Städtisches Strandgut
10000 Schlüssel, 1500 Fahrräder, vier Gebisse und ein Graureiher: Was keiner beim städtischen Fundbüro abholt, wird versteigert – das nächste Mal am Mittwoch.
Wo der ausgestopfte Graureiher herkommt, weiß Maik Müller nicht mehr genau. Schon seit geraumer Zeit hat das schwarz-weiße Federvieh seinen Platz im Lager2 des Münchner Fundbüros. „Hallo, grüß dich“, sagt Vize-Büroleiter Müller, wenn er an seinem Lieblingsstück vorbeikommt und streicht behutsam über den Vogelrücken.
Fahrräder und Federmäppchen, Laptops und Lederkoffer: Rund 60000 verlorene Sachen lagern hier in einem Hinterhof an der Oetztaler Straße – so viele wie in keinem anderen städtischen Fundbüro Deutschlands. Es lohnt sich, etwas Gefundenes abzugeben. Wer Eigentum geltend macht, darf es nach einem halben Jahr wieder mitnehmen. Meldet sich der Besitzer, bekommt der Finder immerhin fünf Prozent des Neuwertes. Doch lediglich jedes fünfte Stück wird abgeholt. Der Rest wird versteigert, das nächste Mal am Mittwoch. Nur den Reiher wollte bislang niemand haben.
Landet ein Stück in Müllers Refugium, wird es von einem der 21 Mitarbeiter erfasst – per Hand. Ein Computersystem gibt es nicht. Alle erkennbaren Daten werden auf Karteikarten notiert. So lassen sich die Besitztümer in hunderten Schubladen, Schränken und Regalen leicht finden.
Duelle beim Bieten
Maik Müller steht jetzt in einem der drei Fahrradkeller. Hier warten 1500 Räder auf ihre Besitzer. Manche starren vor Dreck. „Wir putzen sie nicht. Wenn dabei etwas passiert, können wir regresspflichtig gemacht werden“, sagt er. Vergangenes Jahr haben sie ein altes, braunes Postfahrrad versteigert, für 200 Euro. Der Einstiegspreis lag bei 15 Euro. „Wir hätten nie gedacht, dass das wegkommt. Aber dann haben sich zwei Bieter ein richtiges Duell geliefert“, sagt Müller.
Oben im zweiten Stock lagert alles andere. Etwa der Restbestand der „Wiesn-Kollektion“, wie Müller die 1332 Kleidungsstücke nennt, die vom Oktoberfest 2007 stammen. Dirndl in allen Farben, Lederhosen, Maßkrüge und: dritte Zähne. „Man glaubt es uns ja nie, aber jedes Jahr verlieren ein paar Besucher ihr Gebiss.“ Im vergangenen Jahr landeten vier im Fundbüro.
Frauen ersteigern mehr ideelle Wertsachen
Ab Wiesnbeginn herrscht sechs Wochen Urlaubssperre. Weil es trotz der stärkeren Belastung nicht mehr Personal gibt. Und weil Maik Müller, der aus dem thüringischen Sömmerda stammt, dann in einer Außenstelle des Fundbüros auf der Theresienwiese steht – natürlich in Lederhose. „Vor zwei Jahren habe ich mir die gekauft, berufsbedingt. Wir wollen eben ins Bild passen.“ Frauen bedient Müller besonders gern. „Ihnen liegen vor allem Dinge mit ideellem Wert am Herzen. Da bekommt man schon mal das eine oder andere Bussi.“
Zurück in der Oetztaler Straße, zweiter Stock: An Wandhaken hängen hunderte Schlüsselbunde. Am ersten baumelt ein Flaschenöffner, am nächsten ein rosa Bärchen mit Herz, am dritten eine Uhr. Bis zu 10000 Stück kommen jährlich im Fundbüro an. Auch sie werden sechs Monate aufbewahrt, danach aber nicht versteigert, sondern eingeschmolzen.
Privatsphäre gibt es hier nicht mehr
Im Lager1 stehen Koffer und Rucksäcke, die in der U-Bahn, in der Tram oder in Bussen vergessen wurden. Die Angestellten schauen in jede Tasche und jeden Rucksack. Privatsphäre gibt es hier nicht mehr, Sicherheit und Hygiene sind wichtiger. „Stellen Sie sich vor, wir würden in den Rucksäcken frische Lebensmittel vergammeln lassen. Dann wären sofort die Ratten hier“, sagt Müller.
In Lager 2 wohnt Müllers Reiher. Ein Surfbrett lehnt an der kahlen Wand, in Metallregalen stapeln sich Bücher, Klopapierrollen, Spielzeugbagger, Puppen und Klamotten. In den Schränken: Laptops, MP3-Player, Discmen. „Einmal hat ein Journalist aus New York sein Laptop in München vergessen. Wir haben es ihm zurückgeschickt.“ Die Festplatte haben sie nicht gelöscht, wie es sonst aus Datenschutzgründen üblich ist.
Den Schrank ganz hinten im Eck öffnet Müller nicht gern, denn er enthält ziemlich gefährliche Fundstücke: Messer, Macheten, ein Gewehr, sogar ein Ninja-Schwert. „Wir prüfen, ob diese Gegenstände unter das Waffengesetz fallen. Ist das der Fall, händigen wir sie der Polizei aus.“
Mut und bares Geld in der Tasche
Im letzten Raum sortiert Charles Reinbold die Sachen für die Versteigerung am Mittwoch. Handys liegen in Fünferpacks herum, Uhren in Zehnerpacks. Das Mindestgebot: 15 Euro. Ein „öffentlich bestallter Versteigerer“ bestimmt den Eingangspreis. Nicht immer setzt er ihn so niedrig an. Vor rund zehn Jahren, erinnert sich Reinbold, versteigerte das Fundbüro verlorenen Schmuck im Wert von 70 000 Mark. Für gut die Hälfte des Wertes gingen die Uhren, Ringe und Ketten weg. Ganz schön mutig müssen die Bieter bei solchen Beträgen sein. Denn nur wer das Geld in bar dabei hat, bekommt die Fundsache auch.
Manchmal unterstützen Müller und seine Kollegen auch karitative Einrichtungen. Vor kurzem etwa hat eine Realschullehrerin 500 Brillen von ihnen bekommen – für Kinder in Äthiopien. Lebensmittel gehen an die Münchner Frauenhäuser, gelegentlich auch Kleider und Schuhe. „Oder wir machen Geschenkkörbe daraus, die die Leute dann ersteigern können", sagt Reinbold. Die drei Anwaltsroben, die an einem Haken hängen, darf Reinbold nicht versteigern. „Das gilt als Amtsanmaßung und darauf stehen bis zu zwei Jahre Gefängnis.“
Jasmin Kias steht an der Information. Die 22-Jährige hat ihr neues Handy in der U-Bahn verloren. Dennoch blickt sie die Sachbearbeiterin fröhlich an. Weil das Fundbüro die Sim-Kartennummer direkt zu ihrem Anbieter schickte, bekam sie die gute Nachricht per Post: Das Handy liege im Fundbüro München. „Jetzt habe ich es wieder und bin total froh“, sagt Kias.
Sebastian Winter
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