Zeltdach des Olympiastadions München: Wandern im Weltwunder

Bei geführten Touren auf dem Olympiadach wird viel erzählt, aber nicht alles. Vor 50 Jahren wurde das Zeltdach auf den Weg gebracht.
von  Karl Stankiewitz
1971: Ein Bauzeichner im Stadion bei der Arbeit.
1971: Ein Bauzeichner im Stadion bei der Arbeit. © Stadtarchiv

München - Vom 50 Meter hohen Pylon runter saust man auf einer Seilrutsche quer über das Spielfeld, auf dem sich im Spätsommer 1972 die Welt sportlich begegnet war, und stürzt 200 Meter in die Tiefe. "Flying Fox" ist ein Wahlprogramm für Mutige, das der Besucherservice des Olympiaparks jetzt wieder anbietet.

Die Gaudi kostet 78 Euro. Etwas billiger sind die einfachen Zelttouren und das Abseilen über nur 40 Meter. Ein Film, Sicherheitsanweisungen sowie Erklärungen zur Geschichte und Architektur jeweils inbegriffen. Der Veranstalter verspricht dafür ein "Highlight, das in Europa einmalig ist".

Mit Superlativen waren die Planer schon vor 50 Jahren an den Start gegangen. Obwohl sie ein "Olympia ohne Gigantismus" versprachen, blähte sich das von vornherein übergroße Münchner Projekt bald derart auf, dass der Politiker Franz Josef Strauß, Aufsichtsratsvorsitzender der Olympiagesellschaft, im Juni 1968 vom "größten Dach Europas" sprach.

Mit einer Gesamtfläche von 74.800 Quadratmetern sollte es auf 70 Meter hohen Masten über 60 Prozent aller Sitzplätze im insgesamt 800.000 Quadratmeter großen Olympiagelände überspannen.

Chefarchitekt Günter Behnisch aus Stuttgart wollte nicht nur ein supergroßes, sondern ein "einzigartiges Bauwerk" realisieren. Das "punktgestützte, radial verspannte Hängedach" sollte aus transparenten Kunstglasplatten bestehen. Es sollte sich der Kontur der bayerischen Berge und der geplanten voralpinen Olympialandschaft anpassen. Doch noch ehe mit dem Bau begonnen wurde, erreichten die abschätzbaren Baukosten olympische Rekorde.

Am Ende kostete das Zeltgebirge 200 Millionen Mark

Hatte Behnisch das schier utopische Dach zunächst für 18 Millionen Mark errichten wollen, so lagen die Mindestangebote der Firmen bei der Ausschreibung schon bei 100 Millionen, zu tragen von Bund, Land und Stadt. Nach etlichen Umplanungen, die insbesondere das raue bayerische Klima berücksichtigten, konnte ab Juni 1971 endlich ein schweres Stahlnetz zentimeterweise auf die hochhaustief verankerten Pfeiler hochgezogen werden, das dauerte drei Monate. Erst dann konnten die Techniker mit dem Auflegen und Verknoten der lichtdurchlässigen Acrylglasplatten beginnen.

Den Besuchern der Baustelle verschlug es den Atem angesichts der bizarren, gewaltigen und doch so leichten, eleganten olympischen Landschaft, die ein silbriges Spinnennetz krönte. Enthusiasten schwärmten von einem "modernen Weltwunder". Künftig werde man mit solchen Konstruktionen vollklimatisierte Einkaufszonen überdachen, prophezeite Rolf Nerlich von der Arbeitsgemeinschaft Dach. Neuer Lebensraum in Wüsten oder in der Arktis ließe sich schaffen.

Ein Jahr später aber meldeten die Zeitungen laufend Mängel an dem Wunderwerk, indes die Kosten auf 188 Millionen wuchsen. Die Sommerhitze machte dem Acryl sehr zu schaffen. Die Isolierschichten schrumpften, Platten verfärbten sich. Neues Material musste eingebaut werden.

Olympiaparkchef Werner Göhner befürchtete, dadurch könnten Sport- und Schwimmhalle dunkler werden. Die Ersatzplatten ließen nur noch 30 Prozent des Tageslichts durch. Bald war die Hälfte des Dachs abgedeckt und erneuert. Am Ende stiegen die Kosten für das Zeltgebirge auf über 200 Millionen Mark.

Bald nach den Sommerspielen musste das größte, modernste und teuerste Dach der Welt noch einmal komplett saniert werden , wobei sämtliche Platten, von denen viele "erblindet" waren, ausgewechselt und die Pylonen und Stahlseilzüge erneuert wurden. Das dauerte bis 1999 und kostete die Steuerzahler noch mal hundert Millionen Mark. Unterhaltskosten fallen aber kaum an, weil die Dachhaut, sagt die Olympiapark GmbH, allein durch den Regen gereinigt werde.

Nur "in größeren Abständen" seien größere Ausbesserungen nötig. Das freilich wird dann wieder ganz schön teuer. Doch dafür kann die Stadt mit einem einzigartigen Wahrzeichen aufwarten, das laut einem aktuellen Stadtratsbeschluss schon bald auf die Liste der Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden könnte.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.