Stalking: Bedrängt und bedroht
1760 Stalking-Fälle pro Jahr in Bayern: Die fiesen Attacken der Täter, so leiden die Opfer und wie man sich richtig wehrt.
Sie zermürben ihre Opfer. Mit nächtlichen Anrufen oder Drohungen per SMS, lauern ihnen vor dem Haus auf oder passen sie nach der Arbeit ab, sie machen Terror im Alltag: Stalker. Wie weit Stalking führen kann, zeigt der aktuelle Fall der 17-jährigen Steffi aus Ismaning. Das Mädchen wurde am Donnerstag für tot erklärt – von ihrem Stalker (die AZ berichtete). Der mittlerweile gefasste Täter schaltete unter dem Namen der Eltern eine Todesanzeige.
Falsche Todesanzeige: Stalker geschnnappt
Das ist kein Einzelfall. 2011 wurde in Bayern in 1760 Fällen wegen des Tatverdachts der Nachstellung ermittelt. In München waren es 214, davon zehn schwerwiegende Fälle, in denen die Lebensführung des Opfers schwer beeinträchtigt war. Nur bei einem Bruchteil kommt es zu einer Verurteilung. In vielen Fällen wird noch nicht einmal Anzeige erstattet. Für Stalker gibt es kein einheitliches Täterprofil. Allerdings sind es zu mehr als der Hälfte Ex-Partner oder abgewiesene Verehrer (siehe Interview) – die selbst vor Mord nicht zurückschrecken. In der Oberpfalz wurde im Juli ein 23 Jahre alter Mann verurteilt, weil er eine junge Mutter erstochen hatte. Sie wollte nicht mit ihm zusammen sein. Die Frau hatte zwar zuvor Anzeige wegen Belästigung erstattet, aber die Polizei blieb untätig.
Ein 44-jähriger Franke konnte nicht ertragen, dass seine Frau sich von ihm getrennt hatte. Er begann, sie zu bedrohen und mit einem Peilsender zu überwachen. Das ging soweit, dass sich die Frau aus einem Fenster im vierten Stock auf ein Vordach stürzte, um ihm zu entkommen. Bei seiner Verurteilung sagte der Mann selbst: „Ich habe nicht loslassen können. Ich war besessen von der Sache.“
Die Opfer haben wegen der monatelangen Schikane meist Angstzustände, Schlafstörungen oder Depressionen. Stalker sind sehr hartnäckig, akzeptieren kein Nein: Durchschnittliche 28 Monate dauert eine Belästigung an, wie eine Studie der Universität Darmstadt herausfand. Teilweise gehen die Nachstellungen sogar so weit, dass die Opfer ihr Leben komplett ändern müssen: Telefonnummern werden geändert, Arbeitsplatz und Wohnort gewechselt. Die Angst, das Haus zu verlassen, führt für die meist weiblichen Opfer leicht in Isolation.
Auf Internetseiten teilen Opfer ihre Erfahrungen mit. Dort schreibt eine junge Frau: „Mein Ex stalkt mich jetzt schon seit einem Dreivierteljahr. Er erzählt Sexgeschichten herum, steht mit mehreren Leuten vor dem Haus und versucht, in die Wohnung zu kommen, macht Morddrohungen.“ Eine andere Betroffene erzählt von „zig Anrufen, bis tief in die Nacht zum Teil. Das Ganze eskalierte, als er versucht hat, mitten in der Nacht meine Wohnungstür einzutreten und gedroht hat, mein Kind und mich umzubringen“.
Seit 2007 existiert ein eigener Paragraf im Strafgesetzbuch gegen Stalking. Doch das reicht laut Bayerns Justizministerin Beate Merk nicht aus. Sie fordert eine Verschärfung: „Der Stalking-Paragraf hat derzeit noch entscheidende Mängel. Beim Opfer muss erst eine ,schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung’ eintreten, bevor er greift.“ Versucht das Opfer, trotz Telefon-Terror und Cyber-Stalking ein normales Leben zu führen, bleibt das Gesetz wirkungslos. Merk will im Oktober erneut mit den Landesjustizministern über eine Verschärfung des Gesetzes verhandeln. Mit Blick auf den aktuellen Fall in Ismaning fordert die CSU-Politikerin die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, damit man Stalkern mithilfe der länger gespeicherten Verbindungsdaten schneller auf die Spur kommen kann.
Die Polizei empfiehlt den Betroffenen, Anzeige zu erstatten, um den Täter Grenzen aufzuweisen. Außerdem kann beim Amtsgericht eine Einstweilige Verfügung beantragt werden, die es dem Täter untersagt, sich zu nähern.
Abgesehen von den rechtlichen Schritten rät die Deutsche Stalking-Opferhilfe, dem Stalker unmissverständlich klar zu machen, dass kein Kontakt erwünscht ist und dann jegliche Kontaktaufnahme zu unterbinden. Selbst eine Zurückweisung stellt einen Erfolg für den Stalker dar, denn es ist immerhin eine Reaktion, er könnte sich ermutigt fühlen, sich noch mehr „anzustrengen“. Ein Tagebuch mit konsequenter Dokumentation der Belästigungen ist hilfreich. Alle Daten sollten gesammelt, mögliche Geschenke hingegen sofort zurückgeschickt werden. Auch sollte das gesamte Umfeld informiert werden, damit der Stalker über Dritte keinen Kontakt aufnehmen kann.
Um das persönliche Sicherheitsgefühl zu erhöhen, können Frauen an Selbstbehauptungskursen teilnehmen oder akustische Alarmgeräte bei sich tragen, die im Bedrohungsfall ein lautes Signal abgeben.
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