Wohnwahnsinn: Zuzügler sollen nach Augsburg

Im AZ-Café wird über Wohnungsnot diskutiert. Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) hat dabei eine ungewöhnliche Idee auf Lager.
von  Timo Lokoschat
Auf der Bühne im Kaffee Giesing (v. l.): BA-Chef Clemens Baumgärtner (CSU), Brigitte Meier (SPD), AZ-Lokalchef Michael Schilling, Ulf Millauer von der Gesellschaft für Stadterneuerung, Max Heisler (Aktionsgruppe Untergiesing).
Auf der Bühne im Kaffee Giesing (v. l.): BA-Chef Clemens Baumgärtner (CSU), Brigitte Meier (SPD), AZ-Lokalchef Michael Schilling, Ulf Millauer von der Gesellschaft für Stadterneuerung, Max Heisler (Aktionsgruppe Untergiesing). © Daniel von Loeper

Im AZ-Café wird über Wohnungsnot diskutiert. Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) empfiehlt dabei Münchens nordwestlichen Nachbarn. „Mit der Bahn sind das nur 25 Minuten!“

Giesing - Donnernden Applaus erhält Brigitte Meier (SPD) für ihre Idee nicht. Aber immerhin: Donner.

Während der Debatte um Stadtentwicklung im „Kaffee Giesing“ spielt das Wetter verrückt: Sonne, Hagel, Regen und Gewitter führen intensive Koalitionsverhandlungen. Als es um die Wohnungsnot im Viertel geht, wartet die Sozialreferentin mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf. Um den angespannten Markt zu entlasten, will sie neuen Zuzüglern eine Alternative schmackhaft machen: Augsburg! „Mit der Bahn sind das nur 25 Minuten“, sagt Meier – und just in dem Moment donnert’s über der Tegernseer Landstraße 96.

CSU-Politiker Clemens Baumgärtner, Vorsitzender des Bezirksausschusses, grummelt mit. Meiers Partei sei doch mitverantwortlich für das Problem: „Wir sind nach zig Jahren SPD-Herrschaft zu einem Punkt gelangt, an dem diese Politik ihre Auswirkungen zeigt, Wohnungsnot und Vertreibung von Anwohnern aus ihren angestammten Vierteln an der Tagesordnung sind“, wettert er.

Darauf gibt es einen Zwischenruf, der nur aus drei Buchstaben besteht: „GBW!“ Und viele Zuhörer nicken, im Wissen, dass der Freistaat vor kurzem tausende Wohnungen an einen privaten Immobilienkonzern verkauft und dafür viel Kritik erhalten hat.

„Warum wandelt man nicht mehr Gewerberäume in Wohnungen um?“, fragt eine AZ-Leserin. „Hier im Viertel gibt es enormen Leerstand!“

Ulf Millauer von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) stimmt nur teilweise zu: „Tote Straßen, in denen man nur wohnen kann, können nicht das Ziel sein“, sagt der Experte. „Es braucht Läden und Cafés in den Erdgeschossen!“

AZ-Lokalchef Michael Schilling macht auf die Monokultur in vielen Giesinger Straßen aufmerksam: Nagelstudios, Handyshops und Solarien würden kleine, individuelle Läden verdrängen. Eine Traditionsbäckerei gegenüber vom „Kaffee Giesing“ habe gerade ihren letzten Tag.

Millauer: „Unser Job ist es, an die Eigentümer heranzutreten und zu appellieren, dass es nicht darum geht, den nächsten Handyshop reinzuholen, der kurzfristig sicher die gewünschte Miete zahlt, sondern jemanden, der dem Viertel nützt!“

Brigitte Meier konstatiert: „Die Gesetze des Marktes sind die vorherrschenden.“ Die Lösung liege in der Frage der Eigentumsverhältnisse. „Das, was im Zugriff der Stadt ist, soll dort bleiben“, findet auch Clemens Baumgärtner. Bund, Land und Stadt seien gemeinsam gefragt.

Max Heisler von der Aktionsgruppe Untergiesing hat den Glauben an die Politik schon fast verloren: „Was fehlt, das etwas passiert? Der gute Wille?“

Wie das Viertel in 15 bis 20 Jahren aussehen wird? Seine Antwort ist eine Frage: „Schick, teuer – aber auch lebenswert?“

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