Zur IAA: Kunst des Fliegens über dem Münchner Odeonsplatz

Altstadt - Himmel, macht Doris Dörrie jetzt noch mehr Kunst? Doch aus der Ferne trügt die markante weiße Brille, und das Haar ist ja auch nicht so raspelkurz wie bei der Filmemacherin. Nein, die US-amerikanischen Künstlerin Janet Echelman, lässt überm Odeonsplatz eine duftig leichte Wolke schweben, die sich nächtens durch LED-Lichter in eine farbstark leuchtende Formation verwandelt.
"Earthtime"-Kunstwerke: Alle Menschen sind miteinander verbunden
Die 24 mal 21 Meter große Installation, die vor allem an Fischernetze erinnert, trägt den zunächst irritierenden Titel "Earthtime 1.26 Munich". Echelman ist allerdings nicht um Erklärungen verlegen: "Die fragile Skulptur untersucht die miteinander verknüpften Netzwerke unserer kulturellen und physischen Welt".

Die geflochtenen Fasern bestünden aus recycelbaren Hightech-Materialien - was sonst -, von denen einige bezogen auf ihr Eigengewicht 15-mal stärker seien als Stahl. Wind, Regen und Licht verwandeln Form und Farben dieses dauerbewegten Netzes, "sie aktivieren den urbanen Raum und lassen ihn atmen".
Automobilhersteller betreibt zur IAA einen Stand unter dem Kunstwerk
Gerade an heißen Sommertagen klingt das natürlich klasse, man wird zwischen Residenz, Feldherrnhalle und Theatinerkirche aber auch eine gute Portion Fantasie in Gang bringen müssen, um die Aktivierung zu spüren. Aber es kommt noch besser.

Denn die dreidimensionale Form ist inspiriert vom 3D-Datenmodell der Meeresoberfläche nach einem Erdbeben, das Welleneffekte im Pazifischen Ozean verursachte. Auch die Zahl 1.26 - das erklärt die Bezeichnung - bezieht sich auf dieses Naturereignis, das zu einer Beschleunigung der Erdrotation geführt und so die Tageslänge um rund 1,26 Mikrosekunden verkürzt hat.
Kunstinstallation am Odeonsplatz noch bis Anfang Oktober zu sehen
Spätestens jetzt hätten unsere einst so verschmähten Physik- und Geologie-Lehrer wahrscheinlich ihre Freude. Aber man braucht das alles nicht im Detail zu durchdringen, um die Wolke attraktiv und in diesem Fall auch sehr dekorativ zu finden. Mehr muss an einem lauen Sommerabend nicht sein.
"Earthtime 1.26 Munich", das ein am Odeonsplatz ansässiges Autohaus schwäbischer Provenienz finanziert, ist erstmals in Deutschland zu sehen und ein Teil von Janet Echelmans "Earthtime Serie". In diesem Rahmen untersucht die Künstlerin die Verbundenheit der Menschen mit der Natur. Ihr Ergebnis: "Wesen sind untereinander und mit der Erde verbunden".
Weshalb das Werk anlässlich der IAA, also der Internationale Automobil-Ausstellung entstanden ist, will sich dabei noch nicht so wirklich erschließen. Vielleicht aus Freude, dass die Messe überhaupt stattfinden wird. Und weil Echelman, zumindest was das Material anbelangt, nachhaltig zu arbeiten versucht.
Echelman studierte am New Yorker Bard College Bildende Kunst, ab 1987 chinesische Kalligraphie in Hongkong. In Indonesien hat sie sich mit Handwerkern zusammengetan, um deren traditionelle Textilherstellung mit zeitgenössischer Malerei zu kombinieren. In den folgenden Jahren sind weitere Disziplinen wie Architektur, Materialwissenschaft, Informatik, Luftfahrttechnik, und eben auch das Skulpturale in ihren Werkprozess geflossen.
Die Kunstinstallation soll bis Anfang Oktober zu sehen sein.