Stalker kommt frei, die Opfer weinen

Eine junge Frau und ihre Mutter leiden unter Panikattacken und nehmen Psychopharmaka. Der Täter (43), ein ehemaliger Arbeitskollege, ist geständig – und bekommt eine Bewährungsstrafe
MÜNCHEN - Drei Monate in Angst. Drei Monate voller Misstrauen und Panikattacken. Steffi K. (17) und ihre Familie sind im vergangenen Sommer durch die Hölle gegangen. Ein unbekannter Stalker hatte das Mädchen terrorisiert, ihr per E-Mail sogar mit dem Schicksal der jahrelang in einem Keller eingesperrten Natascha Kampusch gedroht: „Pass gut auf, wenn du über die Straße gehst oder an einer Ampel warten musst!“
Höhepunkt des grausamen Psycho-Terrors: Eine Todesanzeige in der „SZ“, die er im Namen der Eltern aufgab. „Unsere liebe Steffi hat uns heute verlassen“, heißt es da. Und: „Die Beisetzung findet im engsten Familien- und Freundeskreis statt.“
Die verängstigte Familie schickte Steffi K. in eine Berghütte in Tirol, um sie in Sicherheit zu bringen. Sie verließ auch danach nur in Begleitung das Haus. Aber nicht nur das Stalking-Opfer, auch die Mutter Gerlinde leidet bis heute an Angst- und Panikattacken: Beide bekommen schwere Psychopharmaka und müssen weiter therapiert werden.
Ihr Peiniger Christoph W.(43) wurde im August gefasst und nun vom Münchner Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt: Er konnte das Justizzentrum als freier Mann verlassen.
Dass sich Richter Robert Grain trotz der schweren Vorwürfe und den bitteren Folgen für die Opfer mit der milden Strafe zufrieden gab, hatte drei Gründe.
- Christoph W. war von Anfang an geständig, ersparte den Opfern damit eine aufwühlende Zeugenaussage.
- Er zeigte sich reuig, schrieb einen Entschuldigungsbrief und bat auch in seinem letzten Wort gestern noch einmal um Verzeihung.
- Er betreibt auch materielle Wiedergutmachung. So war der mittellose Buchhalter mit dem Vergleich einverstanden, dass er 5000 Euro Schmerzensgeld an Steffi K. und 3000 Euro an die Mutter in kleinen Raten zu zahlen hat.
Unbeantwortet blieb die Frage nach dem Warum. Sein Mandant habe in den Gesprächen mit ihm selber immer wieder gesagt, dass er nicht wüsste, was ihn dazu getrieben habe, berichtet Anwalt Gerhard Bink. Auch Staatsanwalt Georg Decker, der ebenfalls eine Bewährungsstrafe gefordert hatte, konnte über das Motiv des menschenscheuen Mannes nur spekulieren. Er vermutet, dass Geltungssucht und das Gefühl, Macht über das Leben eines anderen auszuüben, die Beweggründe waren.
Ein psychiatrisches Gutachten kam zu dem Schluss, dass Christoph W. ein Charakterproblem hat: Er sei narzisstisch mit schizoiden Zügen – aber dennoch voll schuldfähig. Im Tatzeitraum vom 7.Juni bis 19. August 2012 sei er depressiv gewesen. Der Buchhalter war 2009 bereits für anderthalb Jahre krankgeschrieben gewesen – auch damals wegen einer Depression.
Nach der Krankheit hatte er bei der Firma angeheuert, in der auch Steffi K. arbeitete. Sie fasste Vertrauen zu dem Mann, der dies ausnutzte, um an Informationen über sein Opfer heranzukommen.
Christoph W. wird sich laut Bewährungsauflage ambulant therapieren lassen und künftig einen großen Bogen um seine Opfer machen müssen.
Ob er sich daran hält? Nebenklägerin Gerlinde K. ist skeptisch. Der Mutter von Steffi kommen immer wieder die Tränen. Die Angst sitzt tief bei ihr. Daran hat auch das Urteil nichts ändern können. „Ob er sich an das Kontaktverbot hält?“, fragt sie zweifelnd. Sie weint.