Zeitreise in die Maxvorstadt

Ein neues Buch präsentiert die beeindruckende Geschichte des Münchner Viertels, dessen Sehenswürdigkeiten häufig Schwabing zugeschlagen werden
von  Christian Pfaffinger
Der Blick von der querenden Schelling- in die Augustenstraße um 1910: Hinten ist die von Hans Schurr entworfene Josephskirche erkennbar.
Der Blick von der querenden Schelling- in die Augustenstraße um 1910: Hinten ist die von Hans Schurr entworfene Josephskirche erkennbar. © Stadtarchiv München / Volk Verlag

Maxvorstadt - Eines will der Maxvorstädter nicht sein: ein Schwabinger. Weil der ihm ohnehin alles klaut: die Universität. Die Ludwigs- und die Josephskirche. Die Kult-Lokale. Vieles, was die Maxvorstadt ausmacht, wird immer wieder Schwabing zugeschrieben. Wenn es um Schönes aus der Maxvorstadt geht, irrt sich der Schwabinger gern mal bei den Viertelgrenzen.

Die Wurzeln dieses Irrtums liegen in der Geschichte. Im Mittelalter, bevor München eine große Stadt wurde, reichte das Dorf Schwabing bis weit in das äußere Kreuzviertel, den Ursprung der Maxvorstadt, hinein. Und später, als König Ludwig I. 1840 die Universität von Landshut nach München verlegte, entstand rund um sie ein schillerndes Zwischenreich Maxvorstadt-Schwabing, bevölkert von Studenten, Künstlern und Freigeistern.

Die Grenzen der Viertel waren – zumindest gefühlt – fließend. Dass der Glanz der Bohème aber vor allem dem Schwabing-Mythos diente, stinkt den Maxvorstädtern noch heute.

Wie beeindruckend, glanzvoll aber auch dunkel die Geschichte der Maxvorstadt wirklich ist, zeigt das Buch „Maxvorstadt – Zeitreise ins alte München“. Ein Bildband mit seltenen historischen Aufnahmen aus dem Münchner Stadtarchiv und einem Text vom ehemaligen Leiter des Archivs, Richard Bauer.

Er beschreibt die Entwicklung eines Ackers vor den Toren Altmünchens, wo Kraut und Hopfen wuchsen, Rindviecher grasten und Großkopferte lustwandelten, ein Wettstreit der Hofarchitekten ein „Isar-Athen“ erschuf und die Wohnungsnot der Gründerzeit ein dichtes Straßen-Karree entstehen ließ. Wo die Nazis ihrem Größenwahn irre Denkmäler setzen wollten und wo heute ein akademisches, kulturreiches und teils ziemlich szeniges Viertel liegt.

Der Ursprung des Viertels liegt in klösterlicher Zeit: Außerhalb des Kreuzviertels erstreckte sich eine Nutzzone bis zum Dorf Schwabing. Sie diente für Krautäcker, Rübenfelder und später auch als Viehweide. Im Jahr 1805 kam dann die königliche Anordnung: Stadterweiterung.

Die Pläne für die erste Münchner Vorstadt entstanden. Gebaut wurde sie größtenteils erst nach 1825. Da regierte bereits Ludwig I., der „Neumünchen“ zu einem „Isar-Athen“ machen wollte. Vor allem die Ludwigsstraße wurde zur Protz-Meile. Die Bauten gingen vom Odeonsplatz her, wo der Hochklassizismus Leo von Klenzes überwog, in den italo-romanischen Stil Friedrich von Gärtners über. Der große Prunk der Maxvorstadt entstand in dieser Zeit.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der Maxvorstadt nicht nur die Bohème um die Universität, sondern auch eine florierende Wirtschaft: Im Westen entstanden Brauereien und Bierkeller. Im Übergang zu dem Dorf Neuhausen siedelten sich Schmieden und Maschinenhallen an. Vor allem während der Gründerzeit wuchs die Maxvorstadt immer weiter und wurde enger.

Die Maxvorstadt war auch militärisch geprägt: Denkmäler (Obelisk und Siegestor), nach Schlachten benannte Straßen (Brienner, Barer und Arcisstraße) und die Reste der Türkenkaserne erinnern bis heute daran.

Mit ihren klassizistischen Monumentalbauten gefiel die Maxvorstadt auch den Nazis. Der junge Adolf Hitler hatte in der Schleißheimer Straße bei einem Schneider zur Untermiete gewohnt. Nach der Machtergreifung wollte er die Maxvorstadt zum NSDAP-Quartier ausbauen. Die Partei nistete sich dort ein und plante größenwahnsinnige Neubauten. Manche, wie der „Führerbau“ in der Arcisstraße, stehen noch, andere, wie ein gigantisches Mausoleum für Hitler, blieben Hirngespinster.

Nach dem Krieg war mehr als die Hälfte der Gebäude nahe des Hauptbahnhofs und in der nördlichen Maxvostadt zerstört. Doch die Münchner schafften es, den Glanz, den Ludwig I. 100 Jahre zuvor hatte erschaffen lassen, zu restaurieren. Deshalb hat die Maxvorstadt heute noch Klassik-Charme und Hellas-Flair.

Aber sie hat auch jungen Schick. Vor allem um die Unis herum gibt es hippe Bars und Cafés. In der Schellingstraße heißt eines davon ausgerechnet: Altschwabing. Stimmen tut’s ja irgendwie – aus mittelalterlicher Sicht.

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