Statt krank bei einer Nebenbeschäftigung: Stadt feuert Philharmoniker

Es geht um Nebengeschäfte, eine Krankmeldung und einen seltsamen Auftritt in Skandinavien: Ein Kontrabassist erhält die Kündigung – auch weil Thielemann Härte gefordert hat.
von  Abendzeitung
Christian Thielemann
Christian Thielemann © wild und leise

MÜNCHEN - Es geht um Nebengeschäfte, eine Krankmeldung und einen seltsamen Auftritt in Skandinavien: Ein Kontrabassist erhält die Kündigung – auch weil Thielemann Härte gefordert hat.

Klassisch ausgebildete Musiker nennen es „Mucke“. Rockmusiker und Jazzer sprechen von einem „Gig“. Gemeint ist das gleiche: Eine hübsch dotierte Nebeneinnahme wie das Spielen auf auf Beerdigungen, Hochzeiten oder einem Kirchenkonzert. Großverdiener des Nebengewerbes helfen bei den Berliner Philharmonikern aus oder sind nebenbei als Hochschuldozenten tätig.

Das alles ist nicht verboten. Aber manche Musiker kriegen den Hals offenbar nicht voll genug. Einem Münchner Philharmoniker, den wir aus Diskretion mal Sven Untersberger nennen wollen, wurden die Nebengeschäfte nun zum Verhängnis: Am Mittwoch beschloss der Stadtrat in nichtöffentlicher Sitzung seine fristlose Kündigung.

Untersberger spielt seit mehr als zehn Jahren als Kontrabassist bei den Philharmonikern. Nebenberuflich grundierte er Barockmusik im Originalklang und lehrte zeitweise an einer weit nördlich von München gelegenen Hochschule. Ein ebenfalls nahe dem Polarkreis angesiedeltes Jugendorchester nennt ihn als Mentor der laufenden Saison. Da darf der Kenner fragen, ob dergleichen verdienstliches Wirken nicht auch in unser schönen Stadt möglich wäre, die ihn – siehe Kasten unten – recht anständig bezahlt.

In der verflossenen Spielzeit hatte Herr Untersberger überhaupt keine Lust auf Thielemann & Co. Er nahm unbezahlten Urlaub und spielte auf Probe für einen Scheich in Katar. Der lässt sich von Kurt Meister, einem Ex-Manager des BR-Symphonieorchesters, einen Luxusklangkörper aufbauen. Bezahlt wird dort gut wie in Europa, allerdings steuerfrei. Außerdem übernimmt eine Stiftung des klassikhungrigen Arabers die Krankenkasse und andere Kosten.

Ein festes Engagement Untersbergers am persischen Golf kam nicht zustande. Nach seiner Rückkehr spielte der Kontrabassist im September wieder mit den Philharmonikern auf ihrer Südamerika-Reise. Danach hatte er bei Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“ und einem weiteren Konzert unter Christian Thielemann Bereitschaftsdienst, um für den Fall der Erkrankung eines Kollegen als Ersatzmann einzuspringen.

Untersberger hatte allerdings ein Angebot aus einem nördlichen Ölstaat. Er tat etwas, wovon jedem Arbeitnehmer dringend abzuraten ist: Er drohte, sich krank zu melden. Als schließlich bei Thielemanns Mahler-Konzerten tatsächlich ein Kontrabass-Kollege ausfiel, konnte Untersberger seinen Dienst nicht antreten. Er legte ein Attest vor, das ihm Depressionen nach dem Tod seiner Mutter bescheinigte. Aber er fühlte sich fit genug für einen Auftritt in Norwegen: Für die Stadt ein Grund zur Kündigung wegen einer irreparablen Störung des Vertrauenverhältnisses.

Der Fall ist extrem, steht jedoch nicht allein. Das Orchester der Stadt hat zwar keinen Star wie Albrecht Mayer, den Oboisten der Berliner Philharmoniker, der regelmäßig durch Deutschland tourt. Aber das Gaudi-Ensemble „Blechschaden“ ist gut im Geschäft, das nach dem Motto „Leben und leben lassen“ bei allen Orchestern ähnlich läuft.

Allem Anschein nach ist beim oft als unregierbar bezeichneten und für Selbstkritik weitgehend unzugänglichen Orchester der Stadt allerdings eine besonders ungute Nebengeschäftskultur eingerissen. Vor einiger Zeit wollte ein Musiker lieber beim renommierten Amsterdamer Concertgebouw Orkest aushelfen, statt auf einer Tournee mit den eigenen Kollegen unter dem Generalmusikdirektor zu spielen.

Dergleichen hat viel zu der Missstimmung beigetragen, die zum Zerwürfnis geführt hat zwischen dem Orchester und Christian Thielemann, der am Ende der laufenden Saison zur Staatskapelle Dresden wechselt. Allerdings hatte er auch nie die Lust, sich mit dem Kleinklein von Urlaubsscheinen zu befassen. In der Affäre um Sven Untersberger wird lediglich seine Mail überliefert, die nur aus einem Wort besteht: „DURCHGREIFEN“. Robert Braunmüller

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