Gründen auch immer) noch nicht berücksichtigt?
Die Gothic-Serie aus Deutschland wird von unseren Fans schon lange gefordert, das müssen wir bei Gelegenheit mal behandeln.
Und welches alte Game sollte auch ein junger Spieler unbedingt mal gespielt haben?
Das gibt es nicht das eine Werk, das jeder kennen muss. Ich denke, es lohnt sich, alte Adventures, etwa von LucasArts, wieder zu entdecken. Oder eines der Ultima-Spiele, Teil 7 oder Ultima Underworld. Turrican vom deutschen Team Factor 5 ist auch ein Meilenstein, dessen Faszination man heute noch ermessen kann.
Kommen wir zur Tour: War das eine Pflichtübung, die Ihr den Fans einfach schuldig wart, oder ist das etwas, was Ihr schon immer mal machen wolltet?
Wir machen seit ein paar Jahren regelmäßig ein, zwei Auftritte pro Jahr, meist in Berlin als Teil der Games Week. Da hatten wir schon mal den Gedanken, aus den Erfahrungen ein Tourprogramm zu entwickeln, eine Mischung aus Games-Geschichtsstunde und Standup-Comedy. Aber ohne den "Druck" der Fans hätten wir das vermutlich nicht gemacht.
Wie sieht das Fazit nach dem Auftakt aus? Seid Ihr zufrieden, lief es so, wie Ihr Euch das vorgestellt habt?
Das war ein sehr schöner Abend mit einem tollen Publikum. Am Tourauftakt holpert ja immer noch das eine oder andere, aber das gehört dazu.
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