Wohnungspreise am alten Paulaner-Gelände am Nockherberg in der Au in München: Stadträtin kritisiert Rathaus

Linken-Stadträtin Brigitte Wolf erklärt im AZ-Interview, warum sie das Rathaus für den Hauptschuldigen an den Wohnungspreisen am Nockherberg hält.
von  Felix Müller
So soll es einmal aussehen auf dem Bauabschnitt in der Unteren Au.
So soll es einmal aussehen auf dem Bauabschnitt in der Unteren Au. © Bayerische Hausbau

München - Die Linken-Politikerin Brigitte Wolf, Jahrgang 1962, sitzt seit 2002 im Stadtrat. Im Interview mit der AZ erhebt sie schwere Vorwürfe an das Rathaus.

AZ: Frau Wolf, was für ein Viertel war die Au vor 20 Jahren?
BRIGITTE WOLF: Die Au war eines der letzten Innenstadt-Viertel, wo noch Industrie und Gewerbe ansässig waren. Paulaner war dabei ganz wichtig. Man hat noch gemerkt, dass es von je her ein Arbeiterviertel war.

Wann hat sich das geändert?
So richtig eigentlich erst mit den Sanierungen der letzten zehn, 15 Jahre.

Jetzt erleben wir, dass Wohnungspreise in wenigen Wochen um 15 Prozent steigen. Wie hätte man das verhindern können?
Früher forderte die Stadt mit der "Sozialen Bodennutzung", der sogenannten "Sobon", dass, wenn Industrie und Gewerbe wegfällt, auch wieder neu Industrie und Gewerbe geschaffen werden muss. Das hat man nicht erst beim Paulaner-Gelände komplett aufgegeben.

Im konkreten Fall war also eh nicht mehr möglich?
Im Februar 2011 hatten wir als Linke beantragt, dass die gewerbliche Nutzung in Teilen erhalten bleiben soll. Wir hatten auch einen Gewerbehof für Au-Haidhausen beantragt, all diese Dinge, die ein Viertel lebendig machen. Man muss ja heutzutage schon froh sein, wenn man lärmendes Gewerbe hat. Weil die Wohnungen außenrum dann wenigstens nicht ganz so unverschämt teuer werden.

Sie haben einst auch gefordert, die Stadt solle einen Teil des Areals selbst kaufen. Warum wollte der Stadtrat das nicht?
Es gab von der Hausbau ja sogar ein Angebot. Aber es war dem Stadtrat zu teuer! Über Jahre haben wir beantragt, dass man über die 30 Prozent geförderten Wohnungsbau, der sowieso in der Sobon gefordert ist, hinausgeht. 50 Prozent sollten das Ziel sein. Das wäre aber nur möglich gewesen, wenn die Stadt München Teile des Grundstücks gekauft hätte und selbst an Baugenossenschaften vergeben oder den eigenen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung gestellt hätten. 162 zusätzliche geförderte Wohnungen hätte die Stadt bauen können, wenn unser Antrag im April 2016 durchgegangen wäre – das war noch unser letzter Versuch. Und wissen Sie, was das Verrückte ist?

Nein.
Die Stadt hat im Programm Wohnen in München 50 Millionen Euro für den zusätzlichen Ankauf von Grundstücken genehmigt gehabt – und fast nichts davon ausgegeben.

Jetzt machen CSUler und SPDler den Eindruck, man habe alles getan, was möglich war.
Das ist aber einfach nicht richtig!

Welche Lehren sind aus dem Vorgang zu ziehen?
Ich fürchte, dass die Stadtrats-Mehrheit daraus überhaupt keine Lehren zieht. Die Stadt tut oft nicht, was sie tun könnte. Eigentlich müsste man für den Münchner Wohnungsmarkt eine echte Grenze einhauen – das kann der Stadtrat aber nicht beschließen. Die Stadt hat über Jahre hinweg zugesehen, dass ihre eigenen Zielzahlen für den geförderten Wohnungsbau nicht erreicht wurden. Und jetzt wird das alles unglaublich teuer.

"Sogar der Chef der Hausbau sagt: Ohne Erbe kann man nichts kaufen"

Die Bayerische Hausbau sagt, es entstehe wie versprochen ein gemischtgenutztes Quartier. Der Chef hat dieser Tage in der "SZ" betont, 70 Prozent würden Münchner kaufen.
Er sagt aber auch: Mit eigen verdientem Geld geht das nicht mehr, man muss erben! Es gibt aber ja kein Naturgesetz, dass die Hausbau da den maximalen Profit draus zieht.

Die Hausbau hat immer den Eindruck erweckt, ein Vorzeigeprojekt zu entwickeln. Hat sie die Stadt getäuscht?
Nein. Die Stadt hat sich selbst getäuscht. Der Beschluss, dass wir nicht zusätzlich Gelände ankaufen, dort keinen Gewerbehof machen, das hat die Stadt alles selbst entschieden. Und wo die öffentliche Hand nicht eingreift, muss man sich hinterher nicht wundern, dass mitgenommen wird, was mitgenommen werden kann.

Aus Ihrer Sicht also kein Vorwurf an die Hausbau. Sollte die Stadtspitze die Preise nicht auch öffentlich moralisch verurteilen?
Ich würde schon sagen, man sollte appellieren, nicht das Maximale zu nehmen. Nur wird das in dieser Wirtschaftsordnung nicht fruchten.

Der Hausbau-Chef hat auf das Hamburger Modell hingewiesen. Neben Eigentums- und Sozialwohnungen müssen dort auch ein Drittel Mietwohnungen entstehen. Wenn er das schon lobt: Sind andere inzwischen viel weiter als die selbst ernannte Mieterschutz-Hauptstadt München?
Auf städtischem Grund und Boden haben wir den Grundsatzbeschluss, nichts mehr zu verkaufen. Nur ist das halt ein Grundsatzbeschluss, der auch aufgeweicht werden kann. Versagt hat der Stadtrat aber bei der Verschärfung der Sozial gerechten Bodennutzung.

Wäre aus Ihrer Sicht das Ehrlichste als Politiker zu sagen: Wir werden die Preisentwicklung einfach nicht stoppen können, in 20 Jahren wohnt in München kein Normalverdiener mehr?
Die Gefahr ist groß. Aber keiner würde ich nicht sagen.

Was stimmt Sie optimistisch?
Überall, wo Genossenschaften oder die städtischen Wohnungsbaugesellschaften im Spiel sind, werden noch Normalverdiener wohnen. Ich denke auch, dass die ein oder andere Firma noch entdecken wird, dass sie Wohnungen für ihre eigenen Mitarbeiter finden muss. Wenn sie Busfahrer oder Krankenschwestern finden wollen, sollten Sie in München schon heute eine Wohnung anbieten. Und das machen Krankenhäuser oder die Stadtwerke ja auch.

Und Paulaner in der Au!
In homöopathischer Dosis. Das wird die Au nicht vor der Aufwertung retten.

Lesen Sie hier: Altes Paulaner-Gelände - 766.000 Euro für zwei Zimmer im Erdgeschoss

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